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Prinzipien der Natur, Prinzipien der Biologie?

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Wenn nun aber schon die Einordnung des Naturbegriffs äußerst kompliziert ist, so ist die Identifizierung von Natur-Prinzipien oder biologischen Prinzipien nicht einfacher. Biologische Prinzipien sind etwas Anderes als gesetzmäßige Zusammenhänge in der Physik oder Chemie.

Auch generelle Aussagen zur Natur können in einem oder mehreren Jahrhunderten ganz anders aussehen als heute. Solche Aussagen, mit denen Allgemeingültiges über die Natur ausgesprochen wird, sogenannte »Die Natur ist-Sätze« sind deshalb mit äußerster Vorsicht zu bewerten. »Die Natur ist ein System!«, »Die Natur arbeitet in Kreisläufen!« und »Die Natur ist effizient!« sind Aussagen, die in diese Kategorie gehören. Oft werden sie auch mit einer Schlussfolgerung verknüpft, die sich aus dem vermeintlichen Naturprinzip ergibt. Auf eine dieser Annahmen, die besagt, dass die Natur effizient ist, soll im Folgenden kurz eingegangen werden.

Es ist richtig, dass bionische Anwendungen effizienter sein können als herkömmliche technische Anwendungen. Aber lässt sich hieraus der Schluss ziehen, die Natur selbst ist effizient und Effizienz damit ein Prinzip der Natur? Viele Prozesse in der Natur lassen sich durchaus unter diesem Blickwinkel betrachten. So ist es möglich, den Materialaufwand zu messen und zu bewerten, der für einen zu erzielenden Nutzen, beispielsweise die Stabilität einer Hühnereischale, benötigt wird. Viele Prozesse und Produkte in der Natur erscheinen, wenn wir diesen Blickwinkel einnehmen, als ausgesprochen effizient. Viele, aber nicht alle! Beispielsweise ist die Energieumwandlung durch pflanzliche Photosynthese in Bezug auf die pro Flächeneinheit umgewandelte Energie deutlich ineffizienter als technische Photovoltaik-Anwendungen (Fratzl 2019, S. 50) und wie ressourceneffizient Prozesse in Lebewesen organisiert sind, hängt auch davon ab, wie viele Ressourcen zu Verfügung stehen. Effizienz wird nur dann wichtig, wenn Ressourcen knapp sind. (Vincent 2002)

Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei Effizienz um ein quantitatives Konzept handelt, dass nur angewendet werden kann, wenn sich sowohl der Nutzen wie auch der Aufwand quantifizieren lassen. Effizienzdenken stößt immer da an seine Grenzen, wenn es nicht um quantitativ messbare Dinge geht, sondern um Qualitäten. Während wir in Technik und Ökonomie nämlich in der Regel einen Nutzen klar benennen können, ist das in der Natur nicht der Fall. Was soll »der Nutzen« in der Natur sein? Ist es das Überleben, die Fortpflanzung, die Arterhaltung? Wäre der Nutzen so zu erfassen, müssten wir auch die Frage beantworten, warum sich immer komplexere Lebensformen entwickelt haben. Wäre es nicht effizient, wenn es nur Lebewesen wie »Haarsterne« gäbe? Haarsterne sind in der Tiefsee lebende Tiere, die sich nur wenige Zentimeter pro Jahr fortbewegen und keine Energie darauf verwenden, die eigene Körpertemperatur aufrechtzuerhalten (Weber 2010). Die Tiere kommen mit dieser Art zu leben bestens klar. Bestünde der Nutzen in der bloßen Arterhaltung, dann stellt sich die Frage, warum es so etwas wie energieverschwendende Warmblüter überhaupt gibt. Überleben und sich fortpflanzen können Haarsterne auch und sie tun das mit einem äußerst geringen Aufwand.

Das Beispiel zeigt, dass Effizienz in der Natur möglicherweise nicht unwichtig ist, keinesfalls aber von anderen Aspekten isoliert bewertet werden darf. So eröffnet eine konstante, ausreichend hohe Körpertemperatur, wie sie bei warmblütigen Tieren vorliegt, vermutlich ein reichhaltigeres Innen- und ganz anderes Sozialleben, als es bei wechselwarmen Tieren möglich ist. Hier reden wir jedoch über eine Qualität und nicht über eine quantitativ messbare Größe. Die Qualität »Warmblütigkeit« lässt sich nicht mithilfe des Effizienzgedankens erfassen. Effizienz, als leitendes biologisches Prinzip zu verstehen, greift deshalb viel zu kurz.

Wenn wir von Effizienz in der Natur sprechen, nehmen wir ein technoökonomisches Kosten-Nutzen Denken in unsere Vorstellung von Natur hinein und vermeinen es dort als biologisches Prinzip zu erkennen. Versuchen wir dann dieses Prinzip wieder in Technik, Wirtschaft oder gar die Gesellschaft zu übertragen, erfolgt eine Rückübertragung, die ggf. Dinge und Prozesse als »natürlich« legitimiert, obwohl sie es vielleicht gar nicht sind.

Begriffsübertragungen, wie sie eben beschrieben wurden, sind in der Geschichte der Wissenschaften nicht ungewöhnlich. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen Erkenntnisse aus einem Fachgebiet inspirierend auf Untersuchungen in anderen Fachgebieten einwirkten. Beispielsweise integrierte Carl von Linné ökonomische Gedanken in seine Lehre vom Naturhaushalt, Charles Darwin griff zur Erläuterung seiner Evolutionstheorie auf Begriffe des britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus zurück und Erkenntnisse zu biologischen Systemen wurden von Biokybernetikern aus technischen Systemsteuerungen abgeleitet. Werden diese Gedanken nun wieder in den technischen, ökonomischen oder sozialen Bereich zurücktransferiert, ist eine kritische Reflexion dieses Vorgangs erforderlich. Zu berücksichtigen sind die mit der Übertragung verbundenen, unterbewussten und bewussten Vorstellungen und Ziele.

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