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2. Krisentheologie in Einzelanalysen. Zu den Beiträgen des Bandes

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Hans-Anton Drewes, langjähriger Leiter des Karl Barth-Archivs in Basel und Editor des neuen Bandes der Gesamtausgabe, führt mit seinem Beitrag in Probleme und Themenstellungen der «Vorträge und kleineren Arbeiten 1914–1921» ein. Mit Behutsamkeit und Unterscheidungsvermögen behandelt er die Frage, ob die Theologie Barths in seiner Safenwiler Zeit «die Denkform eines dialektisch-theologischen Sozialismus» darstelle. Leitend für deren Beantwortung ist die Unterscheidung zwischen theologischen Denkfiguren, die eher einer «negativen Theologie» entsprächen, und der politischen Praxis Barths, in der sich die Entwicklung seines Verhältnisses zum Sozialismus in drei zu unterscheidenden Phasen abbilde. Für die Einschätzung der politischen Praxis sei es unerlässlich, die «Interaktionen und Interferenzen» unterschiedlicher sozialer Interessenträger zu beachten. Vor diesem Hintergrund müsse auch die theologische Verwendung des Sozialismusbegriffs verstanden werden, wie Drewes in der Nachzeichnung des Denkweges Barths anhand (teilweise) neu publizierter Texte zeigt. Als Leitmotive liessen sich dabei zum einen die «Unterscheidung der Zeiten», die Barths Geschichtstheologie wie zugleich seine Gegenwartsdeutung präge, zum anderen die Zentralstellung des Lebensbegriffs identifizieren.

In ihrem Beitrag «Der Anfang des 20. Jahrhunderts und die Schweiz: Versuch einer historischen Situierung der Schriften von Karl Barth» greift die Basler Historikerin Regina Wecker exemplarisch drei historische Ereignisse der Schweizer Geschichte in jenem Zeitraum heraus, um an ihnen Barths Interferenzen mit der Zeitgeschichte zu untersuchen: die Landesausstellung von 1914, das Fabrikgesetz von 1914/1920 und den Landesstreik 1918. Das erste dieser drei Ereignisse sei von Barth freilich weitgehend ignoriert worden. Gleichwohl liessen sich an ihm gesellschaftliche und politische Spannungen und Problemlinien erkennen, die sich in der Folgezeit verschärft und verstärkt hätten. Dazu zählen die Animositäten zwischen der Deutsch- und der Westschweiz, aber auch die sozialen Konflikte.

Diese seien im Zusammenhang der Revision des Fabrikgesetzes 1914 zu einem ersten manifesten Ausbruch gekommen, deren Umsetzung sich wegen des Kriegsausbruches dann jedoch bis 1920 verzögerte. Barth habe sich engagiert und vergleichsweise differenziert für Arbeitszeitverkürzung, Frauenschutz und bessere Löhne für die (männlichen) Fabrikarbeiter ausgesprochen. Seine Forderungen hätten «die bürgerlichen Vorstellungen, die das Haus als Wirkungsstätte der Frau sahen und die der Gewerkschaften» vereint. Der auf |15| die Brechung des «Burgfriedens» zwischen Bürgerlichen und Sozialdemokraten folgende landesweite Streik im November 1918 habe einen kritischen Barth auf der Seite der Gewerkschaften gesehen. Nach Weckers Darstellung sei die politische Haltung Barths wesentlich durch die Verschärfung der Spannungen zwischen bürgerlichen Kräften und Sozialdemokratie beeinflusst worden. Einmal mehr macht dieser Text damit deutlich, dass die Untersuchung des Verhältnisses von Theologie und Politik bei Karl Barth im und kurz nach dem Ersten Weltkrieg nicht ohne eine genaue Kenntnis der spezifischen Schweizer Verhältnisse vorgenommen werden kann.

Barths Verhältnis zu Sozialismus und Sozialdemokratie wendet sich auch der Beitrag des Bonner Systematischen Theologen Andreas Pangritz zu. In seinem «Neue[n] Bericht über Karl Barths ‹Sozialistische Reden›» sucht er die für die Beurteilung der Entwicklung der Barthschen Theologie, aber auch für die Einschätzung des Verhältnisses von theologischer und politischer Positionierung Barths so wichtige wie umstrittene Frage einer genaueren Beantwortung zuzuführen, welche konkrete historische Bedeutung und welche theologischen Implikationen Barths sozialistisches Engagement in der Zeit seines Safenwiler Pfarramts hatte. Pangritz, der selbst bei dem mit der Debatte um «Theologie und Sozialismus» ursächlich verbundenen Friedrich Wilhelm Marquardt studiert hat, kommt auf der Grundlage der nun verbesserten Quellensituation zu einem differenzierten Bild.

Barths Engagement für den Sozialismus sei in erster Linie als antibürgerliche Selbstpositionierung gegenüber dem institutionellen Christentum wie der institutionellen Sozialdemokratie zu verstehen. Dabei orientiert sich Pangritz an Marquardts Periodisierungsvorschlag der «sozialistischen» Phase Barths und wendet sich insbesondere der Reaktion auf den Beginn des Ersten Weltkriegs wie auf die Oktoberrevolution zu. Die Leitbegriffe «Persönlichkeit» und «Glaube» würden ab ca. 1915 vom Gegensatzpaar «Gott» und «Welt» abgelöst. Diese Verschiebung sei charakteristisch für Barths Umgang mit dem Sozialismus, darum könne auf ihrer Basis die Entwicklung seines theologischen Denkens insgesamt nachgezeichnet werden.

Die Frage, ob diese Wendung hin zu Gott als dem «ganz Anderen» als eine Absage an den Sozialismus zu verstehen sei, verneint Pangritz. Vielmehr sei hier Gottes Alterität als treibendes Motiv sowohl der Geschichtstheologie Barths wie auch seiner Forderung nach Radikalisierung der Sozialdemokratie vom biblischen Zeugnis her zu verstehen. Noch 1919 sei Barth der radikal-sozialistischen Position von Kurt Eisner zugeneigt geblieben. Den theologischen Hintergrund dieser politischen Positionierung sieht Pangritz insbesondere im nun edierten Aarburger Vortrag «Christliches Leben» vom Juni 1919 erstmals entfaltet, den er als Vorform des berühmten Tambacher Vortrags wertet. Auch hier sei keinesfalls eine «Abkehr vom Sozialismus» auszumachen – vielmehr müsse bezüglich Barths Safenwiler Zeit insgesamt |16| für das Verhältnis von politischer Praxis und theologischem Denken gelten, dass «das Konzept [d]e[s] ‹ganz andere[n]› Gott[es] […] aus dieser Hoffnung auf eine andere Welt» überhaupt erst «entsteht». Damit bezieht Pangritz eine eindeutige Stellung zur Forschungsfrage nach Religion, Theologie und Politik.

Eine etwas andere Perspektive sucht der Beitrag des Basler Systematischen Theologen Georg Pfleiderer für die neu veröffentlichten Texte Barths zu entwickeln. In seiner Deutung der «Entwicklung von Karl Barths theologischem Denken im Zeitraum des Ersten Weltkriegs» orientiert er sich u. a. an der spezifischen Form theologischer Religionskritik, die Barth in dieser Zeit entwickelt. Zentral ist dabei Pfleiderers These, dass Barths Religionskritik vom Anliegen getragen sei, das Verhältnis von religiöser Erfahrung und theologischer Reflexion in ein Verhältnis dialektischer Reflexionssteigerung zu überführen. Kennzeichnend für den Entwicklungsprozess der Denkbewegung Barths und damit auch für seine Texte jener Phase sei deren dialogische Dialektik.

Über die Reflexion der jeweiligen Entstehungskontexte der Texte Barths führt Pfleiderer seine Rekonstruktion weiter hin zu einer Sichtung der ethischen Implikationen, die insbesondere Barths Rekurse auf Sozialismus und Religion enthalten. Dabei werde deutlich, dass die kritische Haltung gegenüber institutionellen Kollektivakteuren wie Kirche und Sozialdemokratie, die Barth an den Tag lege, keinesfalls zu einer ethischen Abstinenz führe. Vielmehr sei gerade die theozentrische Wendung der Theologie Barths (für die der Begriff des Reiches Gottes von nun an stehe) als Ausdruck gesteigerter Einschärfung einer spezifischen theologisch-religiös-ethischen Haltung seiner intentionalen Rezipienten anzusehen. «Das neue Ethos bekundet sich seinerseits als ein Ethos kritischer theologischer Reflexionsdistanz; die theologische Theorie führt in die ethisch-religiöse Praxis – et vice versa. Diese Doppelbewegung wird seither zur eigentümlichen Signatur der theozentrischen Theologie Karl Barths.» Vor diesem Hintergrund werde die Funktion des Sozialismus für Barths Theologie und Lebenspraxis als Vehikel einer bestimmten kritisch-zeitdiagnostischen Reflexionskultur erkennbar, nicht aber vornehmlich als institutionelle oder politische Option, deren Verabschiedung als Bruch verstanden werden müsste.

Wiederum von einer anderen Seite nimmt der junge Basler Systematische Theologe Harald Matern die Frage des Gegenwartsbezugs der Barthschen Theologie in den Blick. Dabei soll eine Neulektüre der Erstfassung des «Römerbriefs» von 1919 das Verhältnis von Geschichte, Eschatologie und Gegenwart herausarbeiten. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage nach dem «Realismus» der Barthschen Theologie dieser Zeit neu aufgenommen und insbesondere im Blick auf ihre ethischen Implikationen untersucht. |17| Die Frage danach, worin der spezifische Beitrag einer theologischen Eschatologie zum zeitgenössischen geschichtsphilosophischen Denken besteht, wird durch den vergleichenden Blick auf zeitgenössische Entwürfe mit geschichtsphilosophischer Intention oder Valenz präziser zu fassen und insbesondere auf die Verhältnisbestimmung von Apokalyptik und Eschatologie hin zu klären versucht. Die Eschatologie in der Erstfassung des «Römerbriefs» bereite Barths spätere ethische Gedankengänge vor, insofern das Ineinander von Realismus und Kritizismus sich als kritisch-selbstkritische Reflexionsperspektive auf das Verhältnis von Partikularität und Universalität des christlichen Geltungsanspruchs verstehen lasse. In dieser Hinsicht stelle gerade Barths erster «Römerbrief» ein wichtiges Dokument auch im Hinblick auf gegenwärtige eschatologische Neuaufbrüche dar.

Der Princetoner Systematiker Bruce McCormack, wohl der profilierteste und im deutschsprachigen Raum am intensivsten rezipierte amerikanische Barthforscher, geht in seinem Beitrag «Longing for a New World: On Socialism, Eschatology and Apocalyptic in Barth’s Early Dialectical Theology» einer thematisch ähnlich gearteten Fragestellung nach. Dabei vertritt er die These, dass Barths Theologie um 1915 nicht nur apokalyptisch war, sondern dass dieser Zug sie im Verlauf der Jahre in immer stärkerem Mass präge. Dabei sei eine Ablösung von Blumhardts Eschatologie zugunsten einer paulinischen Apokalyptik zu verzeichnen. Dieser Prozess sei am Vortrag «Kriegszeit und Gottesreich» von 1915, dem Tambacher Vortrag von 1919 und der Zweitfassung des Römerbriefkommentars von 1921 ausweisbar.

Während Barths «neue Theologie» um 1915 durch einen kritischen Bezug auf den institutionellen Sozialismus geprägt sei und systematisch mit einer spezifischen Form des «Realismus», einer spezifisch modernen, objektiven Theozentrik sowie theologischer Religionskritik einhergehe, sei es insbesondere die kaum ausgebaute Christologie, die den Unterschied der Blumhardt’schen Eschatologie zur paulinischen Apokalyptik der späteren Phase markiere. Diese Ablösung gehe im Tambacher Vortrag auch mit dem Wegfall der organischen Metaphorik einher, die noch die Erstfassung des «Römerbriefs» prägte. An deren Stelle trete die Auferstehung als Gravitationszentrum der Theologie Barths, die es ihm auch erlaube, eine neue Fassung des Begriffs der «Unmittelbarkeit» zu entwickeln. Die Zweitfassung des «Römerbriefs» sei schliesslich von einer voll entwickelten paulinischen Apokalyptik geprägt – wobei McCormack auf den ursprünglichen, offenbarungstheologischen Wortsinn rekurriert und die Auferstehung Christi in den Mittelpunkt einer in erster Linie kosmologischen Apokalyptik rückt. Gerade hierin habe Barths Auslegung auch der gegenwärtigen englischsprachigen neutestamentlichen Wissenschaft einige, durchaus schulbildende Impulse gegeben, obgleich sie, hinter den soteriologisch-apokalyptischen Ausführungen der «Kirchlichen Dogmatik» noch zurückstehe. |18|

Welchen zeitdiagnostischen und zeittherapeutischen Sinn solche an Katastrophensemantiken orientierten Barth- und Bibellektüren vor dem Hintergrund aktueller sozialer, kultureller und kirchlich-religiöser Auseinandersetzungen in den heutigen USA haben könnten, ist insbesondere von aussen schwer zu beurteilen.

Wenn es für die USA zumindest sehr wahrscheinlich ist, solche Zusammenhänge anzunehmen, muss bezüglich vieler anderer Länder diesbezüglich nicht spekuliert werden. Gut begründet dürfte die Vermutung sein, dass die Tatsache, dass Barths Theologie sich in intensiver Auseinandersetzung mit weitreichenden und tiefgehenden Modernisierungskrisen entwickelt hat, für Theologinnen und Theologen in vielen Ländern und Weltgegenden, die – anders als West- und Mitteleuropa – von massiven Schüben solcher Krisen auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis in die unmittelbare Gegenwart hinein massiv geschüttelt wurden, einen wichtigen Grund oder Hintergrund für ihr Interesse an gerade dieser Theologie bildet.

In diesem Sinne exemplarisch für eine solche kontextuelle Lektüre von Karl Barths früher dialektischer Krisentheologie steht in diesem Band der Beitrag des südafrikanischen Theologen Dirk Smit. Sein Beitrag wendet sich am Beispiel seines eigenen Landes und dessen konfliktreicher jüngerer Geschichte direkt den Lektüremöglichkeiten der «Krisentheologie Barths in Kontexten radikaler Transformation» zu. Dabei weist er ausdrücklich auf die verschiedenartigen Schwierigkeiten hin, der die Rede von einer Barthrezeption ausgesetzt ist.

Smit unterscheidet vier Krisen, welche die südafrikanische Gesellschaft im 20. Jahrhundert durchlebt habe, und weist auf die sehr unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Weisen hin, wie in jeder dieser Perioden auf Barth zugegriffen wurde: im Widerstand gegen die Etablierung der Apartheid, im Kampf gegen die Apartheid, im Übergang zum demokratischen Rechtsstaat sowie in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise. Diese Differenzierung ist daher unerlässlich, weil erst die Aufmerksamkeit auf den jeweiligen engeren Rezeptionskontext es erlaube, den Modus der Rezeption in einer funktionalen Perspektive zu betrachten. Zugleich ermögliche der Durchgang durch die bisherigen Barthrezeptionen, die Frage nach der werkgeschichtlichen Kontinuität in Barths Denken neu aufzurollen – und, mit Blick auf die Gegenwart, den Zugriff auf die neu veröffentlichten Texte aus der Zeit um den Ersten Weltkrieg in den Modus kritischer Selbstreflexion zu überführen.

Obwohl die Niederlande mit Südafrika geschichtlich eng verbunden sind, könnten die beiden Länder hinsichtlich ihres gegenwärtigen gesellschaftlichen Modernisierungs-, insbesondere auch hinsichtlich ihres Säkularisierungsgrades (um den Begriff für einmal ganz cum grano salis zu gebrauchen) gewiss |19| kaum unterschiedlicher sein. Vor diesem Hintergrund leuchtet es unmittelbar ein, dass der niederländische Systematische Theologe Cornelis van der Kooi, Mitherausgeber der neuen Edition von Barths zweitem «Römerbrief», dieses «Jahrhundertbuch» vor allem als theologische Antwort auf eine tiefgehende und gesamtgesellschaftliche Säkularisierungserfahrung deutet.

Die in den Niederlanden seit den 1960er Jahren noch einmal dramatisch fortgeschrittenen Säkularisierungs- bzw. Entkirchlichungsprozesse betrachtet er darum auch als Kontrastfolie für die aus seiner Sicht zumindest in Teilen erstaunlich positive Rezeption der Neuedition der Zweitfassung des Römerbriefkommentars in der weltlichen Presse seines Landes. Auf der Basis solcher Eindrücke geht er der Frage nach, warum insbesondere dieses Buch Barths eine so vergleichsweise breite aussertheologische Rezeption erfahren habe. Neben manchen Gemeinsamkeiten, welche die gegenwärtigen mit den historischen Rezeptionsbedingungen verbänden, legt van der Kooi Nachdruck auf Barths Beitrag zur Schärfung der hermeneutischen Fragestellung in der Philosophie des 20. Jahrhunderts sowie seine Bedeutung für die Formulierung einer alteritätstheoretisch orientierten Theologie.

Im Unterschied zu van der Kooi verfolgt der in Essen lehrende Systematische Theologe Folkart Wittekind, wenn das plakative Labelling erlaubt ist, nicht eine säkularisierungs-, sondern eine individualisierungstheoretische Interpretation der modernen Theologie, insbesondere derjenigen von Karl Barth. Seine zahlreichen eindringlichen früheren Analysen der Theologie Karl Barths führt er im vorliegenden Beitrag durch eine Studie weiter, die, wie bereits erwähnt, Barths zweiten «Römerbrief» in die kunsttheoretischen Debatten seiner Zeit, näherhin in die Debatten um religiöse Kunst, einordnet. Dies ist bisher, so weit wir sehen, noch nirgends unternommen worden.

Als Beleg für einen expliziten Brückenschlag zwischen den religionsphilosophischen und den kultur- und kunsttheoretischen Diskursen der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs zieht Wittekind zunächst Paul Tillichs Überlegungen zu den Möglichkeiten einer Kulturtheologie heran, um Barths Text daraufhin vor dem Hintergrund der kunstphilosophischen Ausführungen Georg Simmels nach seinen religionsphilosophischen Implikationen zu befragen. Während für Tillich die Expressionismusdebatte von unmittelbarer Bedeutung für die Entwicklung seiner religionsphilosophischen Formel des «Gott über Gott» geworden sei, sei für Georg Simmel die Kunstphilosophie einer derjenigen Rahmen, innerhalb derer er seine Theorie religiöser Individualität illustrieren und präzisieren konnte.

Massgeblich ist für Wittekind dabei die Funktion der Inhalte der Kunst, die ihrerseits als Interpretament der Geltung (religiöser) Gewissheit zu stehen kämen. Barths Religionsbegriff stelle sich vor diesem Hintergrund als Steigerung der Reflexionshöhe des religionsphilosophischen Diskurses dar, |20| der in der Betonung der Alterität des Gegenstandes religiöser Sprache die reflexive Funktion des Objektbezugs für den Ausweis der Geltung der Struktur des religiösen Bewusstseins als genuin theologischen Beitrag zum Religionsdiskurs und zugleich als dessen Modernisierungsprogramm in Stellung bringe.

Damit leistet Wittekind einen Beitrag zu einer kulturtheoretischen Barthdeutung, der vom Objektbezug religiöser Sprache abstrahiert und diese als Ausdruck des reflexiven Umgangs mit ihren Produktionsbedingungen interpretiert. Barths Theologie wird damit ansichtig als in hohem Masse reflexiver Ausbau neukantianischer Theorieelemente, die in ihrer kritischen Wendung des Religionsbegriffs gerade auf dessen Überbietung abziele. Aufzuklären, inwieweit diese ebenso anspruchsvolle wie luzide Interpretation dem «biblischen Realismus», der – unerachtet ihrer kunstvollen dialektischen Reflexionslogik – die Phänomenalität des «Römerbriefs» wie auch all seiner späteren Texte bestimmt, gerecht wird, muss weiterer Forschung vorbehalten bleiben.

Abgerundet, oder besser: über den Tellerrand des Untersuchungszeitraums hinaus geöffnet wird der Band durch den Beitrag des Saarbrücker Systematischen Theologen Michael Hüttenhoff. Seine Ausführungen über die «Kirchliche Opposition im Streit» beschäftigen sich mit Barths Verhältnis zur Bekennenden Kirche und ihren führenden Vertretern. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Vorworte, die Barth für die «Theologische Existenz heute!» 1933 und 1934 schrieb. Anhand der Äusserungen Barths zur Lutherfeier 1933 analysiert Hüttenhoff die umstrittene Stellung Barths innerhalb der kirchlichen Opposition und seine Reaktionen darauf. Dabei stehen Barths Kritik an der Theologie (die Hüttenhoff auf der Linie seiner Polemik gegen die natürliche Theologie bzw. den Neuprotestantismus interpretiert) sowie der s. E. unrechtmässigen Übernahme der Kirchenleitung durch die Deutschen Christen im Vordergrund, die ihn zugleich in eine kritische Position gegenüber der Jungreformatorischen Bewegung, aber auch innerhalb des Pfarrernotbunds brachte. Hüttenhoffs konzise Mikroanalyse zeigt Barths Dialektische Theologie in der dramatischen Phase der gesamtgesellschaftlichen und humanitären Krise, die der nationalsozialistische Staat zu diesem Zeitpunkt noch nur Deutschland brachte. Sie zeigt die «Dialektische Theologie in Scheidung und Bewährung» (Walter Fürst). Ob die Scheidungen, die Barth in dieser Phase oft auch gegenüber engeren Weggefährten aus grundsätzlichen theologischen Erwägungen meinte vornehmen zu müssen, der politischen und ethischen, aber auch theologischen Bewährung seiner Theologie in allen Fällen wirklich dienlich waren, – dies zu beurteilen muss, wie vieles andere auch, ebenfalls der weiteren Forschung vorbehalten bleiben. |21|

Theologie im Umbruch

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