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Aşkın-Hayat Doğan

Muslimische Figuren in Mainstream Science Fiction?

Vor ein paar Jahren machte ein »lustiges Bild« in den sozialen Medien und WhatsApp-Gruppen die Runde: Eine weiße, gutbürgerliche Kernfamilie, wahrscheinlich aus den 50ern, sitzt am Esstisch. Die Mutter bringt gerade lächelnd das Tablett mit Rostbraten an den Tisch, während der Sohn und die Tochter mit glücklichem Gesichtsausdruck neben dem amüsierten Vater in Anzug und Krawatte am Tisch sitzen. Diese Idylle in Schwarz-Weiß – anscheinend ein altes Werbefoto für irgendwas ganz anderes – wird mit zwei Sprechblasen ergänzt:

Sohn: »Dad why are there no muslims in Star Trek?«

Vater: »Because it’s the future son.«


Hier wird eine Frage aufgegriffen, die ich mir seit meinen Teenagerjahren in den 90ern selbst gestellt habe: Wie kommt es, dass muslimische oder muslimisch gelesene Figuren gar nicht bis sehr selten in den Mainstreamprodukten der westlichen Welt, sprich der USA und Europas, vorkommen? Wenn ich im nicht muslimischen und fast ausschließlich weißen Kolleg*innen und Freund*innenkreis frage, die sich in einem großen Spektrum professionell bis hobbymäßig mit Science Fiction und Fantasy beschäftigen, werden nach kurzem Nachdenken zwei Namen genannt: Bashir aus STAR TREK: DEEP SPACE NINE und Avasarala aus THE EXPANSE – meist noch gefolgt von einem zögerlichen »Vielleicht noch Khan?«.

Ist das so?

Doktor Julian Subatoi Bashir ist Chefarzt auf der Raumstation Deep Space 9 aus der gleichnamigen STAR TREK-Serie, die von 1993 bis 1999 ausgestrahlt wurde und im 24. Jahrhundert des STAR TREK-Universums stattfindet. Verkörpert wird die Figur vom sudanesischbritischen Schauspieler Alexander Siddig und Bashirs vermeintlicher Glaube oder eine Religionszugehörigkeit innerhalb der Serie wird nie thematisiert oder offengelegt. Hierbei ist zu erwähnen, dass es vor Serienbeginn kein Charakterkonzept für Bashir gab und erst beim Casting von Siddig, der ursprünglich für die Rolle des Captains Sisko vorgesehen war, anschließend die Rolle des angedachten Doktors von Julian Amoros zu Julian Bashir geändert wurde.

Chrisjen Avasarala ist die stellvertretende UN-Untersekretärin der Exekutivverwaltung der Erde in der Science-Fiction-Romanreihe THE EXPANSE, die im 24. Jahrhundert unserer Zeit spielt und vom Autorenduo James S. A. Corey erschaffen wurde. Avasarala ist eine indische Frau jenseits der 60 mit tiefer politischer Raffinesse, die in der gleichnamigen Serie THE EXPANSE von der iranisch-amerikanischen Schauspielerin Shohreh Aghdashloo gespielt wird. Laut den Büchern ist Avasarala Buddhistin.

Khan Noonien Singh ist ein wiederkehrender Gegenspieler in der Welt von STAR TREK, der erstmals 1967 in der Originalserie in Erscheinung getreten ist. Danach trat die Figur erneut in den STAR TREK-Filmen Der Zorn des Khan im Jahre 1982 und Into Darkness 2013 auf. Khan ist ein genetisch manipulierter »Übermensch«, der eine indische Herkunft hat. Er wurde in der Serie und im Film von 1982 vom mexikanischen Schauspieler Ricardo Montalbán und zuletzt 2013 vom britischen Schauspieler Benedict Cumberbatch gespielt. Eine vermeintliche Religion von Khan wurde in STAR TREK-Produkten bisher nicht thematisiert.


THE EXPANSE

Marked Muslims

Bei keiner der drei Figuren wurde je explizit erwähnt, dass sie muslimisch seien. Wie kommt es dann, dass sie den Befragten zuerst in den Sinn kommen, wenn sie über muslimische Figuren in Science Fiction nachdenken – insbesondere wenn die Definition eine*r Muslim*in »Person islamischen Glaubens« oder »Angehörige*r des Islam« ist?

Bei allen handelt es sich im Vergleich zu den mehrheitlich westlich geprägten menschlichen Figurenensembles in den Serien um »Fremde«: Die angenommene Religionszugehörigkeit wird hier mit einer von der repräsentierten westlich eurozentristischen Norm abweichenden nahöstlichen oder indischen Herkunft verknüpft. Von dieser Assoziation sind nicht nur praktizierende Muslim*innen betroffen, sondern auch Figuren, die aufgrund ihres physischen Aussehens oder Namens – Bashir, Avasarala und Khan – muslimisch markiert werden, unabhängig davon, ob sie es sind oder sich selbst so bezeichnen würden: Sie werden aber als Muslim*innen gelesen. Werden in der realen Welt diese Assoziationen zusätzlich mit negativen Zuschreibungen versehen, die zur Ausgrenzung und Diskriminierung führen, ist die Rede von antimuslimischem Rassismus, wie es bisweilen Kopftuch tragende Frauen und Arabisch sprechende Menschen mit einem nahöstlichen Migrationshintergrund in den westlichen Ländern erleben.

Screentime vs. Symbolic Annihilation

Khan ist ein faszinierender Gegenspieler, der in zwei Filmen der Antagonist war, und sowohl Bashir als auch Avasarala sind Hauptfiguren in den jeweiligen Serien – sie haben genug Screentime, um sich mit ihrer Diversität im Gedächtnis des Publikums festzusetzen. Auch wenn sie nicht genuin muslimisch erschaffen wurden, geben die beiden Letztgenannten positive Repräsentationen ab – wenn Zuschauer*innen sie muslimisch lesen würden.

Der Grund für die Assoziation der Anfangsfrage mit diesen drei Figuren ist die fehlende Repräsentation von muslimischen Figuren in Mainstream-SF aus dem Westen allgemein. Auch wenn gerade in vielen futuristischen Welten postreligiöse oder säkulare Verhältnisse herrschen, sind muslimisch gelesene Figuren – insbesondere in entscheidenden (Haupt-)Rollen eine Rarität.

In einer Welt, in deren Beschreibung oder visueller Darstellung eine bestimmte Gruppe Menschen – in unserem Beispiel Muslim*innen – nicht vorkommt, liegt der Schluss nahe, dass sie in dieser Welt auch nicht existiert oder sie keine nennenswerte Rolle spielt – zumindest so lange, bis sie explizit thematisiert wird.

Es gibt Welten, in denen das Nichtvorhandensein einer bestimmten Gruppe innerweltlich begründet wird: In vielen Science-Fiction-Settings wird die Abwesenheit von Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen durch einen technologischen Fortschritt erklärt. Oder Ethnien und Nationen wurden durch erdumfassende Kriege und Seuchen ausgelöscht. Doch eine innerweltlich fehlende, kohärente Erklärung für das völlige Fehlen von Repräsentation kann zum Ausdruck bringen, dass bestimmte Personengruppen in dieser Welt schlicht nicht existieren (sollen). Insbesondere in fiktionalen Welten wie Science Fiction ist diese Botschaft besonders bitter: Ihre Schöpfer*innen verfügen über jede kreative Freiheit, allen einen Raum in der Welt zu geben, und nutzen sie nicht.

Für dieses symbolische Auslöschen einer Gruppe Menschen aus dem medialen Bewusstsein hat der Kommunikationswissenschaftler George Gerbner ebenjenen Begriff der »Symbolic Annihilation« geprägt – die Verweigerung einer adäquaten Repräsentation in Medien. Das heißt in unserem Zusammenhang: Findet man in einer Science-Fiction-Welt keine Muslim*innen, erwächst mit großer Wahrscheinlichkeit bei vielen von ihnen beim Konsum solcher Produkte das Gefühl des Nichtdazugehörens und des Nichterwünschtseins.

Sayid & Samir – Happily ever after?

Minimale Thematisierungen von Muslim*innen und dem Islam am Rande mögen wie auch 1993 in der ersten Staffel der Serie BABYLON 5, in der im 23. Jahrhundert diverse Religionen der Welt vorgestellt werden und ein Vertreter des Islams mitspielt, in Science-Fiction-Serien vorgekommen sein. Die erste explizit muslimische Figur mit einer tragenden Hauptrolle in einer SF-Serie war jedoch Sayid Hassan Jarrah. Von 2004 bis 2010 spielte damals der britische Schauspieler mit indischem Migrationshintergrund Naveen Andrews in LOST den Iraker Sayid, der einen Flugzeugabsturz auf eine mysteriöse Insel überlebt habt. Sayids Religion bleibt meist im Hintergrund und wird ab und zu eingestreut, wie wenn er die Schahāda – das islamische Glaubensbekenntnis – aufsagt oder den Salāt – das islamische Gebet – praktiziert. Nach dem Tod einer geliebten Person lässt er seine Gebetskette auf ihrem Grabkreuz liegen und in einer Folge besteht er darauf, die Leiche eines muslimischen Freundes den islamischen Bräuchen entsprechend zu begraben. Anfangs von Schicksalsgenoss*innen auf der Insel wegen seines Aussehens als Terrorist oder nur als Araber bezeichnet, gilt er von Anfang an als eine tragende und positiv besetzte Figur. Diese bleibt trotz aller Sympathien alles andere als moralisch unproblematisch, denn Sayid ist auch ein Kindermörder und geläuterter Folterer – aber nichts davon wird mit seiner Religionszugehörigkeit verknüpft.

Eine aktuellere Figur ist Samir Abboud in der 2018 ausgestrahlten ersten Staffel der Serie ALTERED CARBON – DAS UNSTERBLICHKEITSPROGRAMM, der Serienadaptation des Romans von Richard Morgan. Samir wird von dem amerikanischen Schauspieler mit palästinensischer Migrationsgeschichte Waleed Zuaiter verkörpert. Samir ist Polizist im 24. Jahrhundert und der Dienstpartner der Hauptprotagonistin Kristin Ortega beim Bay City Police Department. Er spricht hin und wieder Arabisch, erwähnt Allah und wird von einer Christin, die ihm sehr nahesteht, als eine Person definiert, die an einen anderen Gott glaubt als sie selbst. Ungefähr in der Mitte der ersten Staffel opfert er sein Leben, als er sich schützend zwischen seine Partnerin Ortega und eine tödliche Kugel wirft. Samir existiert nicht im Roman und wurde eigens für die Serie erschaffen, die somit eine weitere Dimension von kultureller und religiöser Diversität erfährt. Die Figur wird durchweg positiv als eine väterliche, milde und behutsame Person dargestellt, verschwindet allerdings zu schnell von der Bildfläche. Sein Tod stellt den gewohnten Status quo der uniformen Gesellschaft ohne den kulturell und religiös fremdempfundenen »Anderen« wieder her. In Anlehnung an die Trope des »Bury Your Gays« – wer sich auf gleichgeschlechtliche Liebe einlässt, nimmt kein gutes Ende – kann hier auch von »Bury Your Muslims« die Rede sein.

Deutschsprachiger Mikrokosmos

Gehen wir vom großen Mainstream zur aktuellen deutschsprachigen Science Fiction, sind muslimische Figuren nicht minder rar gesät. In seinem Near-Future-Hörbuch Neopolis – Die Stadt aus Licht, das dieses Jahr erschien und im Jahre 2048 spielt, bedient sich der Autor Karl Olsberg an Saudi-Arabien als Kulisse und baut einen Thriller um das Thema der Augmented Reality mit der islamischen Mythologie als Kernelement – wobei die Muslim*innen als klischeehafte Randfiguren fungieren. Judith und Christian Vogt vermengen in ihrem 2019 erschienenen Hopepunk-Roman Wasteland, der in einem futuristischen Deutschland nach einer Apokalypse im Jahre 2064 spielt, Redewendungen in diversen Sprachen zum Allgemeingut der Überlebenden, sodass inşallah, Allah-weiß-wohin, (Aman) Allahım und maşallah Teil einer englisch-deutsch-türkisch durchdrungenen, als alltäglich und normal empfundenen neuen Sprache werden. Zudem betet die Protagonistin Laylay zu Allah. Im Rollenspiel Aces in Space, das dieses Jahr von Harald Eckmüller und ebenfalls von den Vögten herausgebracht wurde, gibt es sogar eine mit Kopftuch illustrierte muslimische Archetypin: die Influencerin. Das 2018 ins Deutsche übertragene Rollenspiel Coriolis – Der dritte Horizont baut in seinem Space-Opera-Setting fast ausschließlich auf islamische und nahöstliche Mythologie auf. Dass die Vorfahren aller in der Zukunft überlebenden Menschen aus dem Nahen Osten stammen, spiegelt sich weitestgehend frei von Exotik in jeglicher Form des kulturellen Alltags wieder – von Namensgebung über Kleidung bis zu sozialen Gepflogenheiten.


Appell/Frust/Fazit

Diese Aufzählungen, insbesondere im deutschsprachigen Raum, mögen optimistisch stimmen, trotzdem sind das nur erste wackelige Schritte in der Repräsentation von Muslim*innen, die im westlichen Mainstream quasi nicht existent ist. Sie bleibt nicht im Gedächtnis haften und glänzt mit einer ausufernden Abwesenheit – so prägt es sich auch ins (pop-)kulturelle Gedächtnis der Rezipient*innen wie auf dem eingangs gezeigten Bild ein: »In der Zukunft gibt es keine Muslim*innen.« Vielleicht ist es ja an der Zeit, in einen der zukünftigen STAR TREK-Ableger einen muslimisch konzipierten Sufi-Vulkanier zu implementieren – schließlich kennt Science Fiction bekanntlich keine Grenzen!

Literatur:

Gerbner, Georg & Larry Gross: »Living with Television: The violence profile«. In: Journal of Communication, 1976. S. 172–199.

Hafez, Farid: »Antimuslimischer Rassismus und Islamophobie: Worüber sprechen wir?«. In: Uçar, Bülent & Wassilis Kassis (Hrsg.): Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit. V&R unipress: Göttingen, 2019. S. 57–75.

Hulan, Haley: »Burry Your Gays: History, Usage, and Context«. In: McNair Scholars Journal, Vol. 21, No. 1, S. 17–27.

Kanzler, Katja: »›Khan!‹ – Verfremdung und Serialität als Modi politischer Reflexion in Star Trek«. In: Besand, Anja (Hrsg.): Von Game of Thrones bis House of Cards – Politische Perspektiven in Fernsehserien. Springer VS: Wiesbaden, 2018. S. 71–85.

Merz, Sibille: »Islam«. In: Arndt, Susan & Nadja Ofuatey-Alazard (Hrsg.): (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache – Ein kritisches Nachschlagewerk. Unrast: Münster, 2015. S. 365–377.

Reeves-Stevens, Garfield & Judith Reeves-Stevens: Star Trek, Deep Space Nine – Die Realisierung einer Idee. Heyne: München, 1996.

Reiss, Frank: »Wofür wir eine bessere Repräsentation von Vielfalt im Pen & Paper-Rollenspiel brauchen«. In: Vogt, Judith, Frank Reiss & Aşkın-Hayat Doğan (Hrsg.): Roll Inclusive – Diversität und Repräsentation im Rollenspiel. Feder & Schwert: Köln, 2019. S. 9–29.

Das Science Fiction Jahr 2020

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