Читать книгу Betreuung und Pflege geistig behinderter und chronisch psychisch kranker Menschen im Alter - Группа авторов - Страница 7
Einführung
ОглавлениеDie Betreuung, Versorgung und Pflege von älteren Menschen mit geistiger Behinderung oder mit chronisch psychischer Erkrankung erfordert von den Mitarbeitern ein differenziertes berufliches Kompetenzprofil. Bei älteren Menschen mit geistiger Behinderung sind fundierte Kenntnisse und Erfahrungen sowohl auf dem Gebiet der Heilerziehungspflege als auch auf dem Gebiet der Altenpflege notwendig, bei älteren Menschen mit chronisch psychischer Erkrankung sind es entsprechend fundierte Kenntnisse und Erfahrung sowohl auf dem Gebiet der (geronto-) psychiatrischen Pflege als auch der Altenpflege. Aufgrund der Tatsache, dass die Gruppe älterer Menschen mit geistiger Behinderung oder mit chronisch psychischer Erkrankung rasch zunimmt, erhalten fundierte Kenntnisse sowohl zur körperlichen als auch zur gerontopsychiatrischen Pflege älterer Menschen in den Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Altenhilfe eine zentrale Bedeutung.
Dieses hoch differenzierte Kompetenzprofil ist, wie die nachfolgend dargestellte Untersuchung zeigt, in Einrichtungen der Behindertenhilfe und in Einrichtungen der Altenhilfe jedoch nur selten anzutreffen. Die Betreuung und Pflege älterer Menschen mit geistiger Behinderung oder mit chronisch psychischer Erkrankung wird zumeist von Pflegefachkräften geleistet, deren Ausbildung nur in Teilen den Anforderungen entspricht, die der berufliche Alltag stellt. In Einrichtungen der Behindertenhilfe sind vielfach Mitarbeiter tätig, die über langjährige Erfahrung und fundiertes Wissen in der Arbeit mit jüngeren und erwachsenen geistig behinderten Menschen verfügen, die jedoch nicht vorbereitet sind auf die Pflege von älteren geistig behinderten oder demenziell erkrankten pflegebedürftigen Menschen. Um diese Aufgabe kompetent bewältigen zu können, benötigen sie Erfahrung und Wissen auf dem Gebiet der Altenpflege. Dagegen sind in Einrichtungen der Altenhilfe vielfach Mitarbeiter tätig, die zwar hohe Kompetenz in der Arbeit mit hilfs- oder pflegebedürftigen älteren Menschen zeigen, die jedoch nicht über ausreichendes Wissen und Erfahrung in der Arbeit mit älteren Menschen verfügen, bei denen eine geistige Behinderung oder eine chronische psychische Erkrankung vorliegt.
Im Projekt »Vergleich von stationären Einrichtungen der Altenhilfe mit Einrichtungen der Behindertenhilfe hinsichtlich der Betreuungs- und Pflegekonzepte für ältere Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung«, das das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg mit Unterstützung der Robert Bosch Stiftung ausgeführt hat, wurden folgende Fragestellungen untersucht: Inwieweit stimmen das Kompetenzprofil der Mitarbeiter einerseits und andererseits das Anforderungsprofil der Arbeit mit älteren geistig behinderten oder chronisch psychisch erkrankten Menschen überein? Daraus ergibt sich die Frage: Sind Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Altenhilfe geeignet für die Betreuung und Pflege von älteren Menschen mit geistiger Behinderung oder chronisch psychischer Erkrankung?
Diese Fragestellung gewinnt eine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund der Diskussion, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe schon lange geführt wird, ob ältere Menschen mit geistiger Behinderung bei erhöhtem körperlichem Pflegebedarf oder aber bei Auftreten einer demenziellen Erkrankung aus der Eingliederungshilfe entlassen und nach SGB XI in einem Altenpflegeheim kostengünstiger versorgt werden sollen. Die Versorgung chronisch psychisch kranker älterer Menschen in Einrichtungen der Altenhilfe stand bisher kaum in der Öffentlichkeit zur Diskussion. Daher wurde auch diese Personengruppe in die Untersuchungen einbezogen, um die Bedingungen, unter denen sie versorgt werden, zu analysieren.
Um beurteilen zu können, ob stationäre Pflege- und Betreuungsmaßnahmen für eine bestimmte Personengruppe geeignet sind, ist an erster Stelle die Erhebung der Bedarfslage der Bewohner notwendig, um die Passung zwischen Bedarf und Bedürfnissen einerseits und den angebotenen Leistungen der Einrichtungen andererseits prüfen zu können. Die Bedürfnisse ergeben sich aus Art und Ausmaß der vorbestehenden Behinderung bzw. Grunderkrankung und der Veränderungen, die auf Alternsprozesse zurückzuführen sind. Hinzu kommen Bedürfnisse, die – unabhängig von Behinderung oder Erkrankung – bei Menschen aller Altersstufen die Grundlage eines gelingenden Lebens bilden.
Die Feststellung der Bedarfslage bei den Bewohnern der beteiligten Einrichtungen erfolgte durch Befragung jener Mitarbeiter, die durch den täglichen Umgang mit geistig behinderten oder psychisch kranken Bewohnern über Jahre Erfahrung gesammelt haben. Es wurde davon ausgegangen, dass diese Mitarbeiter aufgrund ihrer Ausbildung und langjähriger praktischer Erfahrung im täglichen Zusammenleben Einsichten in deren Problemlagen und deren Entwicklung erworben haben, die sie zu Experten auf diesem Gebiet machen. Ein ganzheitliches Wissen um den Verlauf von Behinderung bzw. Krankheit im Alter wird angestrebt, indem Theorien zu körperlichen und geistig-seelischen Alterns- und Krankheitsprozessen und deren Auswirkungen im alltäglichen Leben, wie die Mitarbeiter sie wahrnehmen, zusammengeführt werden.
Das Projekt wurde in 12 Einrichtungen ausgeführt; es handelt sich um sechs Einrichtungen der Altenhilfe und eine Einrichtung der Behindertenhilfe, die chronisch psychisch kranke Menschen betreuen, sowie fünf Einrichtungen der Behindertenhilfe für geistig behinderte Menschen. Der Ablauf der Studie ist im Anhang in Kasten 1 dargestellt ( Anlage Kasten 1). Die Mitarbeiter wurden mittels Fragebögen und in Fokusgruppen zu den folgenden Themenbereichen befragt: Bedarf und Bedürfnisse der Bewohner, beobachtete Veränderungen im Alter sowie die Anforderungen und Belastungen im Beruf, Voraussetzungen für eine optimale Betreuung und Pflege. Insgesamt wurden 590 Fragebögen, zwölf Fokusgruppen mit jeweils 8 bis 12 Mitarbeitern, ausgewertet; es waren 48 Einrichtungen beteiligt ( Anlage Tab. 1). Aus dem Material konnten Problembereiche im Beruf sowie theoretische Konzepte einer guten Pflege und Betreuung erarbeitet werden. Die Umsetzung dieser Konzepte im pflegerischen Alltag wurde durch die filmische Aufnahme von Interaktionen zwischen Bewohnern und Mitarbeitern dokumentiert; die Mitarbeiter konnten die Situation und den/die Bewohner für die filmische Aufnahme einer optimalen Umsetzung ihrer Konzepte in der Praxis bestimmen. Die Handlungsinhalte der insgesamt 66 Videosequenzen sind in Kasten 2 ( Anlage Kasten 2) aufgeführt. Das gefilmte Verhalten von Mitarbeitern und Bewohnern wurde in einem ersten Schritt transkribiert. In einem zweiten Durchgang wurden redundante Verhaltensweisen dokumentiert, und in einem weiteren Schritt wurden diese zu Handlungseinheiten zusammengefasst. Es fanden sich insgesamt 30 Kategorien, die die Gesamtheit gefilmter relevanter Handlungseinheiten beschreiben, d. h., sie enthalten alle gefilmten Aktivitäten der Mitarbeiter ( Anlage Kasten 3).
Die Analyse des filmischen Materials konnte jene Konzepte abbilden, die in der Praxis in Pflege und Betreuung bei den verschiedenen Personengruppen – geistig behinderte, psychisch kranke und demenziell erkrankte Menschen – angewendet wurden. In individuell geführten Reflexionsgesprächen wurden die entwickelten Konzepte jeweils durch die einzelnen Mitarbeiter validiert.
Im ersten Teil dieses Buchs werden in den Kapiteln 1 und 2 Alternsprozesse und Krankheitsprozesse von Menschen mit geistiger Behinderung bzw. mit chronisch psychischer Erkrankung beschrieben, ebenso die Ergebnisse der Befragung zu deren Bedarfen und Bedürfnissen. Kapitel 3 befasst sich mit den beteiligten Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Altenhilfe und beschreibt Lücken in der Versorgung, die sich aus einem nicht ausreichend differenzierten Kompetenzprofil der Mitarbeiter ergeben. In Kapitel 4 werden die spezifischen Problembereiche von Mitarbeitern aus Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Altenhilfe mit Bezug auf spezifische Anforderungen und Belastungen im Beruf miteinander verglichen. In Kapitel 5 finden sich Literaturangaben zum Text und weiterführende Literatur für interessierte Leser. Den Abschluss bilden mit Kapitel 6 erste Ergebnisse einer Studie zur gesundheitlichen und pflegerischen Bedarfserhebung bei Menschen mit geistiger Behinderung.
Im zweiten Teil dieses Buchs kommen die Mitarbeiter von Einrichtungen der Altenhilfe und der Behindertenhilfe zu Wort. In 30 Beiträgen werden Themenbereiche, die für die Pflege und Betreuung geistig behinderter und psychisch kranker Menschen relevant sind, aus der langjährigen Erfahrung, die in der alltäglichen Praxis erworben wurde, dargestellt. In dieser 2. Auflage kommen sechs Biografien von älteren geistig behinderten Menschen hinzu, die im Rahmen einer Fortbildung von den Bezugspflegern erarbeitet wurden.
Im dritten Teil werden in Kapitel 1 die berufliche Ausbildung von Heilerziehungspflegern und von Altenpflegern einander gegenübergestellt und Folgerungen für die Pflege und Betreuung von geistig behinderten und chronisch psychisch kranken Menschen entwickelt. In Kapitel 2 wird auf die erarbeiteten Konzepte näher eingegangen und die Ergebnisse sowie ihre Strukturierung erläutert.
Die Robert Bosch Stiftung hat 2003 bis 2005 dieses Projekt begleitet und großzügig finanziell unterstützt. Die Herausgeberin dankt dem Kohlhammer Verlag, der es ermöglicht hat, diese Studie in einer zweiten Auflage zu veröffentlichen, und Frau Alexandra Schierock sowie Frau Verena Geywitz für die konstruktive Begleitung. Ebenso danke ich allen Mitautoren für ihr persönliches Engagement, das nicht zuletzt in den von ihnen geleisteten Beiträgen deutlich zum Ausdruck kommt.