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Schönheit

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Das erste Element – die starke Einbeziehung der Sinne – ließe sich auch auf nichttheologische Faktoren reduzieren. Dann wäre Einiges aus soziologischer und kulturhistorischer Sicht erklärbar (u.a. postbyzantinische Kulturwelt, fehlende Gesamtauseinandersetzung mit der Aufklärung). Damit wäre aber die Chance vertan, hier eine theologisch fundierte und bereits in der Alten Kirche verankerte Ausrichtung ostkirchlicher Spiritualität zu erkennen. Diese würde ich – ohne an erster Stelle gleich an die berühmte Philokalia zu denken – mit Sehnsucht nach Schönheit umschreiben.1 Die gesamte liturgische Welt der Orthodoxen Kirche ist nicht Ausdruck eines kargen, düsteren Fliehens aus der Welt, sondern eine freudvolle Öffnung der sichtbaren Schönheit dieser Welt hin zum Unsichtbaren. Gott sucht Gemeinschaft nicht nur mit dem menschlichen Geist, sondern mit dem ganzen Menschen.2 Dieses altkirchliche Prinzip (die „Aufnahmefähigkeit“ des sterblichen Leibes für das Göttliche3) impliziert auch das Zum-Ausdruck-Bringen des Heilsgeschehens in Farben, Tönen und Bewegungen, d.h. den Kultus insgesamt. Wer ostkirchliche Spiritualität auf die eschatologische Perspektive (Stichwort theosis) reduziert, verkennt den inkarnatorischen Grundgedanken der Liturgie und der Ikonographie. Die gesamte Ikonographie gründet auf der im 8. Jh. dogmatisch festgelegten Grundansicht, dass der menschgewordene Gott in der Person Jesu Christi darstellbar sei und dass die Verehrung des „Bildes“ Jesu Christi auf sein „Urbild“ übergeht. Für sich allein wäre „das Fleisch“ (sarx) nichts nütze (vgl. Joh 6,63) und jede Art der religiösen Verehrung der Materie nur Götzendienst. Doch die Ikone hat dienenden Charakter, sie weist auf die göttliche Realität hin, die durch die Menschwerdung und die Auferstehung des Sohnes Gottes die ganze Materie zu einer neuen Daseinsweise erhöht hat. Jede Ikone ist somit in erster Linie ein Bekenntnis der Menschwerdung und der Auferstehung Christi. Der Geist muss Leben werden, Gestalt und Farbe annehmen, im sarx (d.h. in der Geschichte, in der eigenen Biographie usw.) sich bewähren und – durch das Kreuzigen alles „Fleischlichen“ – dieses „Fleisch“ zu einer neuen Schönheit erstrahlen lassen.

Die Bejahung des Leiblichen und des Sichtbaren, welches in der Menschwerdung soteriologische Bedeutung erlangt, zählt somit zu den Grundelementen des religiösen Lebens: Der/Die Glaubende kann nicht den Weg des bloßen spirituali-sierenden Aufstiegs nehmen, sondern muss den Weg Desjenigen nehmen, der abgestiegen ist und, durch Besiegen des Todes und die leibliche Auferstehung, alles Leibliche ins Himmlische erhöht hat. „Alle erscheinenden Dinge bedürfen des Kreuzes“4 schreibt diesbezüglich Maximos der Bekenner. Deshalb ist christliche Bejahung des Leiblichen und der Geschichte immer Bejahung des Kreuzes, Hingabe, Selbstopfer. Eine Abkoppelung von Leiblichkeit und Kreuz macht die Möglichkeit jeder Art von gelebter Auferstehungsspiritualität zunichte. Wo die Erfahrung des Kreuzes fehlt, bleibt jede Auferstehung eine Art geistiges „Naturphänomen“, etwas rein Äußerliches.

Nicht eine fremde, vom Himmel gefallene Schönheit wird den Jüngern nach der Auferstehung in der Gestalt des Auferstandenen zuteil, sondern eine neu entdeckte (weil durch das Kreuz angenommene und erlöste) Schönheit der Schöpfung. Diese Auferstehungsschönheit, die den ganzen liturgischen Ethos der Orthodoxen Kirche prägt, hat eher die Funktion einer Einladung, und nicht die einer paradiesischen Belohnung. Gerade weil der Auferstandene in seinen Erscheinungen den Aposteln die neue Dimension der leiblichen Existenz zeigt, können Sie nach Pfingsten den Auferstandenen predigen. Das urtypische Ikonenbild Jesu Christi ist das Bild des Auferstandenen, der die Jünger segnet. Ebenso erhebt jeder liturgische Akt den Anspruch, der sichtbare Hinweis auf die Realität dieser schönen Welt des Auferstandenen („Himmelreich“) zu sein. Kurz: Die Erfahrung der Auferstehung impliziert die Erfahrung einer neuen, vom Unsichtbaren durchfluteten, schönen Leiblichkeit, die für das liturgische Leben als Raum des Gebetes fungiert.5

Geist und Leben 1/2015

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