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1 Menschen

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Von Menschen, die zu den Bezugsgrößen mit normativer Geltung zurückfinden bzw. zurückfinden sollen oder wollen, ist im AT in sehr unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichen Textgattungen die Rede: in erzählenden Texten, prophetischen Reden, Gebeten bzw. Psalmen sowie in weisheitlichen Unterweisungen. Sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Auslegungstradition ist der Topos des Propheten prominent geworden, der zur Umkehr von bösen Wegen und zum Einhalten der Gebote JHWHs aufruft. Ein solches Bild zeichnen in der Tat bereits biblische Texte (vgl. 2 Kön 17,13; 2 Chr 24,19; Neh 9,26). Allerdings scheint sich ein solches Prophetenverständnis erst im Zusammenhang mit der Verarbeitung der Krise der Zerstörung des Jerusalemer Tempels um 587/586 v. Chr. (→ Tempel) und des babylonischen Exils (→ Exil) herausgebildet zu haben. Israel und Juda wurden vom Unglück getroffen, so die nachträgliche Deutung der Ereignisse, da der prophetische Umkehrruf ignoriert wurde (vgl. 2 Kön 17,14–23) und man gar Hand an die mahnenden Propheten anzulegen begann (vgl. 2 Chr 24,20–22; Neh 9,26–37). Die älteren, noch vorexilischen prophetischen Texte, bei denen die unbedingte Ansage von Unheil oder Heil im Vordergrund steht, greifen das Motiv der Umkehr selten im Rahmen eines direkten Umkehrrufs auf. Manche der einschlägigen Stellen werden als spätere Ergänzungen gedeutet. In Am 4,6–12 wird refrainartig der Vorwurf wiederholt, trotz göttlicher Warnzeichen nicht zu JHWH umgekehrt zu sein. Wie andernorts steht hier nicht explizit ein Aufruf zu einer Verhaltensänderung im Zentrum, vielmehr begründet der geäußerte Vorwurf die prophetische Unheilsansage (vgl. Jes 9,12; 30,15). Der Aufweis, dass eine Umkehr gefordert gewesen wäre, unterstreicht zugleich, dass es einen Punkt gibt, ab dem die Chancen zur Umkehr verspielt sind. Das Hoseabuch veranschaulicht, dass biblisch nicht nur die Umkehrverweigerung, sondern auch die Umkehrunfähigkeit Reflexionsthema sein kann (vgl. Hos 5,4; 11,7). Zugespitzt ist in Jes 6,10 gar von einem göttlichen Verstockungsauftrag die Rede (→ Verstockung). Passagen wie Jer 3,12–13 werfen die Frage auf, ob und unter welchen Bedingungen JHWH überhaupt eine Umkehr akzeptieren kann. Nach Jer 3 ist das Schuldeingeständnis wesentlich. Das Fehlverhalten wird je nach Kontext unterschiedlich bestimmt und unterschiedlich detailliert beschrieben. Missstände kultischer, sozialer oder politischer Art können angesprochen sein. Vor allem jüngere Texte wie 2 Chr 24,19–20 erheben sehr allgemein das Einhalten bzw. Missachten der Gebote JHWHs zum Kriterium für einen guten bzw. schlechten Lebenswandel. Dass von göttlicher Seite nicht nur eine halbherzige, sondern eine umfassende, den gesamten Lebenswandel prägende Zuwendung eingefordert wird (vgl. Ps 78,34–37), manifestiert sich unter anderem im prophetischen Aufruf, das Herz zu beschneiden (Jer 4,4; vgl. Dtn 10,16). Die Vorstellung, dass erst eine Wesensveränderung eine Richtungsänderung ermöglicht, relativiert dabei das Bild der Umkehr. An anderen Stellen ist davon die Rede, dass JHWH selbst das Herz der Menschen beschneidet, um eine Rückkehr „mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele“, also auf einer neuen Vernunft und neuem Denken gründend (vgl. KRÜGER 2009, 117) zu ermöglichen (vgl. Dtn 30,6–10, aber auch Ez 11,19–20 und 36,26–28, wonach Gott sich vornimmt, das steinerne Herz der Menschen durch ein Herz aus Fleisch zu ersetzen). Solche Passagen rücken nochmals in anderer Form die Frage ins Zentrum, inwieweit Menschen auf Gottes Zuwendung („Barmherzigkeit“ → Gnade) angewiesen sind, um überhaupt als Zurückgekehrte vor ihm bestehen zu können. Hieran knüpfen später die christlichen Diskussionen um die Frage nach der Rechtfertigung vor und durch Gott an. Wie bereits erwähnt, ließ sich die Umkehrforderung im Kontext des Neuaufbaus Judäas in nachexilischer Zeit unter Verweis auf die Vorfahren, die auf bösen Wegen gingen und damit ein hartes Gericht heraufbeschworen, einsichtig machen (vgl. Sach 1,4). Dem Optimismus, wie er z.B. in Sach 1–8 begegnet – danach führt der kollektive Neuanfang zu einem idealen, prosperierenden Gemeinwesen, dem sich letztlich alle Völker anschließen werden (vgl. Sach 8,20–23) –, musste freilich früher oder später mit Modifikationen oder Neukonzeptionen begegnet werden, da er durch die Geschichte widerlegt wurde. Umkehr konnte vermehrt als individuelle Herausforderung in den Blick kommen (vgl. Jes 59,20), aber auch eine kollektive Forderung bleiben im Vertrauen darauf, dass Gott in der Zukunft, also durch ein künftiges Gericht klarstellen wird, wessen Lebenswandel gut oder eben schlecht war (vgl. Mal 3,13ff.; Bar 4,28f.).

Auch jüngere biblische Weisheitstexte greifen die Umkehr-Metapher auf, vor allem das Sirachbuch (vgl. Sir 5,7; 8,5; 17,25f.; 18,21). Sie signalisieren überwiegend die Zuversicht, dass Gott mit denjenigen, die umkehren, nachsichtig ist (vgl. Sir 17,29). Allerdings tritt die Rede von Umkehr in einigen Schriften stark zugunsten des Bildes der Weisheit als prinzipiell allen zugänglicher, segenspendender Größe zurück (vgl. Spr 1,20–23; 9,1–6; Sir 24,19f.; Weish 6,11–14; → Weisheit, personifizierte). Obwohl sich durch die Akzentverschiebung von der Umkehrforderung zum freundlichen Ruf der Weisheit die pädagogische Stoßrichtung ändert, bleibt der Inhalt der Forderung im Wesentlichen derselbe: Es geht darum, sich unverzüglich (Sir 5,7) auf einen den Geboten Gottes entsprechenden und damit gottgefälligen Lebenswandel einzulassen (vgl. Sir 1,26; 6,37; Weish 6,17–18; Bar 4,2). Die jüngeren biblischen Weisheitsschriften problematisieren mit unterschiedlicher Akzentsetzung die Deutung von Unglück und Leid im Rahmen der Umkehrthematik. Ungemach, so der Grundtenor, verweist nicht notwendig auf eine Abkehr von Gott, sondern lässt sich auch als Prüfung der Gottesfürchtigen verstehen (vgl. Sir 2,4f.; Weish 3,5f.). Auch das Hiobbuch kritisiert die optimistische Sicht, Umkehr garantiere ein segensvolles Leben, was im engen Umkehrschluss jegliches Unglück als Indiz für Verfehlungen erscheinen lässt (vgl. Elifas’ an Hiob gerichteten Umkehrruf in 22,22f.), problematisiert ansatzweise aber auch das Prüfungskonzept (vgl. Zofars Votum in 11,13–17).

Die biblischen Texte legen nahe, dass vor allem in jüngerer, exilischer und nachexilischer Zeit gewisse Ritualpraktiken aus dem Bereich der Trauerund Schuldbewältigung bzw. Entsühnung mit der Umkehrthematik verbunden wurden. Beispielsweise werden in 2 Chr 7,14 Gebet und Demutsbekundung mit Gottessuche und Umkehr assoziiert. Als konkrete Rituale der Demutsbekundung, ob kollektiv oder individuell, finden das Klagen (→ Klage) und Fasten am häufigsten Erwähnung (vgl. 1 Kön 21,27; Jes 58,5; Dan 9,3; Joel 2,12; Jona 3,5). Das Untertauchen in Wasser, herkömmlicherweise ein Akt ritueller Waschung, ist alttestamentlich noch nicht als Umkehrritual bezeugt (vgl. dann die Bedeutung der Taufe in neutestamentlichen Texten, z.B. Mk 1,4; Mt 3,11; Lk 3,3).

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