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Was zu tun war, und wie es kam

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Währenddessen werden nun für das Frauenstimmrecht Vorstösse eingereicht, in Gemeinden und Kantonsparlamenten, kantonale Volksinitiativen gestartet und Petitionen auf Bundesebene; im Nationalrat formuliert man Motionen und verkleinert sie zu Postulaten. Der Bundesrat steckt sie in die Schublade. Weltkriege kommen dazwischen, bald existiert das Frauenstimmrecht rund um die Schweiz, auf der halben Welt. Nicht überall ist es bedingungslos, mancherorts wird es an die Hautfarbe geknüpft. Die Schweizerinnen haben für das Frauenstimmrecht Vereine und einen Verband gegründet.28 Im Jahr 1959 wird er fünfzig Jahre alt, und 66,9 Prozent des Männerstimmvolks verwerfen das Frauenstimmrecht in der ersten eidgenössischen Abstimmung.29

Längst sind die Frauen zu diesem Zeitpunkt «Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht», wissen sich zu bewegen in den Vor- und Umhöfen der Macht, in Vernehmlassungen und Kommissionen. Schalten sich ein, wenn Verfassungen geschrieben und revidiert, Gesetze erlassen werden.30 Aber das ist nicht alles. Jenseits vom Getriebe und Gebälk der demokratischen Institutionen liegt ein Alltag, der mit dem Politischen verknüpft ist. Das wird zwar geleugnet. Doch es liegt auf der Hand. Lebensmittel und Bücher gehen durch Hände, Ideen setzen sich in Köpfen fest, der Lohn wird gezählt und mit der geleisteten Arbeit verglichen, auch mit der, die in den Knochen steckt, nicht vergütet wird und doch alles am Leben erhält. In jedem Moment steht auf dem Spiel, wie Güter und Anerkennung verteilt sind, wer wohin gehört, bleiben oder gehen kann und Anteil woran hat.

Deshalb ist vieles Protest, und seine Formen sind vielfältig: laut und lautlos, spontan und von langer Hand vorbereitet, handgreiflich oder ausgesprochen. Leiser Spott geht immer. Gesten und Worte reihen sich aneinander, knüpfen ein Gewebe aus Momenten; augenblicklich kann aus Alltag Ereignis werden, aus Routine Empörung und Forderung. Nichts schlummert, aber jederzeit kann die Sicht auf die Dinge kippen. Es fängt immer dort an, wo es eine zu sich selbst oder einer anderen sagt: wie die Verhältnisse liegen und warum sie anders sein müssten – «aus Gründen der Gerechtigkeit».31 Manchmal sind sie eine Handvoll, manchmal viele, die ausmachen, wie ein Faden verläuft. Sie ziehen daran; bei Lichte betrachtet ist er rot.

Nie, wenn sie sich zusammenschliessen, ist es für immer. Es ist für den Tag, das Jahr, für eine bestimmte Forderung oder eine Stunde. Nie, wenn sie sich zusammenschliessen, sind alle dabei, manchmal nicht mal viele, oft sind sie sich uneinig. Auch sie unterscheiden und teilen, die einen vergessen die anderen, oft die Fremden. Die Frauen in den herrschaftlichen Wohnungen wünschen sich Dienstbotinnen, denen sie weniger Freiheit zutrauen als sich selbst, deren Arbeit sie geringer schätzen als die eigene. Die einen erklären sich zu Expertinnen und halten andere Frauen für schlechte Mütter, solche, die nicht verheiratet sind oder die es an keinem Wohnort hält. Manche wähnen andere illoyal, mehr ihrem Stand und ihrer Klasse verpflichtet als der gemeinsamen Sache. Manchmal misstrauen sie einander. Und manchmal überwinden sie, was sie trennt, nicht um des Überwindens willen, sondern weil sie einen Faden zu fassen kriegen, der durch alles hindurchläuft.

Man sagt, ihre Anliegen seien nachrangig, ihr Menschsein anders, ihre Geschichte eine Fussnote. Adams Rippe, der Mensch und sein Weib.32 Nichts ist weniger wahr. Sie sind dahin versetzt, von wo aus die Sicht klar ist: Der angebliche Mensch ist nur ein Mann, und alles, was sich ganz und allgemein gibt, ist nur halb und partikular. Der Schleier reisst, und es geht ganz einfach. Wenn ihnen die Menschenrechte verweigert werden, erfinden sie die Frauenrechte. Wenn Teilhabe ans Volk geknüpft wird, ruft sich das Frauenvolk ins Leben. Wenn man ihnen einen Platz verweigert, erfinden sie ein neues Gefüge. Und wenn man behauptet, sie hätten keine Vergangenheit, schreiben sie die Geschichte neu.

Sie seien unfähig zur Politik, wurde über die Frauen gesagt. So sind sie zu politischen Subjekten geworden.

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