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Seelenheil über den Tod hinaus – Machauts »Messe de Nostre Dame«

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Bis ins 18. Jahrhundert gab es in der Kathedrale von Reims eine Gedenktafel, auf der stand, dass zur Erinnerung an Guillaume de Machaut († 1377) und seinen Bruder Jean († 1372) samstags während der Messfeier an einem Marienaltar ein Totengebet zu sprechen sei. Die beiden Brüder hatten diese Stiftung eingerichtet, indem sie zu diesem Zweck Teile ihres Vermögens der Kirche vermachten, und so versucht, über ihren Tod hinaus für ihr Seelenheil zu sorgen. Und offensichtlich hat Guillaume de Machaut eben für diese Messe eine mehrstimmige Komposition beigesteuert, die handschriftlich als Messe de Nostre Dame, also als Marienmesse, bezeichnet ist. Dies kann man sowohl als Bezugnahme auf den Aufführungsort sehen – die Reimser Kathedrale ist Maria geweiht – wie auch als Ausdruck einer besonderen Marienfrömmigkeit der Stifter.

Der Geistliche Guillaume de Machaut war im Dienst des Hochadels tätig und bezog aus sogenannten Kanonikaten regelmäßige Einkünfte, was ihm viel Freiraum zu dichterisch-musikalischer Tätigkeit ließ. Von seinem Selbstverständnis her war er Dichter, und so verwundert auf den ersten Blick, dass sich eine anspruchsvolle vierstimmige Messe unter seinen Werken findet. Vermutlich ist sie in den 1360er-Jahren entstanden, als Machaut schon länger Kanoniker in Reims war und Vorbereitungen für die Zeit nach seinem Tod traf. Auch spätere Komponisten haben derartige Werke für ihr eigenes Totengedenken geschrieben, etwa Guillaume Dufay die Marienmotette Ave regina coelorum.


Beginn des Gloria aus Machauts Messe

Machauts Messe ist außergewöhnlich, denn ihre einzelnen Sätze, das sogenannte Messordinarium (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus und Ite missa est), erscheinen durch ihre kompositorische Gestaltung zyklisch aufeinander bezogen. Das ist überraschend, da diese Sätze (abgesehen von Kyrie und Gloria) im Verlauf der Messe nicht direkt aufeinanderfolgen, sondern durch andere Gesänge, Gebete oder Lesungen voneinander getrennt sind. Zwar hatte man schon seit dem 11. Jahrhundert damit begonnen, einstimmige Melodien für das Messordinarium handschriftlich für sich, also außerhalb des Messablaufs, aufzuzeichnen. Allerdings lassen sich Zusammenstellungen einander ähnlicher Melodien für die verschiedenen Ordinariumstexte zu Gruppen vor dem 14. Jahrhundert kaum nachweisen. Und auch die wenigen anonym überlieferten mehrstimmigen Messen dieses Jahrhunderts lassen zyklusbildende Maßnahmen vermissen: Eher scheinen sie aus unabhängig voneinander entstandenen Einzelsätzen nachträglich zusammengestellt worden zu sein.

Kompositorisch hat sich Machaut für seine Messe zweier verschiedener Verfahren bedient. Zum einen sind die textarmen Sätze (Kyrie, Sanctus, Agnus und Ite missa est) in der Technik der Motette vertont, indem sie der Tenorstimme eine liturgische, nach bestimmten Modellen rhythmisierte Melodie zugrunde legen. Um dieses ordnende Band herum entfaltet sich dann der mehrstimmige Satz weitgehend unabhängig vom Vortrag eines Textes. Zum anderen sind die textreichen Sätze (Gloria und Credo), abgesehen von den jeweiligen Amen-Abschnitten am Ende, durch eine rasche, gleichzeitige Textdeklamation in allen Stimmen geprägt und erinnern damit an ältere Liedformen oder an einfache Formen improvisierter Mehrstimmigkeit. Während die textarmen Sätze durch wiederkehrende rhythmische Muster strukturiert werden, ist dies bei den textreichen Sätzen anders: Hier wird die Komposition durch wiederholt auftretende floskelhafte Wendungen gegliedert. Unter anderem durch derartige, über die Satzgrenzen hinweg wiederkehrende »Motive« entsteht der Eindruck zyklischer Geschlossenheit. Hinzu kommt, dass die erste Hälfte der Messe (Kyrie bis Credo) eine D-Tonalität ausprägt, die zweite Hälfte (Sanctus bis Ite missa est) eine F-Tonalität, und dass zwischen verschiedenen Sätzen zahlreiche Parallelen in klanglicher und rhythmischer Gestaltung bestehen. Als weitere strukturierende und inhaltlich ausdeutende Maßnahme ist der gelegentliche Einschub lang ausgehaltener Klangfolgen zu verzeichnen: zum Beispiel im Gloria gleich zu Beginn bei den Worten »et in terra pax« (»und Friede auf Erden«). Womöglich lässt sich dies als inbrünstige Bitte um Frieden zur Zeit des Hundertjährigen Krieges deuten.

Die zyklische Messkomposition ist im 15. Jahrhundert zu einer äußerst beliebten Gattung geworden. Ob die Marienmesse Machauts dabei als Vorbild eine Rolle gespielt hat, ja ob sie überhaupt in größerem Umfang bekannt war, ist allerdings sehr fraglich. Im 14. Jahrhundert scheint sie jedenfalls ein vereinzeltes, zugleich aber noch heute beeindruckendes Experiment gewesen zu sein.ΑΩ MKl

MUSIK. Ein Streifzug durch 12 Jahrhunderte

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