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GRÜN – Integration der Polaritäten wird vorbereitet

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Mit der GRÜNEN Ebene beginnt man, Vielfalt zuzulassen (Pluralismus), und man ist relativistisch; man verfügt über die kognitiven Möglichkeiten, in Wechselbeziehungen zu denken, und man kann Ereignisse in ihrer Vernetzung aus externer Perspektive wahrnehmen.

Wenn diese Kompetenzen im fortgeschrittenen Stadium von GRÜN tatsächlich umgesetzt werden, dann kommt es zwangsläufig zu einem inneren Konflikt:

Früher oder später kommt man in einen Widerspruch zwischen den Rechten, die man aus der eigenen Selbstverwirklichung ableitet, und dem Wert, allen Lebewesen gleiche Rechte zuzugestehen, denn beide Werte gelten gleichermaßen auf GRÜN. Zum ersten Mal bricht dieser Werte-Konflikt explizit auf einer Ebene auf, ohne dass einer der beiden Werte in den Hintergrund zurückweicht. Auf den vorhergehenden Stufen mussten die Pole sozusagen getrennt zur Reife gebracht werden, bis sie nun auf GRÜN aneinander reifen müssen.

Dieser Reifungsprozess stellt eine enorme Anforderung an das Selbst dar. Etwas, das bis zu dieser Stufe unvereinbar war, prallt nun aufeinander und verlangt eine Lösung, die keine weitere Abspaltung erlaubt. Der Weg der Abspaltung ist nun versperrt: zum einen, weil er sich nach den Werten dieser Stufe verbietet, zum anderen, weil das Bewusstsein entwickelt genug ist, um zu erkennen, dass weitere Abspaltung sinnlos ist, dass darin kein Fortschritt, keine Entwicklung mehr liegen kann.

Aber was dann? In der Theorie ist die Antwort einfach: Es geht um Integration, um Transzendieren und Umfassen, wie es bei Wilber heißt, wenn es um die Drehpunkte die Stufenübergänge geht. Aber was heißt das hier konkret?

Meiner Auffassung nach wird hier auf GRÜN die Integration der Pole vorbereitet, bevor sie auf der nächsten Ebene vollzogen wird. Es ist bereits eine große Leistung, beide Pole gleichwertig nebeneinander auftreten zu lassen, den sich daraus ergebenden Widerspruch zuzulassen und zu versuchen, beiden Seiten gerecht zu werden. Die GRÜNE Leistung besteht darin, aus dem durch die bisherigen Stufen hindurch praktizierten Weg der Abspaltung der Polarität in Pole auszusteigen und den Konflikt, der sich aus dem Aufeinandertreffen beider Pole ergibt, auszuhalten. Die GRÜNE Lösung dieses Konflikts kann noch nicht die große Integration sein, dafür ist noch eine weitere Transformation nötig. Die Voraussetzung für eine solche Transformation wird jedoch auf GRÜN geschaffen, indem man sich an der Quadratur des Kreises müht: Man versucht, beiden Polen gerecht zu werden, Lösungen dafür zu finden, in Gemeinschaft zu leben und den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Das bedeutet, sowohl dem eigenen Bedürfnis nach Zugehörigkeit nachzugehen als auch dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Oder noch einmal anders ausgedrückt: anderen Menschen Selbstverwirklichung zuzugestehen bzw. sie darin zu unterstützen und eigene Grenzen zu erweitern etc.

Das führt nicht selten zu Formen des Selbstbetrugs der einen oder anderen Richtung, die aufgedeckt und durchlitten werden müssen. Da werden der Gruppenharmonie eigene starke Interessen geopfert, die sich dann andernorts Bahn brechen. Es werden Ideologien von Gleichheit vertreten, die so nicht gelebt werden können (einfach weil sie nicht der Realität entsprechen). Es werden Hierarchien (auch Holarchien) geleugnet, weil sie mit den Werten unvereinbar scheinen etc. Das alles muss ausprobiert, ausgehalten und durchlebt werden, wenn man Polarität nicht mehr verdrängt, sondern die Pole aufeinander prallen lässt.

Gegen Ende von GRÜN hat man erfahren, dass es nicht die Lösung gibt für diesen Konflikt, denn es kann keine klare, inhaltlich eindeutige Anweisung geben, wie man konkret Polarität leben kann. GRÜN hat es mit der Anweisung versucht: Beide Pole sind gleichwertig und stellen keinen Widerspruch dar!

Damit ist es zum ersten Mal möglich, beide Pole bestehen zu lassen – das ist die großartige Leistung dieser Stufe. Die Gefahr dabei ist, dass Unterschiede nivelliert, also Differenzen geleugnet werden (beispielsweise Geschlechterdifferenzen). Im Idealfall jedoch hat man erfahren, dass die Pole gleichwertig sind, also keiner der Pole per se richtig oder falsch ist. (Eine Grundidee, die uns schon im Quadrantenmodell begegnet ist, denn alle Perspektiven sind gleichwertig, keine ist wichtiger als eine andere etc.) Damit ist auch klar, dass die Antwort für einen angemessenen Umgang nicht mehr darin liegen kann, sich ein für alle Mal für eine der beiden Seiten zu entscheiden. Mit dieser grundsätzlich neuen Einsicht sind nun die Herausforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten von GRÜN umfassend ausgeschöpft und der Prozess der Integration der Pole muss sich auf der nächsten Stufe fortsetzen.

Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie

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