Читать книгу Jeder Frau ihre Stimme - Группа авторов - Страница 11
Arbeiterinnen sind sie alle
ОглавлениеAber die Frauen wirtschaften weiter, die verheirateten und die unverheirateten, gegen Lohn oder unbezahlt, ausgebildet oder angelehrt. Und manchmal legen sie die Arbeit nieder. 59 Zigarrenarbeiterinnen sind es in Yverdon, vom 23. Mai bis zum 1. Juni 1907. Sieben von ihnen haben eine Gewerkschaftssektion gegründet, werden entlassen, da treten die anderen in den Streik. Erst als sie auf Entschädigung aus der Streikkasse verzichten, nimmt die Gewerkschaft der Lebens- und Genussmittelarbeiter sie auf. Währenddessen gewährt der Fabrikdirektor der nun dringend benötigten männlichen Belegschaft genau die Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung, welche die Arbeiterinnen verlangen.
Ausserdem, heisst es, habe er die städtische Krippe angehalten, die Kinder der Streikenden nach Hause zu schicken. So können die Frauen keine Arbeit anderswo annehmen.23 «Vier mal Sklavin ist heute die in Abhängigkeit arbeitende Mutter», steht in der Zeitung der Arbeiterinnen. Vier Mal: Sklavin des Unternehmers (der sie aussperrt und ihr den Erwerb an ihrem Wohnort verunmöglicht), Sklavin des Mannes (der über den Wohnsitz der Familie verfügt und sie fernhält vom Erwerb andernorts), Sklavin des Kindes (das ihre stete Aufmerksamkeit verlangt und sie an die Wohnung bindet), Sklavin des Staates (der Steuern von ihr fordert – «und Soldaten! und der diese Soldaten, ihre eigenen Kinder, mit ihrem eigenen gesteuerten Geld gegen sie führt, wenn die Frau aufsteht für ihr Recht»). Vier Mal verfügt sie nicht über sich, ist eine Festgesetzte in Raum und Zeit. Wie alles miteinander zusammenhängt und im Fieber der Ereignisse deutlich wird!
Manchmal legen sie die Arbeit nieder, und manchmal werfen sie auf dem Markt Gemüsekörbe um. Wem, wenn nicht ihnen, fällt auf, wie die Lebensmittel teurer werden, in den Kriegsjahren. Zu teuer für die in den Städten, die ohnehin zu wenig haben.24 Sie kochen und verwalten das Familienbudget, sie kennen und nehmen das Mass der Preise. 1916 geht es nicht mehr. Sie werfen die Körbe um, setzen die Preise selbst fest, den Erlös übergeben sie den Marktfrauen. 1918 kommt es zu «Hungerdemonstrationen»; jetzt unterstützen die bürgerlichen Frauen die Frauen aus der Arbeiterbewegung. Dass sie Töpfe und hungrige Mägen füllen müssen, verbindet sie. Auch mit den Bäuerinnen. Im Broyetal gründen 39 Frauen die Association des productrices de Moudon, um den Zwischenhandel auszuschalten, der die Dinge verteuert. Es gilt, Fugen zu schliessen zwischen Produktion, Verteilung und Verbrauch. Vielleicht auch: Ketten aus Frauen zu bilden, einen anderen Kreislauf einzurichten. Die Bäuerinnen aus Moudon werden verlacht, ein Leserbrief nennt sie «ces dames qui produisent».25 Als wäre Widersinn, was man nicht wahrhaben will.
Denn das verbindet fast alle: Was die Frauen tun, in der Fabrik, in den Haushaltungen, an den Küchentischen, die zum Strohflechten so gut sind wie zum Gemüserüsten, zum Beaufsichtigen der Hausaufgaben der Kinder so gut wie zum Nachführen der Rechnungsbücher, was sie tun, ist selbstverständlicher Teil des Überlebens und guten Lebens von Familien. Das, wofür sie Geld erhalten, und alles andere auch. «Deshalb», schreibt Betty Farbstein 1910, «sollte auch die Hausfrau Anspruch haben auf eine angemessene Entschädigung, über die sie nach Gutdünken verfügen kann».26 Stattdessen verschwindet das alles mehr und mehr hinter dem Trompe-l’Œil des männlichen «Alleinernährers». In der Statistik werden die Frauen zu «Abhängigen» oder «Ernährten».
Nichts könnte falscher sein. Sofort wird Einspruch eingelegt: Wo wäre die Volkswirtschaft ohne die Arbeit der Frauen? 1928 organisieren ihre Verbände und Vereine eine «Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit», die sie 1958 wiederholen werden. Und damit nicht alles und jedes über sie behauptet werden kann, nehmen sie das Argumentieren mit Zahlen in die eigenen Hände, rechnen, deuten und erstellen Studien. Es gibt die Arbeit der Frauen, sagt Margarita Schwarz-Gagg, erste Frau in der eidgenössischen Fabrikkommission, und sie ist normal. Oder gilt doch etwas nur für sie? «Die Frauenarbeit hat kein Mass und keine Zeit», hatte Betty Farbstein 1910 geschrieben.27