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3Empathie Monja Gerigk

3.1 Hintergrund

Empathie ist als wünschenswerte Kompetenz sowohl in der Gegenwart als auch zukünftig in der digitalen Transformation unabdingbar gefordert. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Begriff Empathie seit Jahrzehnten angekommen. Dennoch vermisst man eine allgemeine Definition. Wenn Sie Mitmenschen fragen, was sie unter Empathie verstehen, verbinden diese damit häufig, sich einfühlen zu können, fürsorglich zu sein, den anderen verstehen zu können. In unserem beruflichen wie privaten Alltag wird Empathie stets als essenzielle Kompetenz in der zwischenmenschlichen Interaktion gefordert. In den folgenden Ausführungen beziehe ich mich im Wesentlichen auf das Empathieverständnis von Tobias Altmann und Marcus Roth.

„Empathie ist die Fähigkeit Emotionen eines anderen Menschen wahrzunehmen und dessen Gedanken und Vorstellungen zu verstehen“ (Altmann 2015, S. 113). Empathie wird unterschieden in die emotionale und die kognitive Empathie. Die emotionale Empathie ist die Fähigkeit, Emotionen eines anderen Menschen wahrzunehmen, die Stimmungslage anderer zu empfinden, das Gleiche zu fühlen (emotionale Ansteckung) und daraus resultierend einen Hilfsimpuls zu verspüren. Merkmale der kognitiven Empathie sind die Fähigkeiten, nicht nur die Gefühle, sondern auch die Gedanken, Absichten und Motive anderer Menschen zu verstehen, um auf das zukünftige Verhalten schließen zu können. Dazu zählt auch, die nonverbale Kommunikation im Kontext deuten zu können. Plüss formuliert: „Empathie verbindet Menschen emotional miteinander und ermöglicht, dass das Leid des anderen gesehen werden kann. Unempathische Menschen haben Mühe dieses Leid zu bemerken und sind moralisch taub“ (Plüss 2010, S. 16).

Abb. 1Die Phasen des Empathieprozesses nach Altmann 2016

Empathie beinhaltet, sich von der Not des Gegenübers anrühren zu lassen und ist die Voraussetzung eines umfassenden Verstehens.

Das Empathie-Prozessmodell (EPM) (Altmann 2016, S. 113–114) verfolgt den integrativen Ansatz zum Verständnis von Empathie. Der Empathieprozess wird in vier Komponenten beschrieben (s. Abb. 1).

1.Wahrnehmung: Der Beobachter sieht die emotionalen Signale der anderen Person und nimmt die Situation über Mimik, Gestik, Tonfall sowie verbale Äußerungen wahr (kognitive Fähigkeit).

2.Mentales Modell: Der Beobachter macht sich eine innere persönliche Vorstellung, um sich ein Abbild zur Situation, zu den Gedanken und den Gefühlen der anderen Person bewusst/gewahr zu werden (kognitive Fähigkeit).

3.Empathische Emotion: Durch das mentale Modell werden beim Beobachter ähnliche Gefühle erzeugt wie beim Beobachteten (affektive/emotionale Fähigkeit).

4.Antwort: Der Beobachter reagiert auf die Situation und das Erleben der anderen Person kommunikativ, verbal und oder nonverbal (kognitive und affektive Fähigkeit).

Nur wenn alle Phasen des Prozesses durchlaufen werden, gelingt eine empathische Interaktion zwischen zwei oder mehreren Individuen.

3.2 Anwendungsfelder in der Arbeitswelt und Grenzen der Empathie

Der von anstehenden Umstrukturierungsmaßnahmen verunsicherte Mitarbeitende; die aus der Elternzeit zurückkehrende Kollegin, deren Kind sich in der Eingewöhnungsphase im Kindergarten befindet; die Kollegin, die sich durch das wenig wertschätzende Verhalten des Kollegen angegriffen fühlt: Im Arbeitsalltag begegnen wir ständig individuellen Situationen oder Konflikten, die mit der allgegenwärtigen Forderung nach Empathie in den verschiedensten Rollen im Berufsleben verbunden sind. Ein Mehr an Empathie kann jedoch von Überforderung über emotionale Erschöpfung bis zum Burnout führen (Altmann 2015, S. 5). Die Fähigkeit zur Empathie scheint also nicht unerschöpflich zu sein.

Während viel über empathisches Verhalten zu lesen und hören ist, gibt es nur wenig Wissen über das Phänomen des Empathischen Kurzschlusses (EKS). Er führt zum Abbruch des Empathieprozesses, um sich vor den Emotionen des Gegenübers aus Selbstschutz zu distanzieren. Die Folge sind pseudoempathische Reaktionen, z.B. Beschwichtigungen wie „So schlimm es doch nicht“ oder Bewertungen wie „Sie sind doch eine starke Persönlichkeit, Sie schaffen das schon“. Der EKS führt zum Abbruch des Kontaktes – mit Auswirkungen auf beiden Seiten. Das Gegenüber fühlt sich un- und in seinem Anliegen missverstanden und stuft die andere Person als eher unempathisch ein. Auch für den Abbrechenden hat der EKS mittel- bis langfristig Konsequenzen. Bei ihm stellen sich Gefühle der Insuffizienz und der Unauthentizität ein, die langfristig zu Unzufriedenheit, Erschöpfungssymptomatik oder zynischen Denk-und Handlungsweisen führen. Gibt eine Person ihrem Selbstschutzmechanismus nicht nach und überfordert sich, verstärken sich diese negativen Folgen noch.

3.3 Bedeutung für das Gesundheitswesen und Empathie-Mindset als Schlüsselkompetenz

Schon gesunde Menschen wünschen sich im Kontakt mit einem Dienstleister ein Gegenüber, welches das Anliegen seiner Kunden empathisch aufnimmt. Sollte es zu unempathischem Verhalten durch den Anbieter kommen, stellt immer noch der Wechsel des Dienstleisters eine mögliche Option dar. Auch im Gesundheitswesen werden Dienstleistungen erbracht – medizinische, pflegerische und therapeutische. Doch hier wiegt unempathisches Verhalten durch das Personal ungleich schwerer und belastet sowohl den Erkrankten als auch die Angehörigen, da sich alle genannten durch die Erkrankung in einer Ausnahmesituation befinden. Das als unfreundlich empfundene Verhalten und das Gefühl nicht wahr- und/oder ernstgenommen zu werden, lastet schwer im Gedächtnis der Erkrankten und ihrem Umfeld. Denn Patienten vertrauen sich dem Behandlungsteam an und legen ihr Leben in dessen Hände. Dieses Vertrauen ist eine Vorschussleistung und kann jederzeit zurückgenommen werden. Verlorenes oder erschüttertes Vertrauen wirkt sich nachhaltig negativ auf das persönliche Sicherheitsbefinden und -bedürfnis, die Therapie-Compliance und das emotionale Patientenerleben aus.

Um zukünftig dem Bedürfnis der Erkrankten, An- und Zugehörigen nach Empathie im Krankenhauskontext gerechter zu werden, muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Empathie trainierbar ist. Voraussetzung für diese Erkenntnis und eine Trainingsbereitschaft ist, dass Mitarbeitende den Vorteil für den Patienten und vor allem für sich selbst erkennen. Die Trainingsprogramme schulen die Kompetenz, zwischen den eigenen und fremden Emotionen und Bedürfnissen zu differenzieren, ebenso wie die Erarbeitung von konkreten Verhaltensstrategien, in denen die Mitarbeitenden- und die Patientenperspektive Berücksichtigung findet. Über das Erlernen dieser Differenzierung sowie den Aufbau von reflektierten funktionalen Verhaltensweisen soll die emotionale Stabilität der Teilnehmenden gestärkt werden, um damit die Ausprägung von Belastungserleben zu reduzieren.

Zur Prävention von Erschöpfung und ähnlichen belastungsinduzierten Schädigungen in sozialen Berufen wird die Vermeidung des Empathischen Kurzschlusses angestrebt. Die Facetten von Belastungserleben reichen von emotionaler Erschöpfung, dem Wunsch den Beruf zu verlassen bis hin zum Burnout. Gründe für die Abwanderung aus der Pflege sind entsprechend die hohe körperliche und emotionale Belastung sowie das Gefühl, den Erkrankten nicht gerecht werden zu können. Eine verbesserte Empathiekompetenz wirkt sich also sowohl positiv auf Patienten, An- und Zugehörige als auch auf den einzelnen Mitarbeitenden aus und könnte von Arbeitgeberseite beispielsweise innerhalb des Betrieblichen Gesundheitsmanagements durch verpflichtende, interdisziplinäre Empathietrainings gefördert werden.

3.4 Warum wird der Classic Skill Empathiekompetenz in der Zukunft noch wichtiger?

Die Zukunft liegt in der digitalen Transformation hin zum Smart Hospital mit vernetzen Strukturen, digitalen Automatismen in Pflege, Medizin und Therapie und vielem mehr. Für die zwischenmenschliche Kommunikation und persönliche Kontakte kann dies jedoch eine Entfremdung bedeuten, wenn Patienten beispielsweise bei Anrufen in der Zentrale eines Krankenhauses an einen digitalen Bot gelangen, der das Anliegen abfängt oder bereits Antworten gibt ganz ohne persönliches Gespräch mit einem Klinikmitarbeiter. Zudem stehen Menschen Neuerungen bzw. Veränderungen oft skeptisch oder gar ängstlich gegenüber, vor allem, wenn sie diese nicht genau verstehen. Denken wir beispielsweise an Algorithmen einer Künstlichen Intelligenz, die längst Einzug gefunden haben in die Patientenversorgung. All dies kann den ohnehin belasteten Patienten und seine Angehörigen zusätzlich verunsichern und den Bedarf an empathischen Begegnungen noch erhöhen.

Mit der digitalen Transformation sind auch für Mitarbeitende stetige Veränderungsprozesse verbunden, die verunsichern können und womöglich durch notwendiges Erlernen neuer Abläufe und Tools zusätzliche Arbeit bedeuten. Hierdurch kann für die Mitarbeitenden die Belastung zuerst zunehmen bevor sie abnimmt. Und auch Mitarbeitende müssen zudem gegebenenfalls einem nicht erfüllten Bedürfnis nach persönlicher Kommunikation mit Patienten und Angehörigen begegnen. Umso wichtiger wird es daher für die weniger aber intensiver werdenden persönlichen Kontakte durch eine Vermeidung von EKS Belastungen zu reduzieren und gezielt an der eigenen Empathiefähigkeit zu arbeiten.

Empathie- und Kommunikationstechniken sind trainierbare Fähigkeiten und Kompetenzen, die zukünftig noch bedeutsamer im Patienten- und Angehörigenkontakt sein werden, da sich die Anzahl der persönlichen Kontakte reduzieren und die Intensität der Gespräche zunehmen wird.


Hierin liegt die große Chance und Herausforderung in der digitalen Transformation: Durch ein Mehr an digitaler Unterstützung kann ein Mehr an Humanität ins Krankenhaus zurückkehren – zum Wohle und zur Entlastung aller.

Daher sind Empathie- und Kommunikationsfähigkeiten nicht dem Zufall oder den persönlichen Neigungen zu überlassen, sondern systematisch, am besten schon in der schulischen Laufbahn, zu vermitteln und einzuüben.

Literatur

Altmann T (2015) Empathie in sozialen Pflegeberufen, Psychologie in Bildung und Erziehung; vom Wissen zum Handeln. Springer Fachmedien Wiesbaden

Altmann T (2016) Empathiearbeit mit Gewaltfreier Kommunikation. In: Roth M, Schönefeld V, Altmann T (Hrsg.) Trainings- und Interventionsprogramme zur Förderung von Empathie. 111–125. Springer Verlag Berlin/ Heidelberg

DBFK (2021) Manifest der Pflegeberufe. URL: https://www.dbfk.de/manifest/der-hintergrund/ (abgerufen am 05.02.2021)

Plüss A (2010) Empathie und moralische Erziehung: Das Einfühlungsvermögen aus philosophischer und pädagogischer Perspektive. LIT Verlag Münster


Monja Gerigk, B.A.

Monja Gerigk leitet seit November 2018 das Institut für PatientenErleben in der Universitätsmedizin Essen. Davor war sie stellvertretende Leiterin der Stabsstelle Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement in der Universitätsklinik Essen. Nach der Ausbildung zur Kinderkrankenschwester und Weiterbildung zur Fachschwester für Anästhesie- und Intensivpflege wechselte sie zum Pharmakonzern Fresenius im Bereich Homecare zur Koordination und Standardisierung von Spezialtherapien im häuslichen Umfeld von Patienten. Ihr betriebswirtschaftliches Studium im Gesundheits- und Sozialwesen, die Qualifikationen im Bereich Qualitäts- und Risikomanagement als Auditorin, Dozentin, Autorin und als Systemischer Business Coach runden ihre Managementkompetenzen ab. Als Mitglied in der Ethikkommission legt sie unter anderem den Schwerpunkt auf die Patienteninformationen im Rahmen von Forschungsvorhaben.

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