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3.3.3 Die Mitte der Materie

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Wie bei Raum und Zeit kann man auch radikal in die Mitte der Materie hineinfragen. Das läuft auf die Frage nach der kleinsten Einheit der Materie hinaus und führt in die Gefilde der Atomphysik. Darüber habe ich mir in besagtem Aufsatz Von der Unfähigkeit des Intellekts das Absolute zu erkennen … (1996), inspiriert durch Friedlaenders Philosophie, Gedanken gemacht. Etwas vermessen, da diese Materie nun überhaupt nicht die meine ist. Darum habe ich mir seinerzeit 1990 meine Überlegungen dem Quantenphysiker Thomas Görnitz, damals Mitarbeiter des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker, ansehen lassen und er hat ihnen im Wesentlichen zugestimmt. Sie können also nicht völlig falsch sein. Hier der entsprechende Abschnitt:

»Die Atomphysik stellt wohl den ausgeprägtesten naturwissenschaftlichen Versuch dar, mit dem Mittel des unterscheidenden Intellekts der phänomenalen Realität auf den Grund zu gehen und restlos = absolut zu erkennen. Durch einen immer weiter fortschreitenden Prozess exakt unterscheidender Beobachtung versucht man, die kleinste unteilbare Einheit oder Ganzheit (griech. atomos = unteilbar, unschneidbar) zu erkennen, aus der sich die Materie aufbaut. Das, was man Atom genannt hatte, erwies sich aber nicht als die gesuchte unteilbare Einheit und man gelangte in den Bereich der subatomaren Phänomene. Diese – Elektronen wie auch Protonen und Neutronen – zeigten jedoch eine verwirrende Zweideutigkeit, welche die daran beteiligten internationalen Forscher zur Entwicklung einer revolutionären, neuen Theorie führte, der sogenannten »Quantentheorie«. Die subatomaren Phänomene erschienen nämlich, je nach Beobachtungsmethode, einmal als Teilchen, Korpuskel, und ein anderes Mal zeigten sie sich als Welle. Eine charakteristische Eigenart ließ sich nicht eindeutig festlegen. Dieser sich ausschließende »Teilchen-Welle-Dualismus« wurde von Niels Bohr als »Komplementarität« interpretiert, als sich gegenseitig ausschließende und ergänzende Aspekte derselben Realität. Werner Heisenberg definierte das Verhältnis dieser komplementären Aspekte in komplexen Gleichungen als »Unschärferelation«. Ganz grob vereinfacht läuft sie im Prinzip auf Folgendes hinaus: je präziser der eine Aspekt (Korpuskel) wahrgenommen und beobachtet wird, desto unschärfer wird der andere Aspekt (Welle) und umgekehrt. Diese Entdeckung der Physik an der Grenze des exakt intellektuell Erkenn- und Unterscheidbaren deckt sich genau mit den hier vorgelegten erkenntnistheoretischen Einsichten. Das Prinzip der Polarität und der Vordergrund/ Hintergrund-Differenzierung des unterscheidenden Intellekts findet seine konkrete naturwissenschaftliche Entsprechung in der Komplementarität und der Unschärferelation der Quantentheorie. Auf Grund der hier dargestellten Strukturprinzipien der differenzierten Realität und des differenzierenden Intellekts wird einsichtig, dass die Erkenntnisbemühung der Physiker im Bereich kleinster Teilchen formal voraussagbar notwendigerweise zu diesem Ergebnis gelangen musste. Eine letzte eindeutige Einheit, Ganzheit, ist prinzipiell nicht restlos zu erkennen, weil Einheit, Ganzheit grundsätzlich als differenziertes Phänomen nicht zu erkennen ist. Wir erkennen nie restlos, ganz absolut, weil wir eben nur auf dem Hintergrund des Restes erkennen. Unser Erkennen ist prinzipiell unscharf. Die »Heisenbergsche Unschärferelation« ist nicht auf die subatomare Physik beschränkt, sondern ist ein erkenntnistheoretisches Grundfaktum. Im Bereich der Mathematik z. B. findet sie ihre logische Entsprechung im sogenannten »Unvollständigkeitstheorem« des Mathematikers Kurt Gödel, der nachwies, dass jedes logische System eine logische Voraussetzung haben muss, die selbst nicht logisch beweisbar ist. Auf Grund der Einsicht in die prinzipielle Polarität aller differenzierten Phänomene ist weiterhin von vorneherein klar, dass als letzte Erkenntnis im Bereich der kleinstmöglichen Teilchen die Wahrnehmung zweier sich ausschließender und ergänzender, d. h. komplementärer, polarer Phänomene übrig bleiben muss. Das, was polar als subatomares Teilchen- oder Wellenphänomen differenziert erkennbar wird – wie auch beim Licht – ist in seiner Einheit Ganzheit, indifferent. Es ist kein differenziertes Phänomen und damit dem forschenden Blick des Intellekts entzogen. Teilchen und Welle sind die polare, komplementäre Differenzierung desselben, das in seiner Identität indifferent unerkennbar ist. Was das »an sich« ist, das sich da in seinen polaren Phänomenen zeigt, lässt sich nicht erkennen und daher auch nicht sprachlich ausdrücken und begrifflich definieren. Die Physik hat die Materie bis in den subatomaren Bereich hinein verfolgt, drückte es einmal ein Physiker aus, und dann die Spur verloren. Dieses Verlieren der Spur wird durch die Einsicht in die prinzipielle Polarität der phänomenalen Realität erklärbar, als das Erreichen der intellektuellen Erkenntnisgrenze des differenzierenden naturwissenschaftlichen Erkennens im Mikro-Bereich. Das »Ding an sich« ist prinzipiell unerkennbar, wie das schon Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft intellektuell schlüssig nachwies, und zwar bezogen auf die Wahrnehmung aller Phänomene. Das »Ding an sich«, die Ganzheit, Einheit der Realität, ist das intellektuell unerkennbare Noumenon, das sich, können wir Kant mit Friedlaender präzisierend ergänzen, als Phänomen immer nur in seinem polaren Doppelaspekt zeigt. Diese Sichtweise der philosophischen »Metaphysik« Friedlaenders findet in den Erkenntnissen der exakten »Physik« ihre klare Bestätigung.« (Frambach 1996, 57 f.)

Thomas Görnitz hat sein Verständnis der Quantenphysik (2006) weiterentwickelt und auf dem Konzept der Quanteninformation ein umfassendes, über den materiellen Bedeutungsbereich der Physik hinausgehendes Wirklichkeitsverständnis konzipiert. Zusammen mit seiner Frau Brigitte Görnitz, Tierärztin wie auch Psychologin und Psychoanalytikerin, hat er in zwei didaktisch sehr gut formulierten Büchern (2008; 2009) innovative Sichtweisen beschrieben, die vielperspektivisch das Ganze der Realität erfassen. Zentral ist für sie der Begriff Protyposis:

»Für diese abstrakte und absolute Quanteninformation, die kosmisch begründet und noch bedeutungsfrei ist, führen wir einen neuen Begriff ein: Protyposis. (Er basiert auf dem Griech.: typeo – ich präge ein). Diese noch bedeutungsfreie Quanteninformation ist etwas, dem sich eine Form, eine Gestalt, schließlich sogar eine Bedeutung einprägen kann.« (Görnitz/Görnitz 2008, 7)

Diese allem zu Grunde liegende absolute Quanteninformation der Protyposis realisiert sich konkret als Materie, Energie und Bewusstsein, ähnlich wie Wasser sich als Flüssigkeit, Eis oder Dampf realisiert.

»Wir Menschen stehen, soweit wir die kosmische Evolution überblicken können, am gegenwärtigen Ende der Entwicklungslinie der Ausdifferenzierung der Protyposis, die man als das Weltsubstrat – eine abstrakte kosmische Quanteninformation – ansehen kann, die in uns Menschen dazu kommt, über sich selbst nachzudenken.« (ebd. 320) Und weiter: »Die Protyposis, die abstrakte kosmische Information, ist das Abstrakteste, was denkbar ist. Damit kommt sie von allen uns denkbaren naturwissenschaftlichen Begriffen sowohl dem am nächsten, was im Buddhismus als die »Leere«, als auch dem, was bei Platon das »Eine« genannt wird.« (ebd. 331)

Mir scheint, dass Friedlaenders schöpferische Indifferenz und polare Differenzierung, mehr noch als andere mystisch-philosophische Konzepte, wie z. B. wie der »grunt« bei Eckhart, mit diesen auf naturwissenschaftlichen Fakten basierende Theorien gut in Beziehung gesetzt werden kann. Interessant ist hier die Äthertheorie, die Friedlaender von seinem Kant-Vermittler Ernst Marcus (1969/80) übernimmt, der sie wiederum aus dem Opus Postumum von Kant herleitet. Darauf kann hier nur mit diesen wenigen und darum sehr leicht misszuverstehenden Sätzen als Möglichkeit hingewiesen werden, die einer gründlichen Untersuchung bedarf.

Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie

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