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2.2 Die Kirche als Gemeinschaft des Lernens

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Eine bekannte Einrichtung der Zürcher Reformation war die sogenannte Prophezei. Sie wurde 1525 eingerichtet. Täglich außer freitags und sonntags wurde im Chor des Großmünsters ein Bibeltext aus dem Alten Testament ausgelegt. Zunächst traten die Exegeten in Aktion und interpretierten den Text auf der Grundlage des hebräischen Urtextes und der griechischen Textversion der Septuaginta. Danach wurden die Ergebnisse der Auslegung in deutscher Sprache der Gemeinde vorgetragen. Die Einrichtung hat symbolischen Wert: Dort, wo vorher lateinische Bibeltexte, die niemand verstand, im Kirchengesang ertönten, wurde nun die Bibel ausgelegt. Und dies so, dass man einerseits möglichst nahe an den Urtext herankommen wollte und andererseits nach dem göttlichen Wort für die Gegenwart fragte. Aus dieser Einrichtung ist dann die Zürcher «Hohe Schule» entstanden. Hier hat man Gelehrte angestellt, die die Theologen ausbilden sollten, vor allem in den biblischen Sprachen und in der Auslegung der Bibel. Aber eigentlich ging es nicht nur um die Schulung von Theologen, sondern um die Bildung einer Volksgemeinschaft in der biblischen Wahrheit. Alle sollten das göttliche Wort kennen und verstehen lernen.

Auch die Zürcher Bibelübersetzungen sind aus der Prophezei herausgewachsen. Im Jahre 1529, fünf Jahre bevor die Lutherbibel vollständig war, lag die vollständige Zürcher Bibel in sechs Bänden vor. Im Todesjahr Zwinglis (1531) erschien sie als «Froschauer Bibel» in einem Band vereinigt. In den folgenden Jahren wurde eine große Anzahl von verschiedenen Bibelausgaben und Bibelkommentaren gedruckt, sowohl für die Gelehrten als auch für das Volk. Stärker als Bekenntnisschriften, Katechismen oder Schriften von Reformatoren war es die Bibel selbst, die im Zentrum der Schweizer, speziell der Zürcher Reformation stand. |94|

Im Bestreben, sie mit den besten verfügbaren Methoden auszulegen, griff man dankbar auf die humanistische Bildung zurück. Die Berücksichtigung unterschiedlicher Gattungen biblischer Texte, ihre philologische und rhetorische Analyse und ihre Einordnung in den jeweiligen Geschehens- und Redekontext waren ebenso selbstverständliche Schritte in ihrer Auslegung wie die Berücksichtigung von aramäischen Bibelparaphrasen und der exegetischen Literatur aus der talmudischen Zeit, der Zeit der Kirchenväter und dem Mittelalter. Heinrich Bullinger hat eine Studienanleitung für Theologiestudenten verfasst, in der er eine Bildung in der Literatur der klassischen Antike und ihrer philosophischen, historischen und poetischen Werke zur Voraussetzung für die Auslegung biblischer Texte macht.

Das Studium und die Auslegung der Bibel waren dabei stets ein gemeinsames Unternehmen. Es gibt keine Zwinglibibel, sondern nur eine Zürcher Bibel. Für die Schweizer Reformatoren und Gelehrten war Teamarbeit eine Selbstverständlichkeit. Dazu gehörte die Diskussion über schwierige Bibelstellen und das Akzeptieren von verschiedenen Interpretationen. Entscheidend war das bessere Argument im Blick auf Philologie und Kontext, und dies galt auch für das Verständnis der Abendmahlsworte, die ihrem Verständnis nach im Kontext der hebräisch-biblischen Tradition und im Zusammenhang mit anderen Jesusworten zu interpretieren waren. In Marburg prallten diesbezüglich zwei unterschiedliche Kulturen aufeinander.

Viele Schriften Zwinglis und Bullingers enden mit dem Satz: Wenn mich jemand mit der Bibel widerlegen oder eines Besseren belehren kann, so sei er hiermit aufgefordert, dies zu tun! Die Auslegung der Bibel, die Suche nach dem göttlichen Wort für die Gegenwart, war ein gemeinsames Ringen und Lernen. Und alle waren lernbedürftig. Keiner hatte die Wahrheit alleine in Besitz. Zu diesem Verständnis des reformatorischen Priestertums aller Gläubigen passt, dass es in den Kirchen der Schweizer Reformation keine Bischöfe gibt. Bullinger nennt die kirchlichen Amtsträger «remigatores», Ruderknechte.

500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen

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