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Ist eine von der Natur abgeschaute Technik naturverträglicher?

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Neben dem innovativen Potenzial, das der Natur zugesprochen wird, verbindet sich mit dem Begriff eines Lernens von der Natur auch die Hoffnung, dass sich auf diese Art und Weise auch Lösungen für die aktuelle ökologische Krise finden lassen; bei der es sich um dieselbe Krise handelt, die bereits Hoimar von Ditfurth in seiner Sendung aus dem Jahr 1978 beschrieben hat. Sie hat sich seitdem verschärft und bedroht uns inzwischen existenziell.

Zu der Zeit, als die Querschnitt-Folge ausgestrahlt wurde, war das Thema Klimawandel für die meisten Fernsehzuschauer noch neu. Vielfach wurde den Prognosen entgegengehalten, dass man ja nicht wissen könne, ob die Modelle der Klimaforscher denn stimmen. »Vielleicht kommt alles ja ganz anders«, »Die Natur wird das schon aushalten und regeln« und »Die Wirtschaft muss Vorrang haben« waren oft zu hörende Argumente, die eine ernsthafte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Klimawandel verhinderten.

Auch wenn diese Argumente teilweise noch heute verwendet werden, ist die aktuelle Situation anders. Heute wissen wir sicher, dass der mit der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung verbundene Ressourcenverbrauch und die damit einhergehenden Emissionen die globalen Stoffkreisläufe stören, die Atmosphäre, Ozeane und Böden massiv schädigen, das Klima relevant verändern und die Artenvielfalt dramatisch reduzieren. Die Veränderungen sind inzwischen so groß, dass bereits nur noch etwa ein Drittel des eisfreien Landes auf der Erde noch als Wildnis bezeichnet werden kann und der größte Teil der der Masse aller Wirbeltiere besteht inzwischen nicht mehr aus Wildtieren, sondern aus Nutztieren. (Williams 2015). Die ökologische Krise hat sich inzwischen so verschärft, dass auch ihr Potenzial eine soziale und ökonomische Krise auszulösen erkennbar ist. Ohne eine ökologische Grundlage ist nämlich auch die menschliche Existenz mit ihrer sozialen und wirtschaftlichen Dimension nicht denkbar.

Die Erkenntnis, dass die Art und Weise wie wir Technik bisher einsetzen, zu den ökologischen Problemen führt, die wir heute beobachten, lässt ein grundsätzliches und nicht vermeidbares Dilemma erkennen: Auf der einen Seite können wir unsere Lebensgrundlagen nicht ohne Technik erhalten, auf der anderen Seite führt aber gerade die Anwendung von Technik zur Bedrohung dieser Lebensgrundlagen. Kann uns also eine Technik, die von der Natur abgeschaut wird, aus diesem Dilemma befreien? Damit sie das kann, muss sie »naturgemäßer« oder zumindest »naturverträglicher« sein, als die Technik, die die bisherige Basis unserer Industriegesellschaft bildet (Gleich 1998, S. 7). Dass eine biologisch inspirierte Technik diese Qualität hat und deshalb einen nachhaltigen Beitrag zu einem zukünftigen Wirtschaften leisten kann, ist eine oft zu findende Ansicht (Dieckhoff 2019; Neugebauer 2019).

Wenn wir jedoch auf das Lernen von der Natur so viel Hoffnungen setzen, ist es von außerordentlicher Bedeutung vom wem oder von was wir da eigentlich lernen sollen oder wie Hoimar von Ditfurth bereits fragte (Ditfurth 1993, S. 221), wer »optimierte das Hühnerei und entwarf dessen geniale Form?«

Diese Frage nach dem »Wer«, die von Ditfurth ins Spiel bringt, wirft gravierende weitere Fragen auf, sie beinhaltet, zumindest sprachlich, die Suche nach einem Subjekt, das die Optimierung der Eischale vorgenommen hat. Die Natur als ein solches Subjekt zu beschreiben, sie quasi als Ingenieurin zu verstehen, ist jedoch äußerst problematisch. Um den Aufbau der Eischale zu erklären, berufen sich die Erklärungsmuster der Biologie nämlich nicht auf eine Zwecksetzung durch einen äußeren Willen oder ein Ziel, das in der Natur enthalten ist. Obwohl biologische Sprache nicht ohne teleologische Metaphern1 auskommt, ist in der Biologie, kein Platz für ein zielsetzendes »Wer«. Biologische Sprache und biologisches Weltbild passen hier nicht richtig zusammen, da teleologische Deutungskonzepte von zielorientierten Entwicklungen ausgehen, während das Weltbild der Evolutionsbiologie eine willentliche Gestaltung ausschließt und stattdessen von einem Wechselspiel aus Variation und Selektion ausgeht, dass die Entwicklung von Lebewesen erklären soll. Ein einfacher Verweis auf die Kreativität der Natur als solches hilft hier nicht weiter, weil sie das kreative Potenzial mit »der Natur« einem abstraktem »Etwas« unterstellt, von dem sich schwer sagen lässt, was es denn eigentlich ist. So gehört die Frage, was Natur ist, zu den ältesten und grundlegendsten der Philosophie überhaupt (Kather 2012, S. 7). Sie ist bis heute umstritten und auch Werner Ingensiep geht in seinem Beitrag (Kapitel 11) dieser Frage nach.

Biologische Transformation - Interdisziplinäre Grundlagen für die angewandte Forschung

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