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Texte in Kontexten

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Ein weiteres zentrales methodologisches Merkmal von Cultural Studies ist ihre Analyse von medialen Texten, die nicht als diskrete Entitäten betrachtet werden, in ihrer kontextuellen Verankerung. Sie interessieren sich dafür, wie Texte und Diskurse mit sozialen, historischen oder politischen Kontexten artikuliert werden. Von Anfang an haben sie die traditionell marxistische Vorstellung abgelehnt, dass Kultur im Wesentlichen im Rahmen einer dominanten Ideologie begriffen werden kann. Vor allem Stuart Halls berühmtes »Encoding/Decoding«-Modell (Hall 1980) machte deutlich, dass in der Produktion und Rezeption von Nachrichtensendungen um die Bedeutung der dargestellten Ereignisse gerungen wird. Mediale Texte werden zum Ort der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, die ihre eigenen Interpretationen durchsetzen möchten.

Daher spielten schon in der Frühphase der Cultural Studies in Birmingham semiotische und strukturalistische Analysen eine wichtige Rolle. Zeichen wurden als polysem und multiakzentuell begriffen, die Verknüpfung zwischen Signifikant und Signifikat war in der Lesart von Cultural Studies vor allem politisch motiviert. Mediale Texte, wie z. B. die Studie zu James Bond (Bennett/Woollacott 1987) zeigte, wurden in ihrer intertextuellen Verankerung (Winter 1992; Mikos 1994) analysiert, um den oft formalistischen Charakter semiotischer und narrativer Analysen, die an primären Texten orientiert sind, zu überwinden. Durch die Berücksichtigung textueller und sozialer Kontexte gewannen die Analysen populärer Texte an Tiefe und Komplexität, weil ihre gesellschaftliche Bedeutung ins Zentrum rückte, die in Beziehung zu komplexen sozialen und kulturellen Kräften entsteht.

Sehr früh wurden auch die Charakteristika postmoderner Medientexte bestimmt, die Anleihen im Archiv der verfügbaren Medientexte machen und sich primär im Kontext dieser zirkulären Bezüge – und nicht als Referenz auf eine medial unvermittelte »Realität« – verstehen lassen (Denzin 1991). Dabei geht ein umstrittener Film wie Natural Born Killers selbstreflexiv und kritisch mit Medienbildern sowie mit unserem medial vermittelten Wissen über Serienkiller um. Nicht jeder hat aber eine postmoderne Sensibilität ausgebildet und versteht daher den Film als Parodie auf mediale Gewalt. Cultural Studies betonen daher, dass jede Lesart kontextgebunden ist und politischen Charakter hat. Das Wissen über Texte und Praktiken, deren räumliche und zeitliche Eigenschaften bestimmt werden müssen, ist immer ein situiertes Wissen. Wie die Forschungen zur Populärkultur zeigen, existieren Texte und Praktiken an besonderen Orten zu besonderen Zeiten für besondere Publika (Jenkins u. a. 2002). Deshalb lässt sich die Bedeutung eines medialen Textes nie erschöpfend bestimmen. Gerade im Bereich der Populärkultur vervielfachen sich die Bedeutungen, wenn Konsumenten und Forscher die Texte im Kontext ihres eigenen sozialen Lebens und ihrer kulturellen Identität verstehen. Im Rahmen von Cultural Studies sind oft die persönlichen Erfahrungen im Umgang mit medialen Texten ein Einstieg für deren kritische Analyse (Grossberg 1988). So geht es in der Folge darum, in selbstreflexiver Weise die sozialen Grundlagen unserer Interpretationen und damit auch deren Grenzen zu bestimmen.

In neueren, poststrukturalistisch orientierten Arbeiten der Cultural Studies werden hierzu auch genealogische und dekonstruktive Analysen durchgeführt. Im Anschluss an Foucault kann die Genealogie aufzeigen, wie unsere Auffassungen, Begriffe, Problembeschreibungen oder wissenschaftlichen Wahrheiten historischen Kontexten und spezifischen sozialen und politischen Prozessen entsprungen sind. So sind die Bilder, die wir uns von uns selbst, der Gesellschaft oder der Geschichte machen, nie vollständig oder unabhängig. Sie bleiben an die gesellschaftlichen Praktiken gebunden, aus denen sie hervorgegangen sind. Ein Genealoge versucht die medialen Praktiken unserer Kultur zu verstehen, die wir mit anderen teilen und die uns auch zu dem gemacht haben, was wir sind.

Die Dekonstruktion ermöglicht eine kritische Analyse der Logik medialer Texte. Hierzu werden z.B. binäre Oppositionen aufgedeckt und problematisiert. Hinter diesen verbergen sich Werte, ideologische Vorannahmen und kulturelle Hierarchien. Darüber hinaus zeigen dekonstruktive Lektüren die grundlegende Unbestimmtheit des Sinns medialer Texte auf, die durch ein unbegrenztes Spiel von Differenzen konstituiert werden und für vielfältige Lesarten in unterschiedlichen Kontexten offen stehen. Daher haben dekonstruktive Cultural Studies auch einen interventionistischen Charakter. Es geht ihnen darum »to expose the underlying ›structural‹ preconceptions that organize texts and to reveal the conditions of freedom that they suppress« (Denzin 1994, S. 196).

Cultural Studies haben also das Bestreben, mediale Texte von möglichst vielen Perspektiven aus zu analysieren, um die Diskurse aufzudecken (→ Diaz-Bone, S. 131 ff.), die sowohl diese als auch unser Alltagsverständnis und unsere Forschungsstrategien strukturieren. Der Forscher muss sich über seine eigenen Verpflichtungen, Interessen und Auffassungen klar werden, die historisch, politisch und sozial geprägt sind (vgl. Winter 2014).

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