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3.1 Mystische (Theo)-Logik

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Betreiben wir nun etwas mystische (Theo)-Logik im Sinne von Meister Eckhart und Friedlaender. Wer oder was auch immer sich von der differenzierten Welt der Phänomene, des Relativen durch Ununterschiedenheit unterscheidet, steht dazu in einem Verhältnis, dass das herkömmliche Denken transzendiert und die logischen wie auch sprachlichen Ausdrucksformen übersteigt. Wir kommen in den Bereich des Paradoxen (griech. para dokein kann als das Denken übersteigend interpretiert werden). Denn das normale Denken, der Intellekt, beruht auf dem Prinzip des Unterscheidens. Ich habe das in einem Aufsatz mit dem merkwürdigen Titel »Von der Unfähigkeit des Intellekts das Absolute zu erkennen oder der Wettlauf zwischen Hase und Igel« (1996 veröffentlicht, 1989 verfasst) versucht zu erklären. Das intellektuelle Unterscheiden funktioniert wie das visuelle Unterscheiden, das Sehen, nach dem Vordergrund/Hintergrund-Prinzip. Wenn im Vordergrund etwas erkannt wird, etwas als Figur Gestalt wird, worauf sich das unterscheidende Erkennen und Wahrnehmen scharf stellt, dann wird immer etwas nicht erkannt, nämlich der Hintergrund, der unscharf und diffus wird.


An der bekannten Rubinischen Kippfigur kann das gut eingesehen werden. Entweder man sieht die Vase oder die zwei Gesichtsprofile. Beides zugleich können wir nicht sehen. Anders ausgedrückt: Das Ganze, das Absolute, wird durch unser unterscheidendes Erkennen immer in zwei unterschieden.

Dieses Ganze oder Absolute kann im Zusammenhang der Vordergrund/ Hintergrund-Differenzierung als der Grund verstanden werden. Das ist für mein Verständnis der Gestalttherapie wie auch von Zen und christlicher Mystik von zentraler Bedeutung. Wie vorne und hinten sind Vordergrund und Hintergrund polar, entsprechen der polaren Differenzierung. Der Grund ist kein mit dem unterscheidenden Intellekt erkennbares Phänomen. Er entspricht der Mitte der polaren Differenzierung, der schöpferischen Indifferenz. Er ist das, was sich in Vordergrund und Hintergrund differenziert. Im Daoismus wird der Grund durch den leeren Kreis symbolisiert, der sich als Phänomen in die Polarität von Yin und Yang differenziert.

Der Grund ist ein in Philosophie und Religion nicht selten zentraler Terminus. Ich beschränke mich hier auf das Verständnis bei Meister Eckhart. Bei Eckhart ist der »grunt« von entscheidender Bedeutung für das Verhältnis von Gott und Welt sowie die mystische Gotteserfahrung. Ernst Waldschütz hat dem »Denken und Erfahren des Grundes« (1989) bei Eckhart ein gründliches Buch gewidmet. Der Grund ist nach Waldschütz »das Allerselbstverständlichste, das oft gerade nicht bemerkt wird – doch Eckhart ruft es in Erinnerung.« (ebd. 120) Der »grunt«, den er auch als »boden reif aller creaturen« (DW I 225, 5 f.) bezeichnet, ist so grundlegend, dass ihn Eckhart einfach »isticheit« nennt, was Waldschütz mit dem Begriff der »So-heit« im Buddhismus (ebd. 325) in Beziehung setzt. Weiter sieht er bei Eckhart eine den grundsätzlichen Gegensatz von Subjekt und Objekt transzendierende Auffassung, die an die »Nondualität« (Loy 1988) erinnert, die für fernöstliche Spiritualität kennzeichnend ist: »Die Einheit des Grundes bedeutet, dass ein Denken in der Zweiheit von Subjekt und Objekt nicht nur nicht möglich, sondern völlig inadäquat ist.« (ebd. 341) »Mit der Objektivität des vorstellenden Denkens verschwindet auch die Subjektivität und es tritt etwas Neues ein, jenseits dieser Zweiheit, besser: diese Zweiheit immer schon unterlaufend und in einer ursprünglichen Einheit versammelnd.« (ebd. 333)

Die Einsichten von Eckhart und Friedlaender zu Gott und schöpferischer Indifferenz übersteigen die Prinzipien der klassischen aristotelischen Logik. Sich durch »Ununterschiedenheit unterscheiden« transzendiert das fundamentale logische Prinzip des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten: »Tertium non datur.« (Ein Drittes gibt es nicht.) Was ununterschieden, indifferent ist, das ist identisch, dasselbe. Das besagt der »Satz der Identität des Ununterscheidbaren«, Principium identitatis indiscernibilium. Und daher kann es sich nicht unterscheiden. Sonst wäre es unterschieden, different, anders. Und eben nicht ununterscheidbar. Die mystische Logik von Eckhart und Friedlaender besagt nun, dass der Satz der Identität wie auch der Satz vom ausgeschlossenen Dritten hier nicht gilt. Eine Entsprechung in der Zen-Philosophie ist die Logik des »soku-hi«, was man als »Ist gleich-Ist nicht-Logik« übersetzen könnte, die sich auf das berühmte logische Tetralemma des buddhistischen Philosophen Nagarjuna (2./3. Jh. n. Chr.) zurückführen lässt (Frambach 1994, 318 f.).

Interessant, dass der logische Grundsatz des »Tertium non datur« auch anders ausgedrückt werden kann. Im Englischen ist die Bezeichnung »Law of the Excluded Middle« üblicher, womit das inhaltlich identische »Prinzip des zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen stehenden ausgeschlossenen Mittleren« (principium exclusi tertii sive medii inter duo contradictoria) wiedergegeben wird.

»Mitte! Das ist ein Zauberwort« (F/K 1986, 220), schreibt Friedlaender in einem Brief an seinen Freund, den Zeichner Alfred Kubin. Nebenbei: Auch Perls spricht schlicht vom »Finden einer Mitte« (1969, 32) als dem Ziel von Therapie. Und Friedlaender behauptet nun eben dies, dass diese Mitte logisch nicht ausgeschlossen ist, sondern dass sich in ihr das schöpferische Prinzip der Welt verbirgt. Was es dafür braucht, dies zu erkennen, ist eine grundlegend veränderte geistige Sichtweise. Friedlaender sieht seine Philosophie als Anleitung zu einer »Orthopädie des Lebens, das noch immer verrenkt ist« (F/K 1986, 210). Er will die Perspektive prinzipiell, von Grund auf, in ihre polar ordnende Mitte renken:

»Das Fundament der Dinge ist daher nicht ihre untere Grund-, sondern ihre zentrale Mittellage, die Dinge sind polar. Das ›Unten‹ ist die Mitte des polaren ›Oben‹.« – »Man meint, das sei ein Gegensatz: hie Wesen, dort Erscheinung; hie ›Jenseits‹, dort ›Diesseits‹: – aber der Gegensatz besteht allein in der Erscheinung, im ›Diesseits‹: das ›Wesen‹ dagegen ist kein ›Jenseits‹, es ist das Inmitten, es ist der schöpferische Berührungspunkt der unterschiedenen, vereinzelten Erscheinungen. Es ist nichts, das heißt nichts Unterscheidbares. Alles andere Verstehen des Nichts ist Missverständnis.« (GS 10, 139 u. 129)

Friedlaender wird nicht müde, in immer neuen Variationen auf diese Mitte der schöpferischen Indifferenz hinzuweisen, die sich aber, nach meinem Verständnis, dem Erkennen des unterscheidenden Intellekts entzieht. Nicht dem Erkennen insgesamt! Aber es bedarf einer neuen Weise des Erkennens, der Einsicht. Dazu später mehr.

Bei Nikolaus von Kues oder Nicolaus Cusanus (1401–1464), dem spekulativ mystischen Theologen und Philosophen am Beginn der Neuzeit, findet sich ein Begriff, der für unseren Zusammenhang aufschlussreich ist.6 1462 verfasst Cusanus seine Spätschrift De non aliud, »Vom Nicht-Anderen«, die von Kurt Flasch (1998, 565) als Höhepunkt und Quintessenz seines Denkens betrachtet wird, das von Begriffen wie der docta ignorantia, dem »Belehrten Nichtwissen«, oder der coincidentia oppositorum, dem »Zusammenfall der Gegensätze«, geprägt ist. In seinem Verständnis des Nicht-Anderen ist Nikolaus wohl auch stark von Meister Eckhart beeinflusst, auf den er sich namentlich allerdings fast nie bezieht, da dessen Lehre als häretisch verurteilt worden war. Non aliud, das oder der Nicht-Andere, fasst in einem Wort zusammen, was sich durch Ununterschiedenheit unterscheiden meint. Es verdichtet jene paradoxe, das unterscheidende Denken übersteigende Einsicht in die Transzendenz. Gott ist grundsätzlich anders als die Welt, weil er der Nicht-Andere ist. Denn das Anders-Sein, das Unterschiedensein, ist das fundamentale Kennzeichen der Welt. Gleichzeitig kann er, weil er der Nicht-Andere ist, auch nichts anderes, also unterschieden sein. Diese für das gewöhnlich logische Denken unverdauliche paradoxe Spannung, die auch in der hinduistischen A-dvaita (»Ohne-zweites«)-Lehre zu finden ist, ergibt sich bei einem mystischen Gottesverständnis. Der Gegensatz von Identität/Indifferenz und Differenz wird transzendiert in einer übergeordneten Identität, die Friedlaender schöpferische Indifferenz nennt.

Den Ausdruck des Nicht-Anderen kann man mit einem zentralen theologischen Motiv des protestantischen Theologen Karl Barth (1886–1968) aus der Anfangszeit seiner sogenannten Dialektischen Theologie kombinieren. Für Barth war Gott der »Ganz-Andere«. Er wollte damit die radikale Transzendenz Gottes betonen und bezog sich dabei auf den »unendlichen qualitativen Unterschied von Zeit und Ewigkeit« bei Sören Kierkegaard. Kombiniert ergibt das:

»Gott ist der Ganz-Andere, weil er der Nicht-Andere ist« (Frambach 1994, 312)

»Die Transzendenz, die Ganz-Andersheit Gottes, fällt zusammen mit seiner Nicht-Andersheit, seiner Immanenz. Das Absolute unterscheidet sich vom Relativen durch Nichtunterschiedenheit. Die Transzendenz der Wirklichkeit Gottes besteht gerade in ihrer radikalen Immanenz.« (ebd.)

»Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.« Dieser vielzitierte Satz von Dietrich Bonhoeffer aus Widerstand und Ergebung, seinen Aufzeichnungen aus dem NS-Gefängnis, bringt mit einfachen Worten zum Ausdruck, dass Gott nicht unter den unterscheidbaren Phänomenen der differenzierten Welt zu finden ist. Aber er ist nur die halbe Wahrheit. Polar symmetrisch ergänzt lautet die andere Hälfte: »Einen Gott, den es nicht gibt, gibt es.«

Die Frage nach der Existenz Gottes kann man nicht mit Ja oder Nein beantworten. Sie übersteigt diese sich ausschließende Alternative. Wenn Hans Küng, dessen »Projekt Weltethos« ich sehr schätze, auf die Titelfrage seines umfang- und kenntnisreichen Buches »Existiert Gott?« (1978) abschließend mit einem klaren, überzeugten Ja antwortet, so kann ich dem nicht zustimmen. »Tertium datur«, es gibt dieses ausgeschlossene Dritte, die ausgeschlossene Mitte, worin die einfache Alternative von Ja und Nein überstiegen wird. Wobei »geben« wie »existieren« keine adäquaten Ausdrücke sind. »Die Dinge haben bloß Existenz, aber ihr persönliches Nichts hat Insistenz, es ist ihr Schöpfer und Quell« (GS 10, 129), schreibt Friedlaender.

Um auf die lebendige Mitte des Nichts der schöpferischen Indifferenz in der differenzierten Mannigfaltigkeit hinzuweisen, verwendet Friedlaender eine Vielzahl von Bezeichnungen: Ich, später oft Ich-Heliozentrum, Selbst, Wesen, Subjekt, Individuum, Identität, Person, Geist, Seele, das Absolute, ∞, Insistenz, Wille, Freiheit … Er legt sich nicht auf bestimmte definitive Wortetikettierungen fest, sondern versucht das letztlich Unbeschreibliche in kreativ vielperspektivischer Variation hinweisend zu umschreiben. Alle seine Aussagen, insbesondere (aber nicht nur) bezüglich der Indifferenz, sind »so gemeint, wie man überhaupt ehrlicher Weise etwas meinen kann: beweglich! Lebendig. Man soll sich an ihren Buchstaben nicht kehren, man soll, wo möglich, mit einem besseren ihre Bedeutung verdeutlichen« (F 1905, 203 f.).

Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie

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