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3. Protestantische Präsentationsformen: Kirche, Milieus und Gruppen

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Die institutionelle Herausforderung für die evangelische Kirche nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments bestand im zeitnahen Aufbau einer kirchlichen Selbstverwaltung. Eine offene Ausgangslage hat es dabei nicht wirklich gegeben. Die den Revolutionsimpuls aufnehmende und aus liberalen Kreisen sowie aus dem freien Protestantismus stammende Volkskirchenbewegung propagierte eine Trennung von Staat und Kirche und setzte auf das sogenannte allgemeine Priestertum aller Gläubigen sowie auf eine einheitliche Kirchenverfassung. Die Initiative blieb eine Episode der Revolutionszeit. Die beharrenden Kräfte in den konservativ-konfessionell agierenden kirchenleitenden Be hör den und Synoden beanspruchten schnell das Neuordnungsmonopol. Dort favorisierte man eine landeskirchlich organisierte Amtskirche. Der Kirchentag in Dresden 1919 erwies sich in diesem konservativen Sinn als zukunftsentscheidend.

Für den 1922 in Wittenberg gegründeten »Deutschen Evangelischen Kirchenbund« (DEKB) blieb infolgedessen das landeskirchliche Territorialprinzip bestimmend. Die Bildung einer Reichskirche war zwar in Aufnahme vormaliger Bemühungen aus dem 19. Jahrhundert diskutiert worden, gleichwohl kam es jetzt noch nicht dazu, erst nach 1933 sollte das Thema unter neuen politischen Vorzeichen auf der Agenda stehen.

Für die Weimarer Zeit indes wurden 28 evangelische Landeskirchen zu einer nur losen Konföderation zusammengeführt. Die Selbständigkeit in Verkündigung, Verfassung und Verwaltung sowie der Bekenntnisstand der Landeskirchen blieben unangetastet. Als Organe des DEKB fungierten der Kirchentag, der Kirchenbundesrat und als Exekutivorgan der Kirchenausschuss, dessen Präsidium jeweils der höchste Beamte (Jurist) der preußischen Kirche vorstand. Der innovative Beitrag in der Geschichte der evangelischen Kirche vollzog sich in dieser Phase nach 1918 auf Länderebene durch die Bildung von Landeskirchenämtern, die fortan administrativ und inhaltlich eigenständig geführt wurden. Wegweisend wurden die nunmehr abgeschlossenen Verträge zwischen einzelnen Landeskirchen und Ländervertretungen, die ein Vorbild für die nach 1945 aufkommenden Staatskirchenverträge ab gaben.

Seit dem 19. Jahrhundert manifestierte sich der Protestantismus neben seiner institutionell verkirchlichten Form im strukturellen Rahmen von Vereinen, die in der Weimarer Zeit in ein dichtes Netz verzweigter Milieus und Gruppenbildungen eingebunden waren.

Die Milieus vereinten protestantische Zeitgenossen, die wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Lebensorientierungen miteinander teilten. Dem konservativ ausgerichteten Milieu fiel im Protestantismus eine Leitfunktion zu. Hier dominierten nationale Einstellungen, die in einer rückwärtsgewandten Zuneigung zur Monarchie, in der Förderung der politischen Rechten sowie in Sympathien für volksmissionarische Bewegungen einen adäquaten Ausdruck fanden. Schwächer ausgeprägt, aber immerhin noch wirksam waren die aus dem 19. Jahrhundert überkommenen liberalen protestantischen Milieus. Traditionell sympathisierte man hier mit dem katholischen Zentrum, dem liberalen Judentum und unterstützte ansatzweise Initiativen gegen den Antisemitismus.

Die außerkirchlichen protestantischen Kräfte manifestierten sich in etlichen sozialen Bewegungen, die sich in der Gesellschaftsdynamik der Weimarer Republik vital entfalten konnten und sich zwecks einer längerfristigen Bestandssicherung vereinsähnliche Ordnungsstrukturen gaben.

Die Jugendbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatte nach dem Ersten Weltkrieg etwas an öffentlicher Wahrnehmbarkeit eingebüßt, gleichwohl blieb ihr prägender Einfluss auch im Bereich des Protestantismus evident. Nicht zuletzt durch die kriegsernüchterte junge Generation bezog sich der Veränderungswille jetzt erst recht auf krisenbedingt verhärtete Institutionen und positiv gewendet engagierte man sich für ein freies, schöpferisches, ›gläubiges‹ Leben des Einzelnen und in der Gemeinschaft. In der Universität sollten ethische Maximen als Handlungsanweisungen das politische Leben bestimmen. Die Deutsche Christliche Studentenvereinigung, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts u. a. aus dem Christlichen Verein Junger Männer hervorgegangen war, besann sich wieder auf ihre genuinen Ziele der Mission und Evangelisation. In dieser Ausrichtung wurde man durch die Mitgliedschaft im Christlichen Studentenweltbund bestärkt, dem man beitrat und damit gegen den allgemeinen nationalen Rückzug im Gesamtprotestantismus dieser Jahre ein stark gegenläufiges Zeichen setzte.

Im Zentrum der religiös-sozialen Bewegung stand zunächst die aus der Schweiz kommende Gruppe der Religiösen Sozialisten. Bald nutzten die davon inspirierten Paul Tillich, Emil Fuchs, Günther Dehn und andere die gesellschaftlichen Möglichkeiten des demokratischen Systems für eine Theologie im politischen Gewand. Man projizierte eine biblisch fundierte Ethik in den Gestaltungsraum einer gleichzeitig nach sozialistischen Maßgaben zu entwerfenden Gesellschaft.

Die Freidenkerbewegung er hielt durch die krisenbedingte Bereitschaft zum Kirchenaustritt nach 1918 einen starken Impuls, transportierte die aufklärerische Religions- und Kirchenkritik unter erheblichem Zulauf in die Weimarer Zeit.

Die völkische Bewegung markierte seit der Herausbildung von Rasseideologien nach der Reichsgründung 1871 eine zunehmend heterogene Sammlung von Gruppen und Strömungen, die mehrheitlich einen auf dem Rassegedanken gegründeten Nationalismus anhingen, in ihren nationalistischen, politischen und kulturellen Akzentuierungen in des voneinander abwichen. Im Zuge der Weimarer Republik wurde sie zunehmend vom Nationalsozialismus instrumentalisiert.

Im protestantischen Vereins- und Verbandswesen der Weimarer Jahre setzten sich die theologischen Differenzierungen und konfessionellen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger fort. Mit einer konservativen Ausrichtung sind besonders der Evangelische Bund und der Evangelische Verein der Gustav-Adolf-Stiftung zu nennen, aus der liberalen Tradition der Deutsche Protestantenverein, die Vereinigung der Freude der Christlichen Welt und der Evangelisch-Soziale Kongress.

Dieses differenzierte Spektrum von Milieus, Gruppen und Strömungen bildet das heterogene Erscheinungsbild des Protestantismus in der Weimarer Republik ab. Dabei dominierte das modernitätskritische Profil, die liberalen und sonstigen demokratieaffinen Gruppierungen blieben ins gesamt überschaubar.

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