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Die Tagung »Biologische Transformation – Interdisziplinäre Perspektiven für die angewandte Forschung«
ОглавлениеDie Ausführungen in diesem einleitenden Kapitel sollten zeigen, dass ein Konzept, welches das Lernen von der Natur voraussetzt und biologische Erkenntnisse in andere Bereiche übertragen möchte, äußerst komplex und vielschichtig ist. Es lässt sich nur interdisziplinär erschließen und reflektieren. Am 21. und 22.11.2019 kamen deshalb im Museum für Naturkunde Berlin Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sowie Vertreterinnen und Vertreter der Presse, von NGOs und Projektträgern zu einer von der Fraunhofer-Gesellschaft, dem Zentrum für medizinische Biotechnologie der Universität Duisburg-Essen und dem Museum für Naturkunde Berlin ausgerichteten Tagung zusammen. Der Titel der Tagung »Biologische Transformation – Interdisziplinäre Perspektiven für die angewandte Forschung« zeigt an, dass es das Ziel der Tagung war, unterschiedliche Fachrichtungen zu einem interdisziplinären Diskurs über das Thema biologische Transformation anzuregen. Teil nahmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Ingenieur- und Naturwissenschaften, Bionik, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie sowie Technik- und Biophilosophie. Die in diesem Band enthaltenen Artikel sind verschriftliche Beiträge der Tagung. Leider lagen nicht alle Beiträge in schriftlicher Form vor, sodass sicherlich wichtige Impulse noch fehlen.
Nach dieser Einleitung findet sich ein Beitrag von Thomas Bauernhansl und Markus Wolperdinger. Die Leiter des Fraunhofer IPA und IGB stellen in ihrem Beitrag den Fraunhofer-Forschungsansatz »Biologische Transformation« vor (Kapitel 2). Anschließend erläutert der Bioniker Oliver Schwarz, ebenfalls vom Fraunhofer IPA, welchen Mehrwert eine Technikentwicklung erreichen kann, die sich an der Natur orientiert (Kapitel 3).
In der Folge werden in einem weiteren Text verschiedene Kategorien biologischer Transformationen von mir untersucht. Im Vordergrund steht dabei die Frage, was seinem Wesen nach vorliegt, wenn Biologie und Technik zusammenkommen und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind (Kapitel 4). Alfred Nordmann und Janine Gondolf interpretieren in ihrem Beitrag, Bionik und Biotechnologie als »Parodie« von Biologie oder Natur. Sie bringen »biologische Funktion in einem technischen Zusammenhang, [der] nichts mehr mit Biologie zu tun hat« (Kapitel 5)
Im sechsten, siebten und achten Kapitel finden sich unterschiedliche Sichtweisen auf den Begriff »Evolution«. Dieser stand auf der Tagung oft im Mittelpunkt des Austausches. Oft wurde diskutiert, ob es wissenschaftlich richtig ist, den Evolutionsbegriff auf andere Bereiche zu übertragen. Wie komplex die Zusammenhänge sind und dass zurückhaltend mit einer zu vorschnellen Übertragung umgegangen werden muss, macht vor allem der Beitrag von Ulrich Krohs, Biophilosoph an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, deutlich (Kapitel 6). Er erläutert Evolutionsmechanismen und den Evolutionsbegriff. Im Anschluss stellt Marco Lehmann-Waffenschmidt von der Technischen Universität Dresden sein Fachgebiet, die Evolutionäre Ökonomik, vor (Kapitel 7). Die Evolutionäre Ökonomik untersucht graduelle, ergebnisoffene Prozesse bzw. ungerichtete Transformationen in der Ökonomie. Der Unternehmer und Psychologe Klaus-Stephan Otto bringt im vierten Kapitel Beispiele, wie, seinem Verständnis nach, Prozesse aus der Natur ihr Pendant in der Wirtschaft finden. Er nimmt eine metaphorische Übertragung biologischer Begriffe vor, in dem er Unternehmen als Lebewesen bzw. Ökosysteme betrachtet (Kapitel 8).
Kapitel neun und zehn setzen sich mit ethischen Aspekten rund um das Thema Biologische Transformation auseinander. Zunächst stellt der Ethiker und Philosoph Joachim Boldt von der Universität Freiburg ethische Prinzipien vor, die bei einer Diskussion um eine Biologische Transformation relevant sein können (Kapitel 9). Die Philosophin und Theologin Heike Baranzke stellt in Zusammenhang mit einer biologischen Transformation die Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine »gute« Technik geben kann (Kapitel 10).
Der anstelle eines Schlusswortes formulierte und abschließende Text des Biophilosophen Werner Ingensiep nimmt die in diesem einleitenden Beitrag gestellte Frage auf, was wir unter Natur verstehen und was zu berücksichtigen ist, wenn wir Begriffe aus einem Bereich in einen anderen übertragen (Kapitel 11).
Auch wenn auf der Veranstaltung viele Fragen angesprochen wurden, ist abschließend festzustellen, dass der interdisziplinäre Diskurs für das Thema Biologische Transformation gerade erst begonnen hat. Da die Beiträge in diesem Tagungsband von Menschen, stammen, die ihre Expertise in sehr unterschiedlichen Disziplinen erworben haben, sind sie nicht nur unterschiedlich, teilweise widersprechen sie sich sogar. Dies kann bei einem interdisziplinären Diskurs jedoch nicht anders sein. Hier gibt es einfach unterschiedliche Standorte und Perspektiven, die oft in und mit ihren Unterschieden nebeneinanderstehen bleiben müssen. Dieser einleitende Text soll deshalb mit einem Zitat des Philosophen Georg Picht enden, das auf das Miteinander verschiedener Perspektiven Bezug nimmt und auch als Plädoyer für einen interdisziplinären Austausch in den Wissenschaften auslegt werden kann5. So wie »Der Wanderer im Nebelmeer«, der auf dem Umschlagbild dieses Buches zu sehen ist, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jeweils ihre eigene Perspektive. Georg Picht schreibt:
»Wir beginnen zu ahnen, daß unser Wissen keine zeitlosen Wahrheiten enthält, sondern von dem Standort abhängig ist, an dem wir uns jeweils befinden; es dämmert uns, daß […] unser Denken eine Bewegung, daß heißt eine Wanderung durch die Landschaft ist, bei der uns von verschiedenen Standorten aus verschiedene Ausblicke in dieselbe Landschaft möglich werden. Würden wir die Aussagen vergleichen, in denen wir die verschiedenen Bilder beschreiben, und würden diese Bilder ohne Rücksicht auf den Standort, von dem aus sie jeweils gewonnen würden, nebeneinanderstellen, so würde sich ergeben, daß sie einander widersprechen. […] Durch diesen Vergleich wird deutlich, wo der fundamentale Fehler in unseren Denkgewohnheiten steckt. Wir halten abstrakt Meinung gegen Meinung, Aussage gegen Aussage und stellen fest, daß sie einander widersprechen, reflektieren aber nicht darauf, daß sie von ihrem (jeweiligen) Standort aus in perspektivischem Sinne des Wortes »wahr« sind. Wir können ihre perspektivische Wahrheit nicht erkennen, weil uns die Landschaft unbekannt ist, durch die wir uns beim Denken bewegen, und weil wir vergessen haben, eine Karte zu zeichnen, auf der wir uns über die Formation dieser Landschaft und über die relative Position der verschiedenen Standorte orientieren könnten.« (Picht 1993, S. 28)