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Mousikē – Musik

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Die Musen, auf die unser Musikbegriff letztendlich zurückgeht, markieren zugleich den Beginn der überlieferten griechischen Dichtung im späten 8. Jahrhundert v. Chr.: Homer ruft in der Ilias die Muse an mit der Bitte, ihn zu seiner Aufgabe zu befähigen, den Trojanischen Krieg zu besingen, und nach den Beratungen der olympischen Götter singen die Musen ihnen »mit schöner Stimme« zu. In der um 700 v. Chr. entstandenen Theogonia (»Entstehung der Götter«) arbeitet Hesiod die antike Vorstellung von den Musen heraus. Ihr Vater ist Zeus, ihre Mutter Mnemosyne (»Gedächtnis, Erinnerung«). In den Musen ist also das, was wir unter Kultur verstehen, gespeichert. Hesiod teilt ihre Namen mit und gestattet uns zuzusehen, wie sie am Berg Helikon im Reigen tanzen und singen. Sie üben also verschiedene Künste zugleich aus. Der Philosoph Platon (ca. 429–347 v. Chr.) gab der Einheit dreier Musenkünste einen Namen: Als Sokrates fragt, »welche die Kunst des Saitenspiels, des Singens und des ›richtigen Schreitens‹ [Tanzens]« sei, lautet die Antwort »mousike«, jenes Wort also, von dem unser Wort »Musik« abstammt.


Die neun Musen auf einem Sarkophag aus dem 2. Jahrhundert (einige mit ihren Attributen dargestellt): Kalliope (epische Dichtung und Wissenschaft, Schriftrolle), Thalia (Komödie, lachende Theatermaske), Terpsichore (Chorlyrik und Tanz), Euterpe (Lyrik, Flöte), Polyhymnia (Gesang), Klio (Geschichtsschreibung, Schreibtafel), Erato (Liebesdichtung, Leier), Urania (Astronomie, Himmelskugel und Zirkel), Melpomene (Tragödie, tragische Theatermaske) © akg-images/Erich Lessing

Die von Platon angedeutete Vereinigung von Musenkünsten zeigt sich in der Gattung der Lyrik. »Lyrik« ist wie »Musik« ein uraltes Wort, das im Laufe der Zeit verschiedene Bedeutungen angenommen hat. Ursprünglich bezeichnete man damit strophische Dichtung, wobei nicht nur das Versschema, sondern auch die Melodie und die Tanzschritte wiederkehren. Diese Dichtung richtet sich oft an ein »Du« oder an ein »Ihr« (das heißt grammatisch an die zweite Person) und wird, begleitet von dem Saiteninstrument Lyra, gesungen. Sollte einem das vertraut vorkommen, so liegt dies daran, dass einiges an der heutigen Musik immer noch dieser Definition entspricht: Viele Popsongs – von Bob Dylans Like a Rolling Stone bis zu Rihannas Umbrella – bedienen sich dieser Anredeform, und die begleitende (akustische oder elektrische) Gitarre ist gewissermaßen die moderne Variante der Lyra.

Die früheste, lediglich in kleinen Textresten überlieferte Lyrik stammt von Sappho und von Alkaios, die im 7. Jahrhundert v. Chr. auf der griechischen Insel Lesbos lebten. Ihre Lyrik trugen sie in den Gruppen, denen sie angehörten, selbst vor. Sapphos Lyrik handelt oft von der Liebe, die des Alkaios oft von der Politik und den Freuden des Weines. Neben der von einer Einzelperson vorgetragenen Lyrik Sapphos und Alkaios’ gab es auch Chorlyrik, die jeweils von einer Gruppe einstudiert, gesungen und getanzt wurde. Einer ihrer prominenten Schöpfer war der griechische Dichter Pindaros (ca. 522–443 v. Chr.). Er feierte damit oft die Gewinner der damaligen sportlichen und künstlerischen Wettkämpfe, zu denen auch die Olympischen Spiele zählten. Die Spiele hatten eine rituell-religiöse Dimension, die in der Chorlyrik nachhallt. Ein weiterer Schauplatz der Chorlyrik war das griechische Drama (Tragödie, Komödie, Satyrspiel), bei dem ein singender und tanzender Chor das Geschehen kommentierte. Außer ein paar Fragmenten von Tragödien des Euripides (ca. 485–406 v. Chr.) hat sich aber kein einziger Ton der Einzel- und Chorlyrik erhalten. Was das Drama angeht, haben neuzeitliche Gattungen wie Oper, Oratorium oder Passion mit dem dort auftretenden Chor versucht, die Chorlyrik des antiken Dramas wiederaufleben zu lassen.

Als der römische Dichter Horaz (65–8 v. Chr.) Jahrhunderte später Strophenmodelle von Sappho und Alkaios übernahm, schuf er nicht mehr gesungene und getanzte Lyrik für Zuschauer und Zuhörer, wie es bei seinen Vorbildern der Fall gewesen war. Vielmehr war seine Dichtung im Handel erwerbbare Kunst zum Lesen. Gleichzeitig wurde ein anderer Aspekt des »mousike«-Begriffs immer mehr herausgebildet, jener der mathematischen Disziplin »musica«. Das ursprüngliche »mousike«-Ideal der Vereinigung dreier Musenkünste ist aber nie erloschen. Es lebt noch heute fort, zum Beispiel in der Flamenco- und Soulmusik oder im Auftreten von Boy- oder Girl-Groups und anderer Popmusiker. Und es wird weiter lebendig bleiben, solange Emotionen in Wort, Melodie, Saitenklang und Bewegung zum Ausdruck kommen.ΑΩ RHa

MUSIK. Ein Streifzug durch 12 Jahrhunderte

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