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Askese
ОглавлениеDen zweiten Aspekt – die starke Asketik – möchte ich bewusst nach dem ersten ansprechen. Denn die Askese (wie etwa in der Form der strengen Fastenpraxis oder der verschiedenen Bußübungen) begegnet uns selbst in den einfachsten Frömmigkeitsformen nicht als Selbstzweck, sondern als Begleiterscheinung der liturgischen Begegnung mit dem Auferstandenen. Erst die existentielle Begegnung mit Ihm, d.h. die Bewusstwerdung Seiner Liebe und das liturgische Schauen Seiner herrlichen Schönheit, verinnerlicht die Notwendigkeit der Umkehr, der Metanoia. Das innere (und im Mönchtum auch äußere) Wachehalten bietet dafür einen Schlüssel: die Jungfrauen kennen den Bräutigam (vgl. Mt 25,1–13), sonst würden sie nicht auf ihn warten. Ihr Warten hat einen feierlichen, gemeinschaftlichen Grund. Die Buße und die dazugehörende Asketik werden deshalb in der gelebten Frömmigkeit der orthodoxen Christ(inn)en in erster Linie als kathartischer Teil der liturgischen Vorfreude auf Christus und seine Heiligen erlebt. Sie werden dadurch jedoch nicht relativiert, sondern im Gegenteil: Weinen und sich Freuen bleiben, selbst im Leben der Heiligen, eine Konstante: „Der Weg der Heiligen ist der Weg des Weinens der Liebe. Wo Liebe ist, da ist Weinen. Und wo keine Liebe ist – da ist auch kein Weinen“6, schreibt der russischstämmige Archimandrit Sophronios Saharov (gest. 1993) vom Kloster Essex (GB).
Das spiegelt sich in der eucharistischen Spiritualität sehr stark wieder: Nach wie vor wird in den meisten orthodoxen Kirchen vor der Kommunion die Beichte praktiziert und die dazugehörenden Gebete zur Vorbereitung auf die Kommunion sprechen eine deutliche Bußsprache. Die Kommunion ist nichts Selbstverständliches, ist immer ein Mysterium, immer eine Begegnung mit dem Auferstandenen. Der Glaube an die reale, eucharistische Präsenz des „allheiligen Leibes und kostbaren Blutes“ Jesu Christi ruft deshalb die tiefste Gewissheit der Vergebung hervor. Dieses – für moderne Ohren übertrieben formulierte – Bewusstsein der eigenen Schwäche ist jedoch nicht fixiert auf die Sündhaftigkeit, sondern trägt schon in sich das Wissen um die vergebungsspendende Gnade der Auferstehung (hier des Kommunionempfangs). Nicht die eigene Schwäche („das Fleisch ist nichts nütze“, Joh 6,63) ist tonangebend, sondern die Gewissheit, dass die Begegnung mit dem Herrn „lebendig macht“.
Der orthodoxe Zugang zur Asketik hat somit – so habe ich es bereits in meiner Kindheit als Sohn eines orthodoxen Priesters erfahren – etwas Schönes, sogar Feierliches an sich. Die tiefste Umkehr ist (weil im Zeichen der Auferstehung) immer mit Hoffnung verbunden. Der heilige Silouan von Athos sagt: „Halte dich mit Bewusstsein in der Hölle und verzweifle nicht.“ Sein Schüler, Archimandrit Sophronius, deutet diesen Zusammenhang so: „Die Hölle ist ein geistiger Zustand der Geschöpfe, die sich von der Liebe Gottes abgewandt haben. Wie aber kann dieses Licht, diese unermessliche Liebe, bis auf den Grund der Finsternis des Hasses herabsteigen? (…) Da der Herr versucht worden ist, müssen auch wir unvermeidlich durch das Feuer der Versuchungen hindurch (…) Und da der Herr verklärt worden ist, werden auch wir, bereits hier auf Erden, verklärt, wenn unser ‚heimliches Seufzen‘ dem seinen entspricht.“7