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Ein strahlender Meteorit – Die Musik des Trecento

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»Der strahlendste Meteorit der Musikgeschichte« – mit diesem Bild hat der Musikwissenschaftler Nino Pirrotta die italienische Musik des 14. Jahrhunderts beschrieben. Ein Meteorit kommt aus dem Dunkel, leuchtet strahlend hell und verglüht. Pirrotta wählte diese Metapher, um drei Kennzeichen der Musik des Trecento zu veranschaulichen: Das plötzliche In-Erscheinung-Treten von weltlicher, italienischsprachiger Kunstmusik in großer Zahl in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts aus einer für uns mehr oder weniger dunklen »Vorgeschichte«, das glänzende intellektuelle und künstlerische Niveau dieser Musik und schließlich ihr fast folgenloses Verschwinden zu Beginn des Quattrocento.


Das Madrigal »Osellecto selvaggio« von Jacopo da Bologna, bestehend aus drei Terzinen und Ritornello, beginnt wie eine Naturschilderung, entpuppt sich jedoch als Parodie der Musikkultur, deren Niedergang beklagt wird. Die erwähnten Musiker sind Philippe de Vitry und Marchetto da Padua. Der Anfang zeigt eine typische Satztechnik: ausgedehnte Koloratur auf der ersten Silbe, Übergang zu syllabischer Deklamation mit der zweiten Silbe, erneute Koloratur auf der letzten betonten Silbe.

Das Vöglein im Wald singt zur Jahreszeit

zarte Verse auf feine Art.

Doch dieser Schrei ist so laut, den kann ich nicht loben.

Laut schreiend singt man nicht gut,

aber mit zarter und lieblicher Melodie

macht man einen guten Gesang, und das erfordert Meisterschaft.

Die haben nur wenige, aber alle halten sich für Meister,

machen Balladen, Madrigale und Motetten,

versuchen Philippe und Marchetto zu übertreffen.

Die Erde ist so voll von kleinen Meistern,

dass kein Platz mehr ist für Schüler.

Die Blüte der Musik im Trecento steht in Zusammenhang mit dem zeitgleichen Aufstieg des Italienischen zur Literatursprache. Die Trecento-Musik, so könnte man vereinfacht sagen, wendet die neuen Mittel der musikalischen Polyphonie auf diese neue Dichtkunst an und verschmilzt beide zu einer kunstvollen Einheit: »Worte appliziert auf Stimmen« bzw. »Gesang angewandt auf Worte«, wie es in einer Schrift der Zeit heißt.

Die zentralen Gattungen der Trecento-Musik waren Madrigal, Ballata und Caccia. Vereinfacht gesprochen dominiert in der ersten Hälfte des Jahrhunderts das Madrigal, besonders an den norditalienischen Höfen, in der zweiten dagegen die Ballata mit einem Zentrum in Florenz. Meister der ersten Zeit waren Magister Piero, Jacopo da Bologna und Giovanni da Cascia, in der zweiten Nicolò da Perugia, Bartolino da Padova und Francesco degli Organi (auch bekannt als »Landini«). Bei Madrigal und Ballata handelt es sich (wie bei den französischen »formes fixes«) um poetisch-musikalische Formen, bei denen Text und Musik dem gleichen Wiederholungsschema folgen.

Das Madrigal besteht in der Regel aus zwei (manchmal drei) Terzinen (Dreizeilern) und einem abschließenden Zweizeiler, der zwar als »Ritornello« bezeichnet wird, aber nur einmal erklingt und häufig einen abschließenden Appell, eine »Moral« oder einen Kommentar enthält. Musikalisch hat es entsprechend zwei Teile: Der erste wird wiederholt (so werden die Terzinen gesungen), der zweite dient dem Ritornello. Die Texte der Madrigale handeln häufig von pastoralen Szenen, von Natur, Liebe und symbolischen Tierfiguren. Der Tenor der meist zweistimmigen Madrigale stützt in langen Notenwerten eine reich florierende (also »blühende«) Oberstimme.

Auch die Ballata besteht aus zwei musikalischen Teilen, allerdings in einem komplizierteren Ablauf von Refrain- und Strophenabschnitten (A B B’ A’ A). Sie ist dem französischen Virelai ähnlich, das auch als »chanson baladée« bezeichnet wurde. Die zwei- und dreistimmigen Ballate der zweiten Jahrhunderthälfte unterscheiden sich kompositorisch von den älteren Madrigalen. Insbesondere haben sie im Vergleich zu deren virtuoser Ornamentik rhythmisch schlichtere Oberstimmen. In ihnen zeigt sich auch zunehmend der Einfluss französischsprachiger Liedsätze, die auf der italienischen Halbinsel in großer Zahl zirkulierten.

Die Caccia (italienisch: »Jagd«) schließlich ist weniger eine poetische Form als eine musikalische Satztechnik: Zwei Oberstimmen folgen (»jagen«) einander im Kanon über einem Tenor in ruhigeren Notenwerten. Dennoch gibt es auch textlich verbindende Elemente. Tatsächlich sprechen die Texte der Caccia-Kompositionen häufig von der Jagd oder anderen bewegten Freiluft-Ereignissen: von Markt-, Schlachten- oder Feuerszenen.

Die neuen Trobadors

Die Dichter-Sänger des Trecento wurden ausdrücklich in der Tradition der Trobadors gesehen. In einer Abbildung des frühen 14. Jahrhunderts stehen Giovanni da Cascia, Jacopo da Bologna und Magister Piero in einer Reihe mit Arnaut Daniel, dem berühmten Trobador des 12. Jahrhunderts, den Petrarca als »Großmeister der Liebe« bezeichnete.

Das Ende der Trecento-Musik wird markiert von ihren großen handschriftlichen Sammlungen: Retrospektiven, die am Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Florenz gewissermaßen schon als historische Dokumentationen erstellt wurden. In farbig illustrierten Prachthandschriften wie dem Squarcialupi-Codex leuchtet der Meteorit der Trecento-Musik in vollem Schein, bevor er verglüht.ΑΩ FDi

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