Читать книгу MUSIK. Ein Streifzug durch 12 Jahrhunderte - Группа авторов - Страница 21

Süßer Donner – Die Orgel

Оглавление

Die heilige Cäcilia – ein Missverständnis

Laut Legende wurde die heilige Cäcilia zur Heirat gezwungen. Während der Hochzeit spielten Musikanten mit ihren Instrumenten auf (»cantantibus organis«), Cäcilia aber besang in ihrem Herzen allein Gott. Durch einen Übersetzungsfehler wurde die Geschichte in ihr Gegenteil verkehrt: Aus dem stummen Gotteslob inmitten weltlicher Instrumentalmusik wurde ein Lobpreisen durch eine Orgel – und Cäcilia zur Schutzpatronin der Musik.

Der Mönch Notker, genannt der Stammler, erzählt in seinen Geschichten über Kaiser Karl den Großen von einem sehr wertvollen Geschenk, das die Gesandten des byzantinischen Kaisers im Jahre 812 nach Aachen mitbrachten: Besonderes Aufsehen erregte »jenes hervorragende Musikinstrument, das mit aus Erz gegossenen Laden und Blasebälgen aus Ochsenhäuten, die auf wundersame Weise durch Metallpfeifen blasen, das Grollen des Donners, aber auch die Geschwätzigkeit der Leier oder die Süße der Zimbel nachmacht«. Auch wenn er den Namen nicht nennt: Notker beschreibt hier eine Orgel, die im kalten Norden damals unbekannt war. Es handelt sich um ein bereits in der Antike erfundenes Instrument, das im byzantinischen Reich überlebt hatte und dort weiterhin in Gebrauch war. Auf diese Herkunft verweist auch sein Name: Im Griechischen bedeutet »órganon« schlicht Gerät oder Werkzeug, was auf Lateinisch »instrumentum« genannt wird. Damit handelt es sich in einem sehr wörtlichen Sinne um ein mechanisches Werkzeug, mit dem Musik gemacht wird. Das trifft letztlich auf alle Musikinstrumente zu, die ein Autor des 18. Jahrhunderts anschaulich als »musicalisches Spiel-Zeug« definierte.

Obwohl die antiken Orgeln etwas anders funktionierten als die Kirchenorgeln des Mittelalters und aus späterer Zeit, nennt Notker wichtige gemeinsame Elemente. Da ist zum einen die technische Einrichtung mit Blasebälgen, die den Luftstrom (»Wind«) erzeugen, mit dem die Orgelpfeifen zum Klingen gebracht werden. Die Verteilung der Luft auf die Pfeifen erfolgt in einem Kasten, der Windlade; dieser Mechanismus ist aber im Inneren des Instruments versteckt, sodass es tatsächlich »auf wundersame Weise« zu spielen scheint. Zu diesem erstaunlichen Effekt trägt zum anderen auch die Vielfalt und Lautstärke der erzeugten Klänge bei: Tatsächlich war der Donner bis zum Aufkommen des Schießpulvers das lauteste bekannte Geräusch, und eine klangstarke Orgel erregte entsprechendes Aufsehen. Zudem konnte die Orgel auch andere Musikinstrumente im Klang imitieren; Notker nennt ein gezupftes Saiteninstrument (Leier bzw. »lyra«) und ein von ihm als »cymbalum« bezeichnetes Instrument. Das meint hier vielleicht kleine und hell (»süß«) klingende Glöckchen. Beides, die technische Komplexität wie die Lautstärke und Klangvielfalt, waren auch Macht-Symbole und machten die Orgel so attraktiv als Geschenk für einen Herrscher – und später dann fast ausschließlich als Instrument zum Lobe Gottes, des höchsten Herrschers im Christentum. So fand die Orgel den Weg in die Kirche.


König David an der Orgel mit Kalkant, vor ihm ein Organistrum, Miniatur aus dem Rutland-Psalter, England um 1260 © akg-images/British Library

Im Mittelalter war die Orgel vor allem laut und klangstark. Die verschiedenartigen Pfeifentypen (wie Labial- oder Lingualpfeifen) konnten lange Zeit nicht einzeln gespielt werden; es erklangen immer alle Pfeifen einer Tonhöhe zugleich. Erst im 15. Jahrhundert wurde es üblich, einzelne sogenannte Register erklingen zu lassen, die oftmals den Klang von anderen Instrumenten imitierten und entsprechend bezeichnet wurden (wie zum Beispiel »Gemshorn« oder »Dulzian«). Aber auch hier galt, dass für die Erzeugung des Orgel-Winds, konkret für das Bedienen der oft riesigen Blasebälge, sogenannte »Kalkanten« benötigt wurden. Bei großen Orgeln waren hierfür bis zu zehn und mehr Personen erforderlich, die eigens für jeden Dienst besoldet werden mussten. Erst mit der Erfindung des Elektromotors im 19. Jahrhundert ist das Orgelspiel für den Organisten eine einsame Angelegenheit geworden, wird nun die Orgel doch auf Knopfdruck mit dem nötigen Wind versorgt.

Während auf der Orgel im Mittelalter zunächst vor allem blockhafte Klänge erzeugt wurden, wurde sie bald zu einem Instrument, auf dem ein Spieler allein alle Stimmen eines mehrstimmigen Stücks spielte. Diese Möglichkeit zu einem polyphonen Spiel zeichnet alle Tasteninstrumente aus und dürfte wohl auch ein Grund dafür gewesen sein, kleinere und transportable Orgeln zu bauen: sogenannte »Portative« (von lateinisch »portare« für »tragen«) und »Positive« (von lateinisch »ponere« für »stellen«). Diese konnten nicht nur im Kirchenraum am jeweils geeigneten Ort aufgestellt werden, sie fanden nun auch Platz außerhalb der Kirche und des Gottesdienstes.

Die mit großem technischen und finanziellen Aufwand errichteten Orgeln veralteten allerdings rasch, ähnlich einem teuren Computer oder Smartphone, und mussten entweder umgearbeitet oder durch ein neues, modernes Werk ersetzt werden. Erst vor knapp 100 Jahren wurden historische Orgeln wiederentdeckt, bewahren sie doch eine vergangene Klangwelt in sich auf.ΑΩ MKi

MUSIK. Ein Streifzug durch 12 Jahrhunderte

Подняться наверх