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2.9 Fazit und Empfehlungen für die Praxis
ОглавлениеEin wesentlicher Anteil von Veränderungen der Morbidität ist auf demografische Veränderungen zurückzuführen. In den kommenden Jahrzehnten ist beispielsweise aufgrund der Zunahme alter, vor allem hochaltriger Menschen mit einem beträchtlichen Anstieg demenzkranker Menschen zu rechnen ( Kap. 14). Im Jahr 2000 litten über 900.000 Menschen in Deutschland an einer Demenz. Bleibt ein Durchbruch in der Prävention dieser Erkrankung aus, so ist bis 2020 mit über 1,4 Mio. und bis 2050 mit etwa 2,3 Mio. Demenzkranken zu rechnen (Weyerer 2005). Eine ähnliche Entwicklung ist bei den Pflegebedürftigen zu erwarten. Von 2001–2015 ist die Anzahl der Pflegebedürftigen von etwas über 2,0 Mio. auf knapp 2,9 Mio. angestiegen (Statistisches Bundesamt 2017c). Dabei zeichnet sich ein klarer Trend zur professionellen Pflege in stationären und ambulanten Einrichtungen der Altenhilfe ab ( Kap. 58). Im Vergleich zu 2001 hat im Jahr 2015 die Anzahl der in Heimen vollstationär versorgten Pflegebedürftigen um 32,4 % (192.000 Pflegebedürftige), bei den durch ambulante Pflegedienste betreuten Personen sogar um 59,3 % (258 000) zugenommen.
Die institutionelle Versorgung pflegebedürftiger alter Menschen dürfte in Zukunft jedoch vor allem dann an Bedeutung gewinnen, wenn
• das familiäre Pflegepotenzial aufgrund niedriger Geburtenraten, erhöhter Mobilität und Berufstätigkeit von Frauen abnimmt,
• die familiäre Solidarität durch Scheidung erschüttert wird,
• möglicherweise die Bereitschaft und die Fähigkeit von Angehörigen, pflegebedürftige Familienmitglieder zu versorgen, abnehmen (Weyerer et al. 2008).
Bei der Darstellung der Ergebnisse bezogen wir uns in der Regel auf die Situation in Deutschland. Hinsichtlich der Lebenserwartung und der Todesursachen ergibt sich ein völlig anderes Bild für Entwicklungsländer, in denen überwiegend soziale Bedingungen herrschen, die für das vorindustrielle Europa charakteristisch waren. Weltweit ist die Lebenserwartung von 1950 bis heute von 47 auf 68 Jahre angestiegen. Dieser Anstieg findet sich auch in den Entwicklungsländern, allerdings auf wesentlich niedrigerem Niveau; so hat derzeit ein neugeborenes Kind in Afrika eine Lebenserwartung von etwa 55 Jahren. Während in den Industrieländern die meisten Menschen an einer Herzkreislauferkrankung sterben, sind in den Entwicklungsländern Infektionskrankheiten (wie z. B. Tuberkulose) die häufigsten Todesursachen (Kröhnert und Karsch 2011).
Empfehlungen für die Praxis:
• Um dem Morbiditätsproblem, das mit dem demografischen Wandel einhergeht, wirksam zu begegnen, sind präventive Maßnahmen von hoher praktischer Bedeutung. Die Ziele einer Prävention für den alten Menschen sind ( Kap. 56):
– Verringerung der Morbidität
– Zeitliches Verzögern der Manifestation chronischer Erkrankungen und Kompression der Morbidität
– Vermeidung und Verminderung der Behinderung, um eine größtmögliche Selbständigkeit zu erreichen
• In Deutschland und anderen Industrieländern sind neben Herzkreislauferkrankungen Krebserkrankungen die mit Abstand häufigsten Todesursachen. Möglichkeiten zu einer weiteren Verbesserung der Alterssterblichkeit liegen u. a. in der Prävention dieser Erkrankungen durch vermehrte Aufklärung, Vorsorgeuntersuchungen, gesunde Ernährung und gesundheitsbewusstes Verhalten.
• Die Bewältigung des demografischen Wandels muss darüber hinaus eingebettet sein in eine Gesamtstrategie, die zur Lösung anderer großer Herausforderungen beiträgt, wie etwa die Erhöhung der Beschäftigungschancen alter Menschen ( Kap. 5.8), Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf, Kinderbetreuung und Pflege und verbesserte Integration von Migranten im Bildungs- und Beschäftigungssystem. Die prognostizierten demografisch bedingten Entwicklungen können in vielen Bereichen politisch gestaltet werden. Beispielsweise könnte eine kinder- und familienfreundliche Politik oder eine gezielte Einwanderungspolitik zu einem günstigeren Altersquotienten führen.
• Die demografische Alterung verläuft in Deutschland regional sehr unterschiedlich. 2014 waren 21,0 % der Bevölkerung 65 Jahre und älter, wobei die Schwankungsbreite in den einzelnen Bundesländern mit 25,0 % in Sachsen-Anhalt und 18,9 % in Hamburg beträchtlich war (Statistisches Bundesamt 2016). Prognosen zeigen, dass v. a. in großen ländlichen Gebieten der neuen Bundesländer der Anteil alter Menschen überdurchschnittlich ansteigen wird. In diesen strukturschwachen Gebieten trifft der Ärztemangel alter Menschen besonders hart: Für sie stellen die oft weiten Wege zu den verbleibenden Arztpraxen und Krankenhäusern eine besondere Belastung dar (Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2015). Großstädte sind dagegen in Deutschland unterdurchschnittlich alternde Regionen und medizinisch wesentlich besser versorgt. Diese unterschiedlichen demografischen Entwicklungen haben erhebliche Folgen für die regionale medizinische und pflegerische Versorgung. Da die Versorgung kranker alter Menschen auch in Zukunft starken Veränderungen unterworfen sein wird, sollte einer kontinuierlichen epidemiologischen Begleitforschung eine hohe Priorität zukommen.
• Um den Hilfebedarf und die Versorgungssituation für chronisch kranke alte Menschen adäquat beurteilen zu können, sind epidemiologische Studien erforderlich, die alle Versorgungsbereiche berücksichtigen: pflegende Angehörige, Selbsthilfegruppen, ambulante, teilstationäre und stationäre Einrichtungen der Altenhilfe, primär- und fachärztlicher Bereich und Krankenhäuser ( Kap. 51, Kap. 52, und Kap. 58).