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Welche Bedeutung haben Gütestandards?

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Angesichts einer solchen Aufgabenstellung kann man leicht mit großem Pessimismus reagieren, aber dieser Pessimismus wird erheblich verstärkt, wenn man sich auf der Suche nach Lösungen des Gültigkeitsproblems die herrschende Praxis qualitativer Forschungsarbeit, oder genauer: deren Beschreibung in Forschungsberichten ansieht. Denn ein etwas gründlicherer Überblick über die vielen Research-Reports qualitativer Forschung zeigt, dass die Anything-goes-Forschung längst Alltag qualitativen Arbeitens geworden ist: Daten werden oft zufällig eingesammelt, deren Besonderheit wird weder diskutiert noch berücksichtigt, Auswertungsverfahren werden oft ohne Rücksicht auf Gegenstand, Fragestellung und Daten fast beliebig ausgewählt (ad hoc) und aufgrund der Spezifik der Forschungssituation vor Ort reflexionsfrei modifiziert, Einzelfälle werden nicht selten ohne Angabe von Gründen zu Typen stilisiert, und immer wieder werden die Geltungskriterien für eine schillernde und kurzweilige Formulierung aufgegeben.

Dass die Lage so ist, wie sie ist, hat nur zum Teil etwas damit zu tun, dass der kämpferische Aufbruchdrang der Qualitativen, die sich ja stets im Besitz der besseren Methoden wähnten und deshalb auch stets an deren Verbesserung gearbeitet haben, angesichts ihres Erfolgs erheblich nachgelassen hat: Heute ist nicht ein zu wenig qualitativer Sozialforschung zu verzeichnen, sondern eher ein zu viel (des Unreflektierten) – es gibt nur noch sehr wenige Wirklichkeitsbereiche, die noch nicht von (manchmal auch dilettantischen) qualitativen Untersuchungen überzogen wurden. Aber diese Allgegenwart der qualitativen Forschung spricht nur auf den ersten Blick für deren Erfolg. Auch die landesweite Normalität qualitativer Methodenunterweisung innerhalb der sozialwissenschaftlichen Hochschulausbildung, deren Absegnung durch den Berufsverband der Soziologen und die Einrichtung einer eigenen Sektion »Qualitative Methoden« in der DGS (Deutsche Gesellschaft für Soziologe) erfolgt ist, sind hierfür lediglich Indizien.

Möglicherweise ist dieser Erfolg aber auch eine Ursache für die oft geringe Qualität qualitativer Arbeiten. Denn die sprunghafte und sehr schnelle Ausweitung der Methodenausbildung (noch vor der Entwicklung und Kanonisierung von Geltungskriterien) produziert nicht nur mehr gute Arbeiten, sondern naturgemäß noch mehr schlechte. Zudem findet allzu oft qualitative Forschung nur auf der Ebene selbst finanzierter Qualifikationsarbeiten innerhalb der Hochschulen statt. Hat sie sich jedoch den Ansprüchen von (wissenschaftlichen, politischen, privatwirtschaftlichen) Förderinstitutionen und deren Standards zu stellen, dann sind qualitative Forschungsanträge deutlich weniger erfolgreich – und das zunehmend.

Dies liegt nun nicht daran, dass die Verfahren der Gütesicherung bei den Qualitativen weniger hart sind als bei den Quantitativen (wenn auch die Ersten wegen der etwas jüngeren Forschungstradition gewiss noch mehr Reflexions- und Verbesserungsbedarf haben) – vorausgesetzt, man berücksichtigt bei der Anlage des Forschungsdesigns die Fragen der Gütesicherung (was vielleicht manche Qualitative noch nicht ernsthaft genug tun) und immer eingedenk des Sachverhaltes, dass die quantitative und qualitative Sozialforschung (die sich im Übrigen keineswegs ausschließen, sondern im Gegenteil: sie ergänzen einander gut) sich auf andere Gegenstandsbereiche und Fragestellungen beziehen. Zielt die erste nämlich vor allem auf die Bestimmung der mengenmäßigen Verteilung und Relation von geäußerten Meinungen und Handlungen innerhalb großer Grundgesamtheiten, so geht es der zweiten vor allem um die (Re-) Konstruktion der manifesten bzw. latenten Handlungsmotivierung sozialer Akteure (vgl. Lüders/Reichertz 1986). Schon allein deshalb, also weil strukturell verschiedene Gegenstände untersucht werden und weil der Anspruch der Ansätze sich so stark unterscheidet, können naturgemäß die Methoden der Gütesicherung bei qualitativer und quantitativer Forschung nicht identisch sein (vgl. Erzberger/Kelle 1998, Kelle 2008).

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