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Mareike Spychala

Military SF für das 21. Jahrhundert

Kameron Hurleys The Light Brigade

Liest man Reviews zu Kameron Hurleys The Light Brigade, dessen Titel ein klarer Bezug auf Alfred Lord Tennysons Gedicht »The Charge of the Light Brigade« (dt. »Der Todesritt der leichten Brigade«) ist, das er kurz nach der Schlacht von Balaklawa im Krimkrieg verfasste, findet man schnell heraus, dass das Buch nicht nur dem (Sub-)Genre der Military SF zuzuordnen ist, sondern auch dass es vor Anspielungen an Vorgänger in diesem Genre nur so strotzt.[1] Am häufigsten wird in diesen Reviews wohl Robert Heinleins Starship Troopers (1959; 2014) erwähnt, sicherlich, weil in beiden Romanen Staaten – oder im Fall von Hurleys Light Brigade Megakonzerne – das Leben der Menschen bestimmen, unter anderem dadurch, dass Militärdienst einen Weg zur Erlangung der Staatsbürgerschaft darstellt. Aber in beiden Texten kommen außerdem sowohl Soldaten als auch Soldatinnen vor. Andere Science-Fiction-Klassiker, die The Light Brigade referenziert, schließen auch Joe Haldemans The Forever War (1974) und Kurt Vonneguts Slaughterhouse-Five (1969) mit ein. Das Buch stellt sich damit bewusst – wie die Autorin im Nachwort hervorhebt – in eine Reihe mit einigen Klassikern des Genres, aber ohne dabei einfach abzuschreiben. Stattdessen greift es Themen, die seit Langem in der Military SF verhandelt werden, auf und spinnt sie weiter. Besonders wenn es um die Themen Geschlecht und Sexualität geht.

The Light Brigade ist ein Buch, das es seinen Leserinnen und Lesern nicht einfach macht. Abgesehen davon, dass bis zum Ende das Geschlecht von Dietz unklar bleibt, finden auch Dietzs Bewegungen durch Raum und Zeit nicht linear statt. So müssen Leserinnen und Leser zusammen mit der Hauptfigur herausfinden, was mit den anderen Soldatinnen und Soldaten der Einheit passiert ist, wer eigentlich der Feind ist, gegen den sie kämpfen, und ob es eine Möglichkeit gibt, den Krieg und die Zeitschleife, in der Dietz steckt, zu beenden. Die zeitlich gebrochene Erzählstruktur scheint dabei nicht nur ein Versuch zu sein, Kriegstrauma und die inkohärente Struktur traumatischer Erinnerungen erzählerisch darzustellen, sie sorgt auch dafür, dass der Spannungsbogen konstant hoch bleibt und Leserinnen und Leser eine ähnliche Verwirrung erleben wie Dietz selbst. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass zwischen Dietzs Geschichte immer wieder Auszüge aus Vernehmungsprotokollen geschaltet sind und es erst gegen Ende des Romans klar wird, wer hier von wem befragt wird.

Während in Heinleins Starship Troopers von Anfang an klar ist, dass im Militär kein Unterschied basierend auf Religion oder Ethnizität gemacht wird, geht The Light Brigade noch weiter. Abgesehen davon, dass Dietz zusammen mit anderen Soldaten und Soldatinnen aus allen gesellschaftlichen Klassen und Gruppierungen dient, scheint es keine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung zu geben. Dietz selbst ist vermutlich bi- oder pansexuell – auch wenn diese Begriffe im Text selbst nicht fallen. Neben der futuristischeren Technologie, die in Hurleys Roman verwendet wird (die Soldaten werden in Lichtpartikel umgewandelt und reisen so durch den Weltraum – und durch die Zeit, wie in Dietzs Fall), ist dies vielleicht der größte Unterschied zu Starship Troopers. Die Infanterie in Heinleins Roman ist geprägt von einer technologisch gestützten Maskulinität; allerdings bietet die Technologie hier auch einen Ort, an dem sich Ängste zum Thema Geschlecht kristallisieren, wie zum Beispiel Helen Merrick angemerkt hat.[2] Das liegt zu einem großen Teil daran, dass alle Piloten in Heinleins Roman Frauen sind, also nicht komplett vom Militärdienst und der damit verbundenen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Zugleich sind die Pilotinnen und ihre Schiffe auch einer der Gründe, warum die Hypermaskulinität der Soldaten bedroht ist. Wie Steffen Hantke darlegt, kann der Erzähler nicht verhindern, dass sich die Metapher immer wieder in Richtung Infantilisierung, Schwangerschaft und dem Trauma der Geburt verschiebt.[3] Generell, so Hantke, drücken sowohl der Roman als auch die Filmversion von Starship Troopers (1997) eine Angst vor dem durch Technologie kompromittierten Körper aus.[4] Eine ähnliche Angst ist auch Teil von Hurleys The Light Brigade, hier allerdings losgelöst von den geschlechtlichen Konnotationen, die in Heinleins Roman so prädominant sind.

Ein weiterer Unterschied zwischen den zwei Romanen liegt darin, wie Männer und Frauen im Militärdienst dargestellt werden. Die kategorische Unterscheidung in Pilotinnen und Infanteriesoldaten in Starship Troopers reproduziert nicht nur die Annahme, dass nur die Erfahrung direkter Kampfhandlung jemanden zu einem »echten« Soldaten macht – eine Ansicht, die James Campbell »combat gnosticism« nennt –, sie verknüpft dieses Soldatsein auch unwiederbringlich mit Männlichkeit, und das, obwohl die Hightech-Kampfanzüge, die die Infanterie in Starship Troopers nutzt, gängige Argumente über eine angebliche bessere körperliche Eignung von Männern zum Kampfeinsatz ad absurdum führen.[5] Die Kommentare der Hauptfigur Johnny Rico über die Pilotinnen, zum Beispiel die Bemerkung, dass »es dabei nichts Angenehmes [gibt]«, wenn eine Pilotin ein Schiff steuert, oder die Beschreibung Carmencitas als »einer der schönen Effekte, wenn man einer Spezies mit zwei getrennten Geschlechtern angehört« machen außerdem klar, dass Frauen trotz ihres Militärdienstes vordergründig als Objekte männlicher Begierde und nicht als ernstzunehmende, facettenreiche Charaktere dargestellt werden.[6] Und obwohl der Erzähler zugeben muss, dass Frauen bessere Piloten sind, weil sie schnellere Reflexe haben und größere Beschleunigungen aushalten können, zeugt dies doch auch wieder von der essentialistischen Geschlechterkonzeption, die dem Roman zugrunde liegt.

Gleichzeitig ist die Inklusion von Frauen als Pilotinnen im Militär ein Paradebeispiel für die Militarisierung der abgebildeten Gesellschaft und besonders die Militarisierung von Frauen. Wie Cynthia Enloe oft kritisiert hat, zum Beispiel in Does Khaki Become You? The Militarisation of Women’s Lives (1983), geschieht die fortschreitende Einbindung von Frauen in das Militär nicht primär aus dem Wunsch heraus, größere Gleichberechtigung herzustellen und Frauen in die auf Machiavelli und Rousseau zurückgehende Tradition der Bürgersoldaten einzuschließen, die in den USA fest verankert ist, sondern aus dem Drang zur Kontrolle.[7] Einen zweiten Grund, weshalb die Milizen der herrschenden Megakonzerne nicht zwischen Männern und Frauen unterscheiden, liegt auch darin begründet, dass sie Frauen brauchen, um ihre militärische Kampfkraft aufrechtzuerhalten. Hier also spinnt Hurley die Folgen der Umwandlung des U. S. Militärs in eine Freiwilligenarmee weiter, genauso wie den immer weiter verbreiteten Einsatz von privaten Milizen während des sogenannten »War on Terror«.

Genauso wie andere Genretraditionen evoziert The Light Brigade die in der Kriegsliteratur und Military SF mit dem Soldaten eng verknüpfte Hypermaskulinität bewusst, um mit den Lesegewohnheiten und Genreerwartungen der Leser zu spielen. Die Welt, in der der Roman spielt, und der Kriegsplot, aber auch die Referenzen zu Dietzs Exfreundin und Beziehungen, die sie mit anderen Soldatinnen und Soldaten hat, erlauben es Leserinnen und Lesern anzunehmen, dass es sich bei Dietz um einen männlichen Charakter handelt. Dies ist natürlich auch dadurch bedingt, dass die Figur des Soldaten in der amerikanischen – aber auch der weiteren westlichen Welt – fast ausschließlich männlich gelesen und dargestellt wird. Diese Zuschneidung liegt einerseits darin begründet, dass Soldaten lange Zeit Männer waren, allerdings nicht ausschließlich. In allen Kriegen der USA, vom Unabhängigkeitskrieg bis zu Konflikten in der heutigen Zeit, nahmen Frauen teil, oft in »klassischen« Rollen als Ehefrau, Wäscherin oder Sexarbeiterin, doch Frauen oder als weiblich gelesene Menschen zogen auch in den aktiven Kampf. Erst mit stringenten Musterungsverfahren im 20. Jahrhundert wurde es Frauen quasi unmöglich gemacht, sich in Kampfeinheiten einzuschleusen. Und obwohl Deborah Sampson, die als Robert Shirtliff im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg kämpfte, zumindest in ihrer eigenen Zeit für ihren Kampfeinsatz bekannt war – vor allem durch die Biografie The Female Review (1797) von Herman Mann – sind ihre und ähnliche Geschichten heutzutage größtenteils unbekannt.


Hurley nutzt dieses kulturell dominante Narrativ über männliche Soldaten in The Light Brigade und lässt den Leser erst kurz vor Ende des Romans herausfinden, dass Dietz eine Frau ist. Es ist ein narrativer Trick, der Leser und Leserinnen nicht nur mit ihren eigenen Annahmen konfrontiert, die durch Traditionen des Genres zu einer bestimmten Rezeptionen ge- oder besser verleitet werden. Die retrospektive Erzählung und vor allem die ausführlichen Beschreibungen der Grundausbildung und Kampfhandlungen, aber auch die vielen Referenzen zu anderen bekannten Military-SF-Romanen wie Starship Troopers verstärken diesen Effekt nur noch. Gleichzeitig werden sich einige Leser in Anbetracht der späten Aufdeckung der Tatsache, dass Dietz eine Frau ist, an den Charakter Samus Aran des Videospiels Metroid (1986) erinnert fühlen.

Wenn man Hurleys bisheriges Oeuvre kennt, dann ist dieser erzählerische Trick vielleicht weniger überraschend, sind doch sowohl ihre Vorgängerromane The Stars Are Legion (von der Autorin in den Sozialen Medien auch liebevoll »Lesbians in Space« genannt) als auch die THE BEL DAME APOCRYPHA-Reihe für ihre Protagonistinnen bekannt. Und auch in ihrer Essaysammlung The Geek Feminist Revolution (2016) und besonders im darin enthaltenen preisgekrönten Essay »We Have Always Fought: Challenging the Women, Cattle, and Slaves Narrative« – zuerst 2013 auf dem Blog A DRIBBLE OF INK und später in LIGHTSPEEDs Sonderausgabe »Women Destroy Science Fiction« veröffentlicht – geht Hurley auf die Darstellung von Frauen im Krieg ein – und vor allem darauf, dass Frauen so oft als Nicht-Kämpfer dargestellt werden. In diesem Essay schreibt Hurley unter anderem und frei übersetzt:

Und wenn wir über Krieg sprechen, sprechen wir über Soldaten und weibliche Soldaten.

Da wir so sprechen, wenn wir über Geschichte sprechen, und das Wort ›Soldaten‹ nutzen, werden alle Frauen, die gekämpft haben, sofort ausradiert. Daher kommt es nicht überraschend, dass die Leute, die Wikingergräber ausheben, sich nicht darum gekümmert haben zu überprüfen, ob die Gräber für Männer oder Frauen waren. Es waren Gräber, in denen Schwerter gefunden wurden. Schwerter sind für Soldaten. Soldaten sind Männer.

The Light Brigade kann zum Teil als Hurleys fiktionale Weiterschreibung dieses Essays gesehen werden. Indem sie vermeidet, Dietz ein eindeutiges Geschlecht zuzuschreiben, aktiviert der Roman genau die kulturellen Narrative, die Hurley im obigen Zitat anspricht. Der Roman demonstriert die Wirkmacht dieser Narrative umso mehr, da ein Großteil der Nebenfiguren Frauen sind. Dennoch, und dies deuten zumindest viele Reviews des Buches an, ist die Auflösung, dass Dietz eine Frau ist, für viele Leser eine Überraschung und zeigt, dass die Annahme, dass ein Soldat und Protagonist in einem Military-SF-Roman ein Mann sein muss, noch immer weit verbreitet ist.

Die Tatsache, dass Dietz nicht die einzige Soldatin in diesem Roman ist, bewahrt sie außerdem davor, zu einem Token-Charakter zu werden, und stellt die tief sitzende Genretradition der Unterscheidung in kämpfenden Soldat und wartende Frau und die damit verknüpften Werte noch auf eine andere Weise infrage. Jean B. Elshtain spricht in ihrer Monografie Women and War (1995) im Zusammenhang mit Kriegsdarstellungen von den Figuren des »Just Warrior« und der »Beautiful Soul«, die mit Bezug auf Gender die dominanten Subjektpositionen darstellen.[8] Dadurch, dass eine der prominentesten Gegenspielerinnen, mit denen Dietz sich auseinandersetzen muss, auch eine Frau ist, destabilisiert sich die Annahme, dass Frauen in der Position der »Beautiful Soul« zu gut für die Welt sind, aber absolut notwendig.[9] Wenn der Roman neben den anderen weiblichen Nebenfiguren sowohl eine Protagonistin als auch eine Antagonistin hat, ist es schwerer – wenn nicht sogar fast unmöglich – beide als Ausnahme der Regel darzustellen. Dietz ist keine positive Ausnahme unter den Soldatinnen, ebenso wenig ist ihre Antagonistin eine negative. Stattdessen bricht The Light Brigade mit der Annahme, dass Frauen »bessere Menschen« sind und deswegen ein militärisches System radikal verändern würden. Ganz im Gegenteil, eine weitere Stoßrichtung des Romans ist, dass das militärische System jeden vereinnahmt. Oder zumindest fast jeden, denn Dietz schafft es am Ende, aus der Zeitschleife, in der sie gefangen ist, auszubrechen, und so kann sie versuchen den endlosen Krieg zu beenden. Vielleicht ist The Light Brigade ja ein Wendepunkt für die Military SF und zieht mehr Interventionen in eingefahrene Genre- und Geschlechtertraditionen nach sich.

[1] Moher, Aidan. »War is Hell: The Light Brigade by Kameron Hurley.« Tor.com, 20. März, 2019, https://www.tor.com/2019/03/20/book-reviews-the-light-brigade-by-kameron-hurley/; Dina. »A Forever War: Kameron Hurley – The Light Brigade.« SFF Book Review, 23. Sept., 2019, https://sffbookreview.wordpress.com/2019/09/23/a-forever-war-kameron-hurley-the-light-brigade/; Liptak, Andrew. »The Light Brigade is a Worthy Successor to Starship Troopers.« The Verge, 28. März 2019, https://www.theverge.com/2019/3/28/18276076/kameron-hurley-the-light-brigade-military-science-fiction-book-review

[2] Merrick, Helen. »Gender in science fiction.« In The Cambridge Companion to Science Fiction, edited by Edward James and Farah Mendlesohn, Cambridge UP, 2003: 245–246.

[3] Hantke, Steffen. »Surgical Strikes and Prosthetic Warriors: The Soldier’s Body in Contemporary Science Fiction.« Science Fiction Studies, 25.3 (1998): 499.

[4] Hantke, 500.

[5] »Combat Gnosticism: The Ideology of First World War Poetry Criticism.« New Literary History, 30.1, (1999): 203.

[6] Heinlein, Robert A. Starship Troopers: Der Science Fiction Klassiker von Robert A. Heinlein. Mantikore, 2014.

[7] Enloe, Cynthia. Does Khaki Become You? The Militarization of Women’s Lives. South End P, 1983.

[8] Elshtain, Jean B. Women and War, University of Chicago Press, 1995: 4.

[9] Elshtain, 140.

Das Science Fiction Jahr 2020

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