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Was ist Natur?

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Für Forschungsthemen, die sich am Leitbild Natur orientieren, hat die Frage, was mit der als Vorbild verwendeten Natur gemeint ist, eine entscheidende Bedeutung. Eine Reflexion was Natur ist, mitsamt einer Analyse der vielfältigen Antworten darauf, ist eine wichtige Voraussetzung, um die Naturbilder, an denen sich die jeweiligen Forschungsthemen – meist ohne es zu wissen – orientieren, zu identifizieren und zu bewerten. Letzteres ist ein notwendiger Prozess, der von der angewandten Forschung noch zu leisten ist! Der Umfang, den eine solche Reflexion hat, ist allerdings groß, sodass ihr hier nicht mit der gebotenen Ausführlichkeit nachgegangen werden kann. Grob zusammengefasst kann jedoch geschichtlich zwischen »monistischen« und »dualistischen« Naturvorstellungen unterschieden werden. In monistischen Vorstellungen wird die Natur mit allem was existiert, philosophisch ausgedrückt mit dem ganzen Seienden, gleichgesetzt. Wir finden solche Vorstellungen u. a. bei vorsokratischen Philosophen wie Heraklit, der die »physis«2, wie die Griechen dieses ganze Seiende nannten, als etwas interpretierte, dass Dinge, Lebewesen, Menschen und das Göttliche enthielt.

Auch die modernen Naturwissenschaften, setzen scheinbar ein umfassendes Ganzes als Natur voraus, von dem sie annehmen, dass es eine weitgehend kausale Organisation3 hat, die mathematisch erfasst werden kann. Dieses Ganze ist jedoch etwas Anderes als die physis der Griechen. Während die physis alle Dinge, alle Lebewesen mitsamt den Menschen und Göttern umfasste, benötigt das Konzept der Naturwissenschaften Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die den Prozessen, die sie in der Natur untersuchen als erkennende Subjekte gegenüberstehen. In der Entwicklung der naturwissenschaftlichen Methode ist also schon eine dualistische Vorstellung von Natur enthalten, in der eine determinierte Natur von einer durch den menschlichen Geist geprägten Sphäre unterschieden wird.

Eine dualistische Sichtweise findet sich bereits bei Aristoteles, für den Natur all das ist, was ohne menschliches Zutun entstanden ist (Schiemann 1996b, 17ff). Kultur, zu der auch die Technik gehört, wird somit bereits durch Aristoteles von der Natur unterschieden, eine Sichtweise, der die meisten Menschen wahrscheinlich intuitiv zustimmen würden. In dualistischen Naturvorstellungen kann Natur immer nur in Abgrenzung zur Kultur oder zu etwas anderem, beispielsweise einer göttlichen Sphäre definiert werden. Umgekehrt wird Kultur in Abgrenzung zur Natur gedacht, sodass Natur und Kultur mitsamt der Technik als Gegenpole verstanden werden, die ohne Bezug auf das jeweils Andere nicht beschrieben werden können (Schiemann 1996a).

Auch im Konzept einer Biologischen Transformation finden sich verschiedene Naturmotive als Deutungskonzepte wieder. So nimmt es eine Trennung zwischen Natur und Kultur (Technik) zum Ausgangspunkt und formuliert, mit der im Beitrag von Thomas Bauernhansl und Markus Wolperdinger (Kapitel 2) genannten Konvergenz aus Biosphäre und Technosphäre, eine Vision, in der diese Trennung aufgehoben wird. Diese Vermischung der meist getrennt gedachten Bereiche Natur und Kultur (Technik) zeigt sich bereits in der Biotechnologie und Gentechnik, deren Gegenstände sowohl natürliche wie auch technische Aspekte haben. Unsere Gewohnheit, Natürliches und Technisches strikt voneinander zu trennen, entspricht also nicht den Gegebenheiten, wie wir sie heute vorfinden. Von Einigen, beispielsweise von den Soziologen Michel Callon und Bruno Latour, wird diese Trennung nicht nur als falsch angesehen, sondern sogar als Hauptursache der ökologischen Krise ausgemacht. Die Aufhebung der Natur-Kultur-Trennung ist deshalb auch das Ziel der von ihnen ab den 1980er Jahren federführend entwickelten »Akteur-Netzwerk-Theorie«. Die Theorie »zielt […] darauf […]: die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Natur bzw. zwischen Gesellschaft und Technik aufzubrechen« (Schulz 2000). Im Fokus stehen die Eigenschaften und Verhaltensweisen der an einem Netzwerk beteiligten, belebten oder unbelebten Natur, die der involvierten technischen Artefakte und sowie der betreffenden sozialen Akteure, Normen oder Institutionen; sie alle werden als Handlungssubjekte eines Netzwerks interpretiert. (Schulz 2000)

Im interdisziplinären Diskurs wird das Gespräch über Natur und Kultur durch eine Grenzlinie behindert, die viele Naturwissenschaftlerinnen und –wissenschaftler von ihren geisteswissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen trennt. Auf der einen Seite der Grenzlinie finden sich eher naturalistische und auf der anderen Seite eher kulturalistische Positionen. Im »Naturalismus« wird die Kultur als Produkt der Natur aufgefasst und im »Kulturalismus« ist Natur ein kulturelles Konstrukt. Das Eine geht jeweils in dem Anderen auf bzw. ist dessen Produkt. Bei einem Diskurs über eine Biologische Transformation, die eine Konvergenz von Bio- und Technosphäre postuliert, ist deshalb zu fragen, ob dabei das Technische im Natürlichen oder das Natürliche im Technischen aufgeht. Es ist eine offene interdisziplinäre Diskussion erforderlich, um zu vermeiden, dass »das Biologische« bzw. »das Natürliche« nur als Legitimation herangezogen wird, damit das Technische umgesetzt werden kann. Für einen partizipatorischen Prozess, der sich mit der Akzeptanz des Konzepts einer Biologischen Transformation auseinandersetzt, wird diese Frage von großer Wichtigkeit sein.

Biologische Transformation - Interdisziplinäre Grundlagen für die angewandte Forschung

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