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Otto Gross: Anarchismus und Psychoanalyse

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»Dieser Konflikt der Individualität, mit der ins eigene Innere eingedrungenen Autorität, ist mehr als sonst der tragische Inhalt der Kindheitsperiode«

(Otto Gross)

»Wenn du giftig bist, heißt das, dass du einen Dybbuk, einen Dämonen, in dir hast, jemand, der dich vergiftet, den du ganz und gar verschlungen hast.

Die Freudsche Vorstellung, dass wir den Menschen introjizieren, den wir lieben, ist falsch. Du introjizierst immer Menschen, die dich beherrschen.«

(F. Perls 1986, 148)

Die Kulturkritik von Dada Berlin fand einen wichtigen Vorläufer in den Publikationen der Zeitschrift »Freie Straße« (1915–18), die ihren Namen einem Gedicht von Walt Whitman verdankte und die wesentlich durch die Forderungen von Otto Gross und Franz Jung nach einer erotisch-sozialen Revolution geprägt waren. Otto Gross, Arzt, Anarchist und Psychoanalytiker, war eine Schlüsselfigur der damaligen Bohème.

Die Theorie von Gross, die unter anderem an Nietzsche und den frühen kulturkritischen Freud anknüpft, beinhaltet ein kulturrevolutionäres Programm zur Überwindung des Wilhelminismus: »Innerhalb der europäischen Avantgardebewegungen markierte die Konzeption eine antibürgerlich-anarchistische Revolte, die auf eine Revolutionierung der Lebenswelt gerichtet war.« (Korte 1994, 22 f.) Gross vertrat die Utopie einer Gemeinschaft, die sich in freien Liebesbünden organisieren und in der das auf dem Patriarchat beruhende Übergewicht des Mannes über die Frau aufgehoben sein sollte. Die Revolution wurde nicht nur als ökonomische oder soziale Veränderung verstanden, sondern umfasste auch die Umwälzung der inneren Welt der Subjekte und ihrer privaten Beziehungen zueinander. Männlichkeit und Weiblichkeit waren für Gross künstliche, durch die vaterrechtliche Gesellschaftsordnung geschaffene Kategorien. Wie später für Wilhelm Reich, war für Gross die patriarchalischbürgerliche Familie die entscheidende gesellschaftliche Sozialisationsinstanz für die Weitertradierung von Unterdrückung und Herrschaft, und die Aufgabe der Psychoanalyse war es, »das ›Eigene‹ als erotisch-soziale, revolutionäre Kraft zu befreien, um die gesellschaftlichen Konventionen zu sprengen« (Bergius in Dech et al. 1991, 63).

Gross war für einige Zeit an Freud orientiert, der seine frühen Arbeiten, etwa zur Schizophrenie, positiv registrierte. Darüber hinaus bezog Gross auch Arbeiten von Alfred Adler in seine Überlegungen ein. Im Zusammenhang mit seiner Rauschgiftsucht war Gross 1908 auf Anraten Freuds freiwillig in die berühmte Klinik Burghoelzli in der Schweiz gegangen und dort von C. G. Jung in Analyse genommen worden. In dieser Zeit nannte Freud in einem Brief Otto Gross und C. G. Jung seine beiden »einzig originellen Schüler« (vgl. Nitzschke 1988, 197). Jung sah sich schon bald in eine gegenseitige Analyse einbezogen, die scheiterte, und Gross entschwand recht bald über die Krankenhausmauern.

Gross war ein Vorläufer des politischen Wilhelm Reich, der die Psychoanalyse konsequent als Mittel verstand, den Einzelmenschen für die Revolutionierung der Gesellschaft vorzubereiten, und dem dabei die Befreiung der Sexualität ein zentrales Anliegen war. Bezogen auf die Gestalttherapie kann, was die psychoanalytische Tradition angeht, ausgehend vom frühen kulturkritischen Freud eine Linie von Gross zu Reich und zu Perls gezogen werden. Psychophysische Einheit, Selbstregulation, Kontakttheorie, Anti-Introjektionstheorie, Durchsetzung des Eigenen gegen das elterliche und gesellschaftliche Fremde sind Stichworte, die sowohl eine bestimmte Lebenserfahrung als auch den Versuch skizzieren, vor diesem Hintergrund eine Theorie zu bilden. Der Einfluss der Theorien von Otto Gross lässt sich, was das Umfeld von Perls ausmacht, am deutlichsten bei Raoul Hausmann finden.

Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie

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