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Umstellung von Kult auf Kommunikation
ОглавлениеDie sich in Joh 6,63 ausdrückende Hochschätzung des Wortes gewinnt durch die Reformation welt-, kirchen- und mentalitätsgeschichtliche Resonanz. Gegenüber den weitverbreiteten Stillmessen ihrer Zeit stellen die Reformatoren „von Kult auf Kommunikation“ um.4 Nicht durch kultisches Handeln, sondern durch die Verkündigung des Wortes soll die Gegenwart mit der Geschichte Jesu Christi verbunden werden.
Im Licht von Joh 6 wird man im Blick auf diese Konzentration des gottesdienstlichen Lebens auf das Wort dreierlei betonen müssen. Erstens: Es geht den Reformatoren um das mündliche Wort der Verkündigung. Ohne ihre Auslegung bleibt die Schrift als geschriebenes Wort toter Buchstabe. Denn nur in der Predigt erfährt der Glaube die alten Worte als ihm gegenwärtig zugesprochen. Deshalb gilt für die Reformatoren: Wenn die biblischen Lesungen nicht ausgelegt werden, dann bleibt „Gottis wort geschwygen“ (WA 12,35). Es ist die gegenwärtige Verkündigung, die „den garstigen Graben der Geschichte“ überbrückt, indem sie die Hörer(innen) in das Wort Gottes verstrickt – oder anders ausgedrückt: indem sie die Vergangenheit Jesu und die Gegenwart der Hörer(innen) so zusammenspricht, dass sie in die Gegenwart Christi versetzt werden.
Zweitens: Die Verkündigung zielt auf die Christusbegegnung. In, mit und unter den Worten des/der Predigenden, der/die jene Worte, die Christus einst zu seinen Jüngern sprach, auslegt, soll der/die Hörer(in) die Worte Christi selbst hören. Deshalb bittet und vertraut die evangelische Predigt darum und darauf, dass Christus selbst sich zu ihr bekennt: „Du hast recht geleret, denn ich hab durch dich geredt, und das wort ist mein.“ (WA 51,517)
Drittens: Indem das Johannesevangelium am Ende der Brotrede festhält: „Das sagte Jesus in der Synagoge, als er in Kafarnaum lehrte“ (6,59), wird deutlich, wo die Verkündigung ihren Sitz im Leben hat: in der gottesdienstlichen Versammlung. Indem die Reformation den Glauben an die Predigt bindet, bindet sie ihn zugleich in den öffentlichen Leib der Gemeinde ein. In diesem Sinne ist die Rede von der Verinnerlichung der Frömmigkeit durch die Reformation nicht zutreffend. Die Gemeinde stützt und stärkt den Glauben. Der Glaube wird im Gottesdienst nicht nur unmittelbar durch die Verkündigung gestärkt, sondern auch mittelbar durch die auf das Wort hörende Gemeinde. Indem Menschen zum Gottesdienst kommen, bekunden sie einander wechselseitig, dass sie Gottes Wort suchen, weil sie von ihm her leben, und stärken damit wechselseitig ihren Glauben.
Reformatorische Spiritualität ist keineswegs die verinnerlichte Frömmigkeit eines isolierten Individuums. Zwar gibt es im Protestantismus auch Formen intimer Frömmigkeit, v.a. das private Studium der Schrift, aber evangelische Frömmigkeit sucht vor allem die Christusbegegnung in der Verkündigung und d.h. in der Gemeinde.