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Große Kunst in kleiner Form – Trobadors, Trouvères, Minnesänger

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Der berühmte Dichter Dante Alighieri äußerte sich um 1300 in einer Abhandlung über die Liedkunst seiner Zeit. Er beschrieb darin Lieder, deren Texte nicht mehr in Latein geschrieben sind – in der Sprache der Kirche und der Gelehrten –, sondern in den damaligen Volkssprachen. Dabei unterschied er nicht nur die drei Sprachregionen des Okzidentanischen (ehemals im heutigen Südfrankreich gesprochen), Französischen und Italienischen voneinander, sondern er teilte auch die in diesen Sprachen verfassten Lieder entsprechend ihres Inhalts und ihrer Form in ernste Liebes- und heitere Tanzlieder ein. Nach Dante verwendeten nur letztere Lieder Wiederholungen, die für die Begleitung von Tänzen notwendig waren.


Bernart de Ventadorn, Can vei la lauzeta mover (Lerchenlied), Übertragung nach einer Handschrift aus Toulouse, um 1300

Dante beschrieb hier das, was wir heute auf Deutsch mit Minnesang bezeichnen: eine an den mittelalterlichen Höfen gesungene Poesie, die zu einem großen Teil Liebeslyrik war. Der Minnesang ist das erste umfangreiche weltliche Musikrepertoire, von dem wir in Europa Kenntnis haben. Er tritt erstmals um 1100 in Aquitanien in Erscheinung, im 12. Jahrhundert dann auch in Nordfrankreich und Deutschland – wurde also rasch zu einem europäischen Phänomen. Die ausführenden Sänger, die nicht nur den Text, sondern auch die Melodie ihrer Lieder verfassten, bezeichnet man als Trobadors, Trouvères (französisch »trouver«: »[er-]finden«) oder Minnesänger.

Heute verbindet man mit Minnesang normalerweise ein bestimmtes Ideal höfisch-ritterlicher Liebe: Wir denken an Texte, in denen ein Sänger vom Werben um eine hochstehende, unerreichbare Dame berichtet und in denen das Leiden wegen der Aussichtslosigkeit dieses Werbens im Zentrum steht. Dies macht jedoch, wie von Dante dargelegt, nur einen Teil des überlieferten Repertoires aus. Daneben gibt es andere Liedformen: etwa Tagelieder, in denen die Vereinigung der Liebenden gelingt, aber durch den Tagesanbruch gestört wird. Oder auch Pastourellen, bei denen ein Ritter in der freien Natur auf eine Schäferin (also eine sozial unter ihm stehende Frau) trifft, mit der er sogleich schlafen will. Bisweilen kann dies auch misslingen, wenn die Schäferin ihn stolz abweist und sich dem Ritter dadurch überlegen zeigt. Das höfische Liebesideal erfährt hier dann eine parodistische Umkehrung.

Textlich zeichnet sich der Minnesang durch die Verwendung unterschiedlicher Stilebenen aus, die gemäß einem antiken Schema als »hoch« (ernstes Liebeslied), »mittel« (etwa Tagelied) und »niedrig« (etwa eine parodistische Pastourelle) galten. Dies betrifft neben dem Inhalt auch die Form, wobei die »hohe« Form bemerkenswerterweise weitgehend auf das verzichtet, was wir heute mit »Lied« verbinden: Einfachheit und Wiederholungsreichtum. Insbesondere zeigt sich das an den Melodien, die genauso wie das Strophenschema normalerweise für jedes Lied neu geschaffen wurden.

Ein Beispiel für eine »hochstehende« Melodie bietet das berühmte Lerchenlied des Trobadors Bernart de Ventadorn (zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts). Die Strophen dieses Liedes bestehen ausschließlich aus achtsilbigen Versen mit dem Reimschema ababcdcd und stehen exemplarisch für die beliebte Kanzonenform: Auf zwei gleich gebaute Teile (ab–ab) folgt ein andersartiger Schlussteil. Die einstimmige Melodie, die in den Handschriften mit diesem Text verbunden ist, überrascht dadurch, dass sie diese Textform kaum mitvollzieht: Abgesehen davon, dass die melodische Fassung von Vers 4 für Vers 7 wiederkehrt, gibt es in diesem Lied keine einzige musikalische Wiederholung. Womöglich gehörte noch nicht einmal diese eine melodische Wiederkehr zur ursprünglichen Gestalt des Liedes, sondern hat sich erst im Laufe seiner Überlieferung »eingeschlichen«. Dann entspräche das Lerchenlied genau jener wiederholungsfreien Form der »oda continua« (»fortlaufenden Liedweise«), die für Dante das Höchste in der Liedkunst darstellte.

Damit unterschied sich der Minnesang von anderen, schlichteren und populäreren Liedformen in der Volkssprache, wie sie auch für das Mittelalter angenommen werden können, auch wenn sie nicht überliefert sind. Das Ziel der Minnesänger war offenbar, sich von dieser volkstümlichen Liedkultur abzugrenzen. Denn das Ideal des Minnesangs war höchst anspruchsvoll, das Lied somit »große Kunst« in einer kleinen Form.ΑΩ MKl

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