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Der spezifische Beitrag der Schweizer Reformation zur reformatorischen Bewegung69 1. Zum historischen Beitrag der Schweizer Reformation zur Reformationsbewegung 1.1 Die Schweizer Reformation als historische Wurzel des weltweiten reformierten Protestantismus

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Anfang Januar 1523 riefen der Bürgermeister und die Räte der Stadt Zürich alle Pfarrer, Seelsorger, Prädikanten und Priester des Zürcher Gebiets zu sich ins Rathaus zu einer «Disputation», die Ende des Monats stattfinden sollte. Dabei ging es um die Schlichtung eines Streits: des Streits zwischen solchen, die behaupteten, «dem gemeinen Menschen das Gotteswort von der Kanzel zu verkündigen», und die sich dabei auf das «Evangelium» beriefen, und ihren Gegnern, die sie als «Irrlehrer, Verführer und Ketzer» beschimpften. Auch an den Bischof von Konstanz ging eine Einladung. Erst nachdem dieser der Aufforderung nicht nachgekommen war, in seinem Bistum für Frieden und Ordnung zu sorgen, hatten die Zürcher Räte diese Initiative ergriffen. Die streitenden Parteien sollten Gelegenheit bekommen, ihre Ansichten «mit wahrer göttlicher Schrift in deutscher Sprache» zu begründen. Ulrich Zwingli hatte seine Lehre in 67 Thesen gefasst, die zur Diskussion gestellt werden sollten.

Der Ausgang der Disputation war eindeutig und das Urteil des Rats richtungsweisend: Da niemand Zwingli auf dieser Basis hatte widerlegen können, sollte dieser in seiner Verkündigung nun weiterfahren wie bisher. Und nicht nur er: Alle Pfarrer und Priester in Stadt und Land sollten von nun an nichts anderes predigen als das, was sie mit dem «heiligen Evangelium und sonst mit der rechten göttlichen Schrift beweisen» konnten.

Es dauerte noch einige Zeit, bis sich die Reformation in Zürich endgültig durchgesetzt und etabliert hatte. Aber die Weichen waren damit gestellt. Der Zürcher Rat hatte die Zügel auf dem Feld von Kirche |89| und Religion in die Hände genommen, er hatte sich hinter den umstrittenen Prediger Ulrich Zwingli gestellt und er hatte das Evangelium, wie es allein in den biblischen Schriften zu finden ist (sola scriptura), als Kriterium anerkannt, an welchem auch die Christlichkeit der römischen Bischofskirche mit ihrem bisherigen Wahrheits- und geistlichen Machtanspruch im christlichen Europa gemessen werden sollte.

Zwar wäre die Schweizer Reformation kaum denkbar gewesen ohne Luthers Auftreten und das reichsweite Echo, das es ausgelöst hatte. Der Zürcher Ratsentscheid vom Januar 1523 war dennoch in dieser Weise erstmalig und für die gesamte europäische Reformationsbewegung bahnbrechend. Ein nach damaligen Maßstäben souveränes politisches Gemeinwesen hatte im Grundsatz beschlossen, die Verkündigung des Evangeliums nach dem alleinigen Maßstab des «göttlichen Wortes» einzuführen, mit der unvermeidbaren Konsequenz, das eigene christlich-politische Gemeinwesen entsprechend zu «reformieren», ungeachtet aller kirchlich-religiösen Traditionen und reichspolitischen Drohgebärden. Vordenker dieses Geschehens war Ulrich Zwingli mit seinem eigenständigen theologischen Profil, an das die späteren «reformierten» Theologen direkt oder indirekt anknüpfen konnten. Dies gilt auch für Calvin, bei dem sich kaum ein theologischer Gedanke finden lässt, der nicht schon Jahre zuvor in der Schweizer Reformation geäußert und diskutiert worden wäre. Ebenso waren es Zürcher Impulse zur Gestaltung einer «gemäß dem Gotteswort reformierten» Kirche, die in die Reformationsbewegung einflossen. Man denke an das Mittel der öffentlichen Disputation zur Einführung der Reformation, das überall im Reich Nachahmung fand. Auch wenn es weit vom modernen Ideal einer gemeinsamen, herrschaftsfreien Suche nach der Wahrheit entfernt war, so gehört es doch grundsätzlich in diese Linie hinein und nicht in die Linie päpstlicher Erlasse oder landesfürstlicher Religionsdekrete. Zu denken ist aber auch an die theologischen «Hohen Schulen» und Akademien zur Ausbildung der Pfarrer unter Einschluss der humanistischen Bibelphilologie oder an die Einführung von Synoden, Pfarrkonventen oder Konsistorien als kirchliche Leitungsgremien und als Gegenmodell zu einer bischöflich-hierarchischen Leitungsstruktur.

Ein wichtiger historischer Beitrag der Schweizer Reformation zur Reformationsbewegung besteht darin, dass sie als Wurzel des weltweiten reformierten Protestantismus wesentlich als Städtereformation oder Gemeindereformation entstanden ist. Das Bild der Wurzel soll zugleich andeuten: Schnell einmal entwickelte sich die Bewegung weiter, breitete |90| sich in viele Gebiete Europas aus, verschmolz verschiedentlich mit Impulsen und Traditionen der Wittenberger Reformation und nahm unterschiedliche theologische Färbungen und kirchliche Gestalten an. Anders als der lutherische Protestantismus, der bis heute seine Identität durch die bleibende – wenn auch faktisch sehr unterschiedlich interpretierte – Orientierung an seinem einen Gründervater sicherstellt, gehört es gerade zum Wesen und Selbstverständnis der aus dieser Wurzel stammenden Bewegung, dass sie sich nicht von einem einzelnen Reformator her definieren wollte. Später hat man dies allerdings oft doch getan und etwa den ursprünglich als Schimpfnamen verwendeten Titel des «Calvinismus» als Selbstbezeichnung übernommen. Das lässt sich geschichtlich erklären und hat dem «Calvinismus» vom 17. Jahrhundert an eine bestimmte «konfessionelle» Identität verliehen, allerdings auch mit problematischen Seiten und Konsequenzen. Man hat damit den historischen Reichtum und den theologischen Anspruch der aus der Schweizer Reformation hervorgegangenen Bewegung in problematischer Weise eingeschränkt.

500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen

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