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Menschenrecht und Männerstaat
ОглавлениеEs ist ja nicht so, dass, auch in der Schweiz, niemand auf die Idee gekommen wäre, Frauen als politische Subjekte anzusehen. Im Jahr 1833 – in Paris sind drei Jahre zuvor einmal mehr die Frauen mit auf die Barrikaden gestiegen und jetzt fordern sie dort ihre Freiheit – gründet in Stäfa Johann Jakob Leuthy eine Zeitschrift, die von nichts anderem handeln soll: «Wenn daher nur der Wahnsinn dagegen kämpfen kann, dass die Weiber auch Menschen sind und also Menschenrechte haben, so bleibt den Gegnern der Emanzipation der Frauen nur noch der Einwurf möglich, dass die Frauen vermöge ihrer geistigen und körperlichen natürlichen Anlagen nicht fähig sind, aktive Bürger im Staatenvereine zu seyn. Diesen Einwurf in seiner ganzen Nichtigkeit darzustellen, ist der Hauptzweck dieser Zeitschrift.»1
Neben dem programmatischen Leitartikel zum «Recht des Weibes» bot die erste und zugleich letzte Nummer Lektüre zur «Geschichte des weiblichen Geschlechts seit der ersten Bildung menschlicher Gesellschaften bis auf unsere Tage». Von Frauen in der Antike ist die Rede, von Kaiserin Catharina II., Madame Roland und Germaine de Staël-Holstein geb. Necker, von Herrscherinnen, Revolutionärinnen, Gelehrten also: Niemand soll behaupten können, Frauen seien qua Geschlecht unfähig.
Es wird natürlich trotzdem behauptet. So räumt zum Beispiel der Rechtsgelehrte Johann Caspar Bluntschli 1876 ein, die Frauen hätten durchaus das Recht, «gut regiert zu werden». Mehr aber wäre zu viel, denn auch Kinder hätten dieses Recht, und «dennoch leitet Niemand daraus ein Stimmrecht der Kinder im State [sic] ab». Das Regiertwerden nämlich verlange «keine besondere Fähigkeit», während die Kontrolle der Regierung «die persönliche Fähigkeit zur Ausübung» des entsprechenden Rechts voraussetze.2 Persönliche Fähigkeit ist nun aber bei Bluntschli alles andere als eine Frage der Person – dies würde ja auch dem Prinzip des allgemeinen Wahlrechts widersprechen. Es ist eine Frage des Geschlechts. Denn im Bereich des Politischen regiert eine Tatsache von besonderer Art: nämlich «die männliche Natur des States [sic], als der bewussten Selbstbestimmung und Selbstbeherrschung des Volks, welche die Kraft des männlichen Charakters und Geistes nicht und niemals entbehren und nicht durch die Beimischung der weiblichen Empfindsamkeit und Schwäche verdorben werden dürfen».3
Ist also das Menschsein hinreichende Begründung für die aktive Staatsbürgerschaft, wie Leuthy argumentiert, oder gibt es eine Bedingung namens «Männlichkeit», wie Bluntschli behauptet? Diese Streitszene liegt offen da, seit die Rechte des homme et citoyen erfunden und verkündet und die Frauen – auch die Armen und Menschen anderer Hautfarbe, Religion und Geschichte – davon ausgenommen worden sind.4 Denn was heisst das? Doch nichts anderes, als dass es Menschen gibt, die nicht die Rechte von Menschen haben, weil Menschenrechte zwar universal, aber nicht alle Menschen fähig sind, sie wahrzunehmen. Einwurf und Einspruch gehen hin und her, von Anfang an ist alles da: das Postulat der Universalität, die ungleiche Verteilung von Rechten und die Kritik daran. Die Schieflage ist eingerichtet, der Streit angezettelt. Seither gibt es die, «die Rechte nicht haben, die sie haben, und Rechte haben, die sie nicht haben».5 1872 gründet Marie Goegg-Pouchoulin, Berner Patrizierin, zusammen mit Julie von May, Genfer Radikaldemokratin, die Association pour la défense des droits de la femme. Es gibt sie, die Frauenrechte, man muss sie nur verteidigen.