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Verfestigung der Formen – Guillaume de Machaut und das französische Lied

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Die Wirkung von Musik

Im Prologue äußert sich Machaut auch zu seinem Musikverständnis. Für ihn war Musik nicht nur in traditioneller Weise eine Wissenschaft, sondern auch ein klangliches Ereignis, das eine große Wirkung auf den Hörer wie auf den Musizierenden ausübt. Bemerkenswerterweise hat nach Machaut Musik stets mit Freude zu tun, auch dann, wenn etwa die Dichtung eines Liedes selbst traurig ist. In Frankreich lässt sich diese Ansicht noch im 17. Jahrhundert nachweisen.

Der Dichter und Komponist Guillaume de Machaut (um 1300–1377) ist ein herausragendes Beispiel für den »clerc-écrivain« (»Kleriker-Dichter«) des späteren Mittelalters. Für die geistliche Laufbahn bestimmt, genoss er eine Ausbildung, die ihn nicht nur befähigte, in Latein wie Französisch zu dichten, sondern auch ein- und mehrstimmig zu komponieren. Spätestens um 1350 begann er, seine Werke in eigens dafür angelegten Handschriften zusammenzustellen. Den Abschriften dieser gesammelten Werke aus den 1370er-Jahren ist eine Abhandlung (Prologue) vorangestellt, die eine der ersten Dichtungslehren in französischer Sprache darstellt. Indem er darin die Liebe zum wichtigsten Thema seiner Dichtung erklärte, reihte sich Machaut in die Tradition der Trouvères ein. Die Liebe behandelte er sowohl in Erzählungen, sogenannten Dits, als auch in Liedern, den Chansons. Anders als bei den Trouvères können die Chansons Machauts entweder vertont oder unvertont, also reine Lesedichtung, sein. Dies weist auf eine wachsende Unabhängigkeit von Dichtung und Musik. Ebenfalls neu ist, dass die vertonten Chansons meist mehrstimmig sind, wohingegen die Lieder der Trouvères stets einstimmig waren. Die ursprünglich aus der geistlichen Musik stammende Mehrstimmigkeit wurde seit 1300 zunehmend auch für die weltliche Liedkunst verwendet.


Die Abbildung aus dem Remède de Fortune zeigt in der Bildmitte eine Gruppe höfisch gekleideter Menschen im Freien, die einen Rundtanz (Virelai) ausführen. Nach dem voranstehenden Erzählabschnitt ist der Liebende der ganz rechts in der Gruppe Tanzende, der sich anschickt zu singen, wozu er von dem Blick seiner links neben ihm stehenden Dame ermutigt wird. © Bibliothèque nationale de France

Eine dritte Neuerung ist, dass die französische Liedkunst des 14. Jahrhunderts größtenteils Refrainformen benutzt, die ursprünglich aus dem volkstümlich-heiteren Tanzlied stammten und nun auch für ernste Inhalte Verwendung fanden. Diese Herkunft aus dem Tanz bestätigen die Namen der von Machaut bevorzugten Formen: Ballade (von »baller«: »tanzen«), Rondeau (»Rundgesang«) und Virelai (wohl von »virer«: »drehen«). Die Forschung hat diese drei damals beliebtesten Refrainformen mit dem Stichwort »formes fixes« (»feststehende Formen«) charakterisiert. Damit wird eine weitere wichtige Neuerung gegenüber der Trouvère-Lyrik umrissen: Zeichnete sich diese durch Formenvielfalt aus, so verband sich mit der Chanson des 14. Jahrhunderts eine Tendenz zur Verfestigung nicht nur der Form, sondern auch des Strophenbaus.

Für Machaut waren Ballade und Rondeau auf der einen Seite und das Virelai auf der anderen funktional unterschieden. Ein wichtiges Zeugnis hierfür ist ein Dit Machauts aus den 1340er-Jahren, der Remède de Fortune (»Heilmittel gegen das Schicksal«). Hier integriert der Autor in die fortlaufende Erzählung Beispiele für die von ihm benutzten Gattungen und erläutert ihre Entstehung und ihren Gebrauch, was zusätzlich durch Abbildungen verdeutlicht wird. Die Ballade verfasst die Hauptperson der Handlung, der »Liebende« (»Amant«), auf dem Weg zu der von ihm verehrten Dame. Die begleitende Abbildung zeigt ihn im Freien sitzend beim Niederschreiben des Stücks, das im Folgenden mit Notation in den Ablauf der Erzählung eingefügt wird und sich als zweistimmig herausstellt. Die Schriftlichkeit gehörte zu dieser Art von Musik offenbar unbedingt dazu, was ebenso für das Rondeau gilt.

Anders beim Virelai im Remède: Hier trifft der Liebende seine Dame in einem Park, umgeben von anderen Damen, Rittern und Jungfrauen, die miteinander tanzen, und zwar einen Rundtanz, bei dem immer eine Person als Vorsänger die Führung übernimmt und die anderen in den stets gleichbleibenden Refrain einfallen. Dabei betont der Autor eigens, dass das Virelai ohne Instrumente und Spielleute ausgeführt werde, was offensichtlich dazu dient, auch diese »Gebrauchsmusik« als höfisch herauszustellen.

Deutlich wird hier, dass die volkstümlichen Musikpraktiken, von denen sich bereits die Trouvères abgrenzten, im 14. Jahrhundert nicht einfach verschwunden waren. Denn die populären Refrainformen konnten nur aufgewertet werden, wenn sie durch ihren dichtungs- und kompositionstechnisch hohen Anspruch glänzten und damit zur Kunst erhoben wurden.ΑΩ MKl

MUSIK. Ein Streifzug durch 12 Jahrhunderte

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