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FinTechs/InsurTechs sind Unternehmen der Finanzbranche/Versicherungsbranche, die neue Technologien nutzen, um innovative Produkte zu entwickeln und anzubieten und/oder Unternehmensprozesse mithilfe dieser Technologien neu zu gestalten, sodass ein Wettbewerbsvorteil gegenüber etablierten und traditionell agierenden Konkurrenten erzielt werden kann.

Mit den Errungenschaften im Bereich der digitalen Technologien gehen aus betriebswirtschaftlicher Sicht vor allem Kostensenkungs- und Rationalisierungspotenziale einher. Auch in der Finanz- und Versicherungswirtschaft lassen sich immer mehr Tätigkeiten automatisieren, sodass Geschäftsprozesse beschleunigt, Personalkosten gesenkt und gleichzeitig die Qualität der betrieblichen Leistung verbessert werden kann. Sind Prozesse vollständig automatisiert, so spricht man in Versicherungsunternehmen von sog. Dunkelverarbeitung, weil die Arbeitsschritte weitestgehend ohne menschliche Beobachtung und Einflussnahme ablaufen. Zur Dunkelverarbeitung eignen sich hauptsächlich standardisierte Vorgänge, bspw. bei der Erstellung von Bescheiden oder der Datenkontrolle, die durch gleichartige oder ähnliche Tätigkeiten geprägt sind, welche in hoher Zahl zu verrichten sind.

Weil Transaktionen, d. h. der Austausch von Verfügungsrechten29 und Informationen, bei Finanzdienstleistungen eine zentrale Rolle einnehmen, haben Technologien, welche die mit solchen Transaktionen verbundenen Kosten beeinflussen, erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Finanz- und Versicherungsbranche. Transaktionskosten entstehen vor Abschluss eines Versicherungsvertrages bspw. in Form von Informations- und Verhandlungskosten, während nach Vertragsabschluss z. B. Kosten für die Kontrolle und Durchsetzung der Vereinbarungen auftreten. Mittels digitaler Technologien wurden letztere Kosten in den vergangenen Jahren erheblich gesenkt. Mithilfe von Vergleichsplattformen können Versicherungskunden heute innerhalb kürzester Zeit im Internet eine Vielzahl von Versicherungsprodukten vergleichen und das für sie günstigste Angebot finden. Online-Makler und Contract Manager vereinfachen den Abschluss und die Verwaltung von Versicherungsverträgen.

Im Hinblick auf Transaktionen und die mit ihnen verbundenen Kosten ist auch die Entwicklung der Blockchain-Technologie zu beachten, welche die Grundlage für ein neues, dezentralisiertes Transaktionssystem legte, in der die Notwendigkeit des Vertrauens in einen Transaktionspartner durch das Vertrauen in einen automatisierten, computer- und netwerkbasierten Prüf-, Speicher- und Konsens-Mechanismus ersetzt wird. Über Blockchains können Verfügungsrechte sehr schnell und einfach übertragen werden. Viele Transaktionen, die bislang über zentrale Instanzen und Intermediäre durchgeführt wurden, können auf Blockchains zu wesentlich günstigeren Konditionen abgewickelt werden.30 Zusammen mit sog. smart contracts, d. h. Verträgen, die in Computerprogrammen digital abgebildet und mittels Blockchain-Technologie dezentral gespeichert werden können, ergeben sich spannende Anwendungsmöglichkeiten in der Versicherungswirtschaft, denn smart contracts erlauben die automatische Einhaltung und Überprüfung von Vertragsbedingungen und ermöglichen die selbsttätige und eigenständige Veranlassung von Aktionen. Sind bspw. die Schadenersatzleistungen an die Versicherungsnehmer von den Werten bestimmter, messbarer Parameter abhängig (z. B. Flugverspätung, Windgeschwindigkeit, Erdbebenstärke, Niederschlagsmenge, Temperatur), so kann die Absicherung des Schadenereignisses vollautomatisch durch eine parametrische Versicherung erfolgen, bei der die Vertragsbedingungen in Form von wenn/dann-Anweisungen in einem smart contract hinterlegt und dezentral in einer Blockchain gespeichert werden. Der Eintritt des Schadenereignisses kann sodann durch den smart contract automatisch in externen Datenbanken (z. B. Flug- oder Wetterdatenbanken) geprüft werden. Eine solche Blockchain-basierte Versicherung bringt für die Kunden einige Vorteile mit sich: Neben dem geringen zeitlichen Aufwand beim einfachen online-Vertragsabschluss31 profitiert der Kunde von schnellen, automatisierten Entschädigungsleistungen – bei denen kein Schadennachweis erforderlich ist – sowie Benutzerfreundlichkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Auch für das Versicherungsunternehmen können Vorteile in Form von Kostensenkungen und der Erschließung neuer Kundengruppen resultieren. Jedoch ist zu beachten, dass im Zusammenhang mit der Blockchain-Technologie oft noch erhebliche Hürden, wie z. B. rechtliche Unsicherheit, fehlende Standardisierung und Fachkräftemangel, zu meistern sind. Sollte es indes gelingen, die zuletzt genannten Schwierigkeiten zu bewältigen, so ist mithilfe eines automatisierten und dezentralisierten Versicherungsgeschäfts eine Absicherung gegen nahezu jedes Risiko weltweit denkbar, falls für das zugrundeliegende Risiko ein messbarer Parameter existiert. Die Meinungen unter Versicherungswissenschaftlern zum Potenzial der Blockchain-Technologie im Versicherungssektor sind allerdings höchst divergent. Während einige Wissenschaftler der Technik ein disruptives Potenzial im Versicherungssektor zutrauen32 schätzen andere ihre Bedeutung für die Versicherungsindustrie als eher gering ein.

Die von verschiedenen Seiten antizipierte Disruption, d. h. Zerschlagung des bestehenden Geschäftsmodells der Versicherungswirtschaft, durch die neuen, digitalen Technologien ist bislang nicht erkennbar. Dennoch spüren die etablierten Versicherungsunternehmen den zunehmenden Wettbewerbsdruck durch die neuen Anbieter und erkennen den bestehenden Handlungsbedarf im Hinblick auf die Anpassung ihrer Fähigkeiten, technischen Ausstattung, Strukturen und Prozesse, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben zu können. Dazu wird insbesondere bei den großen Versicherungskonzernen gezielt in digitale Technologien investiert sowie bei der Ausbildung und Entwicklung der Mitarbeiter im Unternehmen und in den ausbildungsintegrierten Studiengängen an den Hochschulen auf den Erwerb der erforderlichen digitalen Kompetenzen geachtet. Ferner werden neue Technologien, wie bspw. die künstliche Intelligenz, in speziellen Einsatzgebieten (z. B. in der Schadenbearbeitung/-beurteilung) getestet oder bereits eingeführt.

Den jungen InsurTechs gelingt es vor allem durch ihr teils überlegenes technisches Know-how sowie ihre Schnelligkeit und Flexibilität im Wettbewerb mit den etablierten Anbietern zu punkten. Im Gegensatz zu den klassischen Versicherungsunternehmen können sie ihre Strukturen und Prozesse von Grund auf neu erstellen. In einzelnen Teilbereichen erzielen sie daher Effizienz- und Kostenvorteile gegenüber ihren Konkurrenten, deren teils veraltete Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind, sich oft nur unter hohem Aufwand erneuern lassen.33 Anpassungen an das sich dynamisch entwickelnde Wettbewerbsumfeld können bei den klassischen Versicherern daher eine längere Zeit in Anspruch nehmen als bei den InsurTechs.

Die Wettbewerbsvorteile der etablierten Unternehmen liegen hingegen in ihrer überlegenen Kapitalausstattung, ihrer hohen Markenbekanntheit und Reputation. Sie genießen i. d. R. das Vertrauen ihrer Kunden. Im Gegensatz zu ihren jungen Herausforderern befinden sie sich nicht in einer Aufbauphase und generieren positive Zahlungsströme aus dem bestehenden Geschäft – ihr Innenfinanzierungspotenzial ist daher wesentlich höher als das der InsurTechs. Somit sind sie weniger abhängig von externen Kapitalquellen und verfügen über ein stabileres »Fundament«, das sie weniger anfällig gegenüber Krisen macht und deshalb das Vertrauen ihrer Kunden rechtfertigt. Sie erfüllen auch meist problemlos die aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen. Gegenüber ihren Mitarbeitern können sie oft mit besseren Arbeitsbedingungen und einem vergleichsweise sichereren Arbeitsplatz punkten, sodass es ihnen gelingen dürfte, die dringend benötigten, hochqualifizierten Mitarbeiter besser an das eigene Unternehmen zu binden als dies bei jungen Start-up-Unternehmen der Fall ist. Zudem verfügen sie über langjährige Erfahrung im Umgang mit ihren Kunden und deren Bedürfnissen. Sie haben einen großen Kundenstamm und einen damit verbundenen, großen, aktuellen Datenbestand sowie ein hohes Datengenerierungspotenzial, das aufgrund des kleineren Kundenstammes bei den jungen Mitbewerbern nicht gegeben ist. Ferner haben sie langjährige Erfahrung hinsichtlich der Besonderheiten des Versicherungsmarktes. Insbesondere kennen sie die bestehenden regulatorischen Anforderungen besser als die jungen Start-ups und verfügen über die nötigen Strukturen, Prozesse und Mitarbeiter, um diese Anforderungen zu erfüllen.

Die Markteintrittsbarrieren am Versicherungsmarkt sind folglich hoch und können von kleinen, jungen und oftmals unerfahrenen Unternehmen mit geringer Kapitalausstattung kaum überwunden werden. Die Start-ups setzen daher vermehrt auf Kooperation statt Konfrontation. Die zuvor beschriebenen Stärken und Schwächen der etablierten Versicherungsunternehmen und ihrer jungen Mitbewerber gleichen sich teils gegenseitig aus, sodass Kooperationen zu Win-win-Situationen führen können. Die InsurTechs bringen technisches Know-how, Zugang zu jungen Kunden und innovative Lösungsansätze in gemeinsame Projekte ein und erhalten im Gegenzug die nötige Finanzierung. Zudem profitieren sie vom Kundenstamm, dem Datenbestand sowie der Markenbekanntheit und Reputation der etablierten Anbieter.

Während die jungen InsurTechs für die traditionellen Versicherungsunternehmen somit keine akute Bedrohung darstellen, welche ihre Marktposition in naher Zukunft ernsthaft bedrohen könnte, beobachtet die Branche zunehmend besorgt das Verhalten der amerikanischen Technologie-Konzerne (Google/Alphabet, Facebook, Amazon, etc.), denn letztere verfügen im Gegensatz zu den kleinen InsurTechs über eine hervorragende Kapitalausstattung, einen unmittelbaren Zugang zu Milliarden von Kunden bzw. Nutzern sowie einen riesigen Datenbestand, den sie mit ausgefeilten Analysetechniken auswerten und für ihre geschäftspolitischen Ziele einsetzen können. Von Kundenseite wächst zudem das Interesse an der sog. »BigTech-Versicherung«. Während im Capgemini World Insurance Report 2016 nur 17 % der befragten Kunden in Erwägung zogen bei großen Tech-Konzernen Versicherungsprodukte zu erwerben, waren es im Jahr 2020 im gleichnamigen Report bereits 36 %.34 Die Technologie-Konzerne könnten in naher Zukunft auf die steigende Nachfrage reagieren und geeignete Produkte auf dem Markt platzieren. Bei Amazon sind bereits Geräteschutzversicherungen im Angebot35 und Google hatte in den vergangenen Jahren schon Vorstöße in den Versicherungssektor gewagt36.

Neben den großen Tech-Anbietern verdienen auch kleinere, innovative und technologiegetriebene amerikanische Unternehmen, wie die Lemonade Insurance Company, Beachtung. Lemonade verkauft seit 2019 digitale Hausrat- und Privathaftpflichtversicherungen in Deutschland. Das Unternehmen wirbt mit sekundenschneller, einfacher und individualisierter Versicherung sowie Schadenmeldung via App, Chatbots und künstlicher Intelligenz. Es ist als gemeinnützige Gesellschaft (public benefit corporation) registriert und spendet einen Teil der eingenommenen Versicherungsprämien für wohltätige Zwecke, die vom Versicherungsnehmer ausgewählt werden können. Die Kombination aus papierlosem, einfachem und schnellem Versicherungsgeschäft, das sich auch durch die Wohltätigkeitskomponente vom klassischen Image37 der Versicherungsindustrie abzugrenzen versucht, wird in der Werbebotschaft »Verigss alles, was du über Versicherung weißt – Alles im Nu. Dufte Preise. Großes Herz«38 zusammengefasst. Seine Expansion in den europäischen Markt kündigte das Unternehmen wie folgt an: »So we’re thrilled to announce that Lemonade is coming to Europe – our first major market outside of the United States. Europe, the birthplace of modern insurance, is one of the largest insurance markets globally, and is home to the two largest insurers worldwide – AXA and Allianz. (Both are investors in Lemonade and dear friends. We’re kinda hoping they’ll see our European launch as a boost to their investment, rather than as the challenge to their business we hope it becomes.)«39

Neben den neuen Wettbewerbern, die im Zuge der Entwicklung und verstärkten Nutzung digitaler Technologien auf den Versicherungsmarkt drängen, bringen die neuen Techniken auch neue Risiken – sog. Cyberrisiken – mit sich.

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