Читать книгу Qualitative Medienforschung - Группа авторов - Страница 67

Zur Methode einer hermeneutischen Wissenssoziologie Gezeigte Handlung versus Handlung des Zeigens

Оглавление

Das hier vorgestellte Datenanalyseverfahren ist die hermeneutische Wissenssoziologie (allgemein hierzu Hitzler/Reichertz/Schröer 1999; Soeffner 1989 und Schröer 1994). Die hermeneutische Wissenssoziologie soll sinnstrukturierte Produkte menschlichen Handelns auf ihre Handlungsbedeutung hin auslegen und ist als solche in der Lage, sowohl Texte als auch Bilder, Grafiken und Fotos jeder Art auszulegen.

Die hermeneutische Wissenssoziologie interpretiert dabei ausschließlich Handlungen, also auch Sprech- und Darstellungshandlungen. Bei der Analyse von Bildern, (digitalisierten) Fotos, Filmen und Grafiken ergibt sich allerdings die Frage, welches Handeln überhaupt Gegenstand der Untersuchung sein soll. Hier gilt ganz allgemein – und dies im Anschluss an Peters 1980 und Opl 1990 –, zwischen der gezeigten Handlung (also der im Bild gezeigten Handlung) und der Handlung des Zeigens (also der mit dem Bild gezeigten) zu unterscheiden1 (ausführlich hierzu Reichertz/Englert 2011). Mit Ersterem wird das Geschehen bezeichnet, das mithilfe des Bildes aufgezeichnet und somit gezeigt wird, mit Letzterem der Akt der Aufzeichnung, also des Zeigens durch die Gestaltung des Bildes (plus die Gestaltung des von dem Bild Aufgezeichneten). Bild meint hier nicht nur ein Foto, sondern ganz allgemein einen Apparat des Aufzeichnens, Fixierens mit einer darin eingelassenen spezifischen Selektivität.

Zur Handlung des mit der Bildgestaltung Zeigens gehört also vor allem (1) die Wahl des Ortes zur Inszenierung einer Handlung vor der Kamera, (2) die Wahl der Kulissen und des sozialen Settings, (3) die Auswahl und Gestaltung des Bildausschnitts, (4) die Art und das Tempo der Schnittfolge, (5) die Kommentierung des Abgebildeten durch Filter, eingeblendete Grafiken, Texte, Töne oder Musik, (6) die Auswahl und Ausrüstung des Aufzeichnungsgeräts (Kamera) und (7) die Gestaltung der Filmkopie (Format, Qualität).

Alle Handlungen greifen in der Regel auf kulturell erarbeitete Muster und Rahmen (ikonographische Topoi) zurück, weshalb die Handlung des Zeigens sich immer auch auf andere, zeitlich frühere Handlungen des Zeigens bezieht. Da die (impliziten oder expliziten) Entscheidungen über die wesentlichen Elemente der Bildgestaltung zeitlich der Handlung im Bild meist vorangehen bzw. diese dominieren, bildet die Bildgestaltungshandlung den für die (alltägliche und wissenschaftliche) Interpretation dominanten Handlungsrahmen, in dem die Handlung im Bild unauflöslich eingebunden ist.

Allerdings findet sich oft für die Bildgestaltungshandlung bei näherer Betrachtung kein einzelner personaler Akteur, da z. B. im Falle eines Filmes der Regisseur in der Regel nicht für alle Kamerahandlungen zuständig ist. Meist sind (z. B. beim Film) an der Kamerahandlung auch Kameraleute, Maskenbildner, Tontechniker, Kulissenschieber, Ausleuchter, Kabelträger, Kreative, Text- und Songschreiber, betriebseigene Medienforscher u. v. a. m. beteiligt. Das durch Professionsstandards angeleitete Zusammenspiel all dieser Funktionen bringt schlussendlich das zustande, was als Film gesendet wird oder als Bild, Grafik, Werbeanzeige oder Homepage veröffentlicht wird. Wird im Weiteren von dem Autor der Bildgestaltung gesprochen, dann ist immer ein korporierter Akteur (= Summe aller Handlungslogiken, die an der Aufnahme und Gestaltung eines Bildes mitwirken – siehe Reichertz 2016) gemeint.

Stets kommentiert und interpretiert der korporierte Akteur durch die Handlung der Bildgestaltung die Handlung im Bild. Auch der Versuch, mit der Bild-Darstellung nur das wiederzugeben, was den abgebildeten Dingen (scheinbar von Natur aus) anhaftet, ist ein Kommentar, allerdings ein anderer als der, wenn die Kamera z. B. durch Schärfentiefe, Verzerrungen etc. auf sich selbst weist. Im ersten Fall versucht der korporierte Akteur sein Tun und die Bedeutung seiner Handlungslogik zu leugnen bzw. zu vertuschen, im zweiten Fall schiebt er sich zwischen Abgebildetem und Betrachter und bringt sich damit selbst ins Gespräch.

Aus diesem Grunde geht es bei der Analyse von Bilddaten nicht allein um die Rekonstruktion der Bedeutung des gezeigten Geschehens. Bildanalyse kann und darf sich nie auf die Bild-inhaltsanalyse bzw. auf die Analyse der vor der Kamera gesprochenen Worte beschränken, da die Kamerahandlung stets konstitutiver Bestandteil des Films ist. Sie hat sich durch eine Fülle nonverbaler Zeichen in den Film eingeschrieben, sie hat im Film einen bedeutsamen Abdruck hinterlassen. In jeder bildlichen Darstellung von Handlungen finden sich also immer zwei Komplexe von Zeichen: zum einen die Zeichen, welche auf die Regeln der abgebildeten Handlungen, zum anderen die, welche auf die Regeln der Handlung der Abbildung verweisen.

Qualitative Medienforschung

Подняться наверх