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Was ist die Frage?

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Wenn Sozialwissenschaftler sich in Ausübung ihres Berufes der sozialen Welt mit dem Ziel zuwenden, die Bedeutung von Texten, stillen Bildern, Wohnzimmereinrichtungen, Sportveranstaltungen, Heiratsbräuchen, Landschaftsparks oder Ähnlichem zu verstehen, dann müssen sie deren (gesellschaftliche) Bedeutung rekonstruieren. Für wissenschaftliche Rekonstruktion aller Art gilt nun, dass sie – wie auch alle alltäglichen Rekonstruktionen – nicht hintergehbar, vor allem perspektivengebundene, kommunikativ erarbeitete Konstruktionen sind (Keller/ Knoblauch/Reichertz 2012, Reichertz 2013b). Denn: Die Wissensproduktion für die Gesellschaft ist auch von der Gesellschaft organisiert (vgl. Berger/Luckmann 1977, Soeffner 2004; Reichertz 2016).

Eine reflexive Sozialforschung weiß um diesen Sachverhalt (Bourdieu/Wacquant 1996). Für sie gibt es keinen Durchblick auf die wirkliche Wirklichkeit, sondern alles, was ihr gegeben ist und was sie untersuchen kann, ist gesellschaftlich erbautes, gesellschaftlich verteiltes, aber auch geteiltes Wissen von Bedeutung. Auch wenn unterstellt wird, dass jenseits des gesellschaftlichen Wissens brute facts existieren, so ist es dem Wissenschaftler nicht möglich, auf sie zuzugreifen. Seine Deutung der Welt arbeitet sich an gesellschaftlich erbauten Deutungen ab, an ihnen, und vor allem: mit ihnen arbeitet er, um dann zu seiner Deutung zu gelangen.

Diese reflexive Wendung hat für die Wissenschaftler (also wissenschaftsintern) zweierlei Konsequenzen: zum einen Freisetzung, zum anderen Verunsicherung. Freisetzung deshalb, weil die Verabschiedung eines exklusiven Wegs zur Erkenntnis strukturell die Suche nach neuen Wegen und Prozeduren eröffnet und zugleich die Konzeptionierung neuer Methodologien ermöglicht. Diese Freisetzung hatte im Windschatten (ebenfalls wissenschaftsintern) zugleich aber auch eine tiefgreifende Verunsicherung zur Folge: Gemessen an dem Stand wissenssoziologisch informierter (Selbst-) Reflexion lassen sich nämlich keine verbindlichen Standards für die Erlangung von Validität mehr angeben: Denn jede Forschungsarbeit muss in dieser Perspektive mit der (weder zu leugnenden noch zu beseitigenden) Tatsache leben, selektiv und damit nur bezogen auf eine Perspektive gültig zu sein. Diese Verunsicherung findet auf Forscherseite ihren Ausdruck in der sprunghaften Zunahme von Anything-goes-Forschung und der deutlichen Bevorzugung der spritzigen Formulierung vor dem guten Argument.

Wissenschaftsextern hat die reflexiv gewordene Wissenssoziologie mit ihrer Erkenntnis wissenschaftlicher Perspektivengebundenheit, die übrigens meistens nur in Form eines kruden Wissenspluralismus (»Jede Erkenntnis ist gleich gut, deshalb auch beliebig!«) wahrgenommen wurde, ebenfalls eine tiefe Verunsicherung ausgelöst – mit dem paradoxen Ergebnis einer verstärkten Nachfrage nach Gültigkeit und dem Verlangen nach Forschungsevaluation. In dieser Situation stellt sich die Frage, wie einerseits wissenschaftsintern mit der Unsicherheit wissenschaftlicher Erkenntnis umgegangen wird (z. B. mithilfe von Methodendebatten) und wie andererseits extern die Gültigkeit wissenschaftlicher Aussagen gerechtfertigt werden kann.

Im Beitrag soll versucht werden – wohl wissend, dass die Frage nach der Gültigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse eingebunden ist in einen sozialen Prozess der Wissenslegitimierung –, die Frage nach der Validität (→ Flick, S. 36 ff.) sozialwissenschaftlicher Rekonstruktionen dadurch anzugehen, den Diskurs über die Gültigkeit sozialwissenschaftlicher Erkenntnis nachzuzeichnen, um so gewisse Standards für die Bestimmung von Gütekriterien zu entwickeln. Es geht dabei jedoch nicht um eine Neuauflage der erkenntnistheoretischen Debatte, um die Möglichkeit von Erkenntnis und auch nicht um die Diskussion der gängigen Wahrheitstheorien, auch wenn im Weiteren immer wieder auf Erkenntnis- und Wahrheitstheorien Bezug genommen werden muss, um die Probleme bei der Entwicklung sozialwissenschaftlicher Gütekriterien sichtbar zu machen.

Qualitative Medienforschung

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