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7.3.2 Friesisch in der Schule

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Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es nur wenige Schulen mit Friesischunterricht. 1957 erhielten 300 bis 350 Kinder Friesischunterricht an 17 Schulen, aber in den 1960er Jahren sank die Zahl weiter (Petersen 1979). Erst 1976 begann auf Sylt eine neue Initiative für Friesisch in der Schule, die sich schnell ausbreitete und bald ganz Nordfriesland erfasste. Im Schuljahr 1982/83 hat die Frisistik der Universität Kiel begonnen, Statistiken über den friesischen Schulunterricht zu führen, eine Aufgabe, die später vom Schulamt in Husum bzw. von dem Landesfachberater/der Landesfachberaterin für Friesisch übernommen wurde.

Die Statistiken zeigen, dass die Zahl der Schulen, Lehrer, Schüler und Unterrichtsstunden zunächst stetig stieg. Bei den Schulen wurde 1989/90 der Gipfel erreicht, bei den Schülern 2002/03, obwohl in beiden Fällen die Zahlen anschließend einigermaßen konstant blieben. Der Einbruch im Schuljahr 2007/08 hatte wahrscheinlich zwei Ursachen: a) die Einführung des obligatorischen Englischunterrichts in den Grundschulen im Jahr 2006, so dass Eltern befürchteten, dass ihre Kinder mit zwei Fremdsprachen überfordert wären, und b) das Schulgesetz von 2007, das zur Schließung und Zusammenlegung verschiedener Schulen führte (Holm et al. 2011).

Schuljahr Lehrer Schulen Schüler Stunden
1982/83 14 18 574 74
1987/88 18 35 740 129
1992/93 23 37 1003 149
1997/98 23 26 1133 143
2002/03 29 25 1473 154
2008/09 24 24 925 106
2012/13 24 22 802 92
2015/16 26 21 979 104
2017/18 25 17 819 86,5
2018/19 25 18 760 81

Tab. 7: Entwicklung des friesischen Schulunterrichts in Nordfriesland seit dem Schuljahr 1982/83

Im Schuljahr 2018/19 erteilten 25 Lehrer 760 Schülern 81 Stunden Friesischunterricht an 13 deutschen und fünf dänischen Schulen. Der Unterricht fand an elf Grundschulen, einer Gemeinschaftsschule,1 zwei Gymnasien und fünf dänischen Schulen statt. In der Regel findet der Friesischunterricht als Fachunterricht eine oder zwei Stunden die Woche statt. Nur vereinzelt werden auch andere Fächer auf Friesisch unterrichtet (CLIL).2

Seit 1962 wird am Gymnasium in Wyk auf Föhr Friesisch unterrichtet, seit 2008 als mündliches Abiturprüfungsfach mit Lehrplan. 2012 war Friesisch zum ersten Mal Teil einer Abiturprüfung (Roeloffs 2012b). Im Unterricht werden von den Schülern und Schülerinnen u.a. Schulbücher selbst produziert, von denen inzwischen zwölf erschienen sind (Faltings 2017).

1981 wurde die Stelle eines „Beauftragten für den friesischen Schulunterricht“ eingerichtet (Steensen 2002), heute heißt die Amtsinhaberin „Landesfachberaterin für Friesisch“. In dieser Funktion ist sie dem Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) in Kiel zugeordnet und organisiert zwei- bis dreimal im Jahr Treffen mit den friesischen Lehrkräften. Zugleich verbunden mit dieser Funktion ist die Studienleitung Friesisch, die für die zweite Phase der Ausbildung von Friesischlehrkräften am IQSH zuständig ist. Seit 2019 gibt es auch an den dänischen Schulen eine Fachbeauftragte für Friesischunterricht.

2015 ist ein „Leitfaden für den Friesischunterricht an Schulen in Schleswig-Holstein (Primarstufe)“ (Ministerium für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein) erschienen, der Ziele für die Jahrgangsstufen definiert, Unterrichtsinhalte und Themen beschreibt und eine Literaturliste enthält, die u.a. vorhandenes Schulmaterial und Kinderbücher in den einzelnen Mundarten auflistet. Auf Grund der fehlenden Anerkennung des Friesischen als Grundschulfach stellt der Leitfaden jedoch keinen verbindlichen Lehrplan dar. Für die Sekundarstufe I und II wird dagegen derzeit an der Erstellung von Fachanforderungen Friesisch gearbeitet.

Obwohl die Friesischlehrer und -lehrerinnen ihren Unterricht mit großem Engagement und Enthusiasmus vorbereiten und durchführen und regelmäßig mit ihren Schülern und Schülerinnen auf öffentlichen Veranstaltungen auftreten, erschwert eine Reihe von Problemen die Arbeit. Oft sind diese Probleme längst bekannt (Walker/Wilts 1979, Walker 1986, Martinen/Walker 1988, Wilts 1989, Martinen 1990 und 1991, Nommensen 1993), werden aber nicht behoben. Im Einzelnen sind dies:

 Status des Faches Friesisch: Mit Ausnahme des Oberstufenunterrichts am Gymnasium Föhr hat Friesisch keinen Status als Fach.3 Allgemein gilt Friesisch als Zusatzangebot (Kultusministerkonferenz 2013: 62). Am IQSH gilt Friesisch als Fach, aber ein Referendariat ist in diesem Fach nicht möglich.Die Nicht-Anerkennung des Faches hat Konsequenzen für die Vergabe von Stellen, da Friesisch hier nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dies hat zum Beispiel zur Folge, dass es zurzeit, entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Handlungsplans, kein Friesischangebot an den weiterführenden Schulen in Niebüll gibt (vgl. Kap. 5.2.2).

 Lehrerausbildung: Die Lehrerausbildung findet in erster Linie an der Europa-Universität Flensburg statt (vgl. Kap. 7.3.3). Friesisch kann in der Regel nur als Teil des Germanistik-Studiums studiert werden. Angehende Friesischlehrer müssen einen Zertifikatkurs in Flensburg absolvieren. Es ist derzeit unklar, inwiefern anschließend ein weiterer Zertifikatkurs bei der Landesfachberaterin für Friesisch abgelegt werden muss. Problematisch ist, dass Studierende eines friesischen Zertifikatkurses keine Bonuspunkte bei der Bewerbung auf einen Referendariatsplatz bekommen, im Gegensatz etwa zum Zertifikat Deutsch als Zweitsprache/Fremdsprache. Friesisch gehört auch nicht zu den Fächern des besonderen Bedarfs, obwohl dies faktisch der Fall ist.4 Die Nicht-Anerkennung des Friesischen als Fach bereitet ferner Probleme bei der Suche nach einem geeigneten Referendariatsplatz.

 Zahl der friesischen Lehrkräfte: Es gibt bereits einen Mangel an friesischen Lehrkräften, der durch die absehbare Pensionierung derzeit aktiver Lehrkräfte verstärkt werden wird. Die Zahl der Absolventen und Absolventinnen an den Universitäten reicht nicht aus, um den Bedarf an qualifizierten Lehrkräften zu decken. Auf Grund u.a. von fehlendem Personal findet in der Wiedingharde seit geraumer Zeit kein Friesischunterricht mehr statt.Ein weiteres Problem ist die Nicht-Beschäftigung von qualifizierten Friesischlehrkräften im friesischen Sprachgebiet. Im sechsten Prüfbericht des Sachverständigenausschusses 2018 zur Überwachung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen steht: „Providing a sufficient number of teachers is increasingly difficult also because many of those with the necessary language skills and training are in fact not assigned to schools in the area where North Frisian is spoken.“5 (Chapter 1.2.34)

 Formen des Unterrichts: Da die Teilnahme am Unterricht freiwillig ist, haben sich verschiedene Formen des Unterrichts entwickelt, zum Beispiel als Arbeitsgemeinschaft, als Projektunterricht oder als Angebot im Wahlpflichtbereich.

 Unterrichtsstunden: In der Regel findet der Friesischunterricht nur eine oder zwei Stunden die Woche statt. Dies reicht keineswegs aus, um den im Handlungsplan vorgesehenen „systematischen Spracherwerb“ zu gewährleisten (vgl. Kap. 5.2.1). Friesisch wird kaum als Medium benutzt, um andere Fächer zu unterrichten. Ferner wird Friesisch oft nur in den Randstunden oder nachmittags als Arbeitsgemeinschaft angeboten.

 Kontinuität des Unterrichts: Friesischunterricht ist weitgehend auf die Grundschule beschränkt. Nur an der Gemeinschaftsschule Amrum, auf dem Gymnasium Föhr und zum Teil in den dänischen Schulen findet der Unterricht an einer weiterführenden Schule statt. Die Diskontinuität frustriert Schüler, die gerne in der Grundschule am Unterricht teilgenommen haben und beeinträchtigt die Motivation mancher Schüler und Eltern.

 Schulmaterialien: Die friesische Dialektvielfalt wirft wirtschaftliche Probleme auf, auch wenn inzwischen die Zahl der verwendeten Mundarten faktisch auf fünf reduziert worden ist. Bei den meist geringen Sprecher- und Schülerzahlen ist eine wirtschaftliche Finanzierung von verschiedenen Auflagen kaum möglich.Die friesischen Lehrkräfte müssen oft ihre eigenen Materialien ohne Gegenleistung erstellen. Es gibt wohl inzwischen Materialien, die aber manchmal vergriffen, nicht mehr zeitgemäß oder nicht didaktisiert sind. Die Grundschule Lindholm hat eine „Lernwerkstatt“ mit einer Sammlung friesischer Schulmaterialien eingerichtet (Vahder 2001), aber es ist unbekannt, wie die Sammlung nach der Pensionierung des ehemaligen Friesischlehrers und Schulleiters fortgesetzt werden soll. Eine Instanz, die insgesamt für die Frage der Schulmaterialien zuständig wäre, existiert nicht.Abgeordnete Lehrkräfte waren eine Zeitlang am Nordfriesischen Institut mit der Erstellung von Schulmaterialien beauftragt, aber dieses Modell wurde eingestellt.Nach der Fertigstellung von Schulmaterialien müssen oft Sponsoren gesucht werden, da die Finanzierung fehlt. Es gibt keinen Fonds für friesische Schulmaterialien. Die Bundesmittel können nicht für Unterrichtsmaterial verwendet werden.

 Forschung: Die zum Teil schulbezogene Forschung der letzten Jahre ist oft von Auswärtigen im Rahmen einer Prüfungsarbeit geleistet worden (Petersen-Seppälä 1994, Wanke 2008, Hendricks 2014), manchmal im Zusammenhang mit einem Vergleich mit anderen Sprachgemeinschaften (Dinkelaker 2002, Pech 2012, Gaidukevič o.J.). Infolge der Streichung der Friesisch-Professur an der Universität Flensburg (vgl. Kap. 7.3.3) hat an dieser eigentlich für die Schulforschung zuständigen Universität in den letzten gut 20 Jahren die diesbezügliche Forschung weitgehend brach gelegen. Obwohl der Bedarf an Forschung bekannt war (Steensen 2002: 110), liegen nur zwei kleine Projekte vor (Steensen 2003 und 2004). Eine gründliche Untersuchung zum Stand des Friesischunterrichts, worauf eine systematische Weiterentwicklung hätte aufgebaut werden können, hat nicht stattgefunden. Der einzige qualitative Forschungsansatz der letzten Zeit besteht in einer an der Universität Kiel durchgeführten Untersuchung zur Frage der Attitüden von Schülern und Schülerinnen sowie deren Eltern zum Friesischunterricht an der Grundschule in Lindholm (Grützmacher 2012). Unter dem neuen Professor für Nordfriesisch in Flensburg, Nils Langer, läuft ein Projekt über die Bedeutung u.a. des Schulunterrichts für den Gebrauch des Friesischen.

 Diskussionsforum: Ein Hauptproblem liegt im Mangel an einem geeigneten Forum mit sachkundigen Vertretern und Vertreterinnen der friesischen Volksgruppe sowie mit Befugnissen ausgestatteten sachkundigen Politikern und Politikerinnen und Verwaltungsbeamten und -beamtinnen, um die bekannten Probleme zu lösen und um Modelle für den Friesischunterricht weiter zu entwickeln.6 Sachverstand ist in der friesischen Volksgruppe vorhanden, er kommt aber im Augenblick nicht genügend zur Geltung. Bei den derzeitigen Bedingungen bleibt der gut gemeinte Handlungsplan „Sprachenpolitik“ eine Illusion.

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