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5.1 Theorie der schwachen zentralen Kohärenz
ОглавлениеDie Theorie der schwachen zentralen Kohärenz (Central Coherence) wird zum ersten Mal von Uta Frith (1989) aufgebracht. Sie nimmt an, dass sich die Informationsverarbeitung von Personen mit ASS gegenüber denen Neurotypischer unterscheidet. Neurotypisch werden Personen mit einer neurologisch typischen Entwicklung genannt. Dieser Begriff wird vor allem von Menschen mit ASS benutzt, um Menschen ohne Autismus zu beschreiben.
Schwache zentrale Kohärenz
Ein häufig beschriebenes Phänomen bei ASS ist die Fähigkeit, Details besonders deutlich wahrzunehmen, sodass beispielsweise bei einem Bild der Fokus stärker auf „Kleinigkeiten“, bzw. einzelne Teile gerichtet ist und der „Gesamtzusammenhang“ mehr in den Hintergrund tritt. Damit kommt es häufiger zu ganz anderen Interpretationen beispielsweise von Bildern oder Situationen. Kommen in einem Bild Menschen vor, wird die Aufmerksamkeit neurotypischer Personen automatisch sehr stark von ihnen „angezogen“. Sie fokussiert sich vor allem auf die Menschen und den möglichen sozialen Kontext sowie deren Gefühle. Personen mit ASS scheinen Menschen oder sozialen Situationen in Bildern nicht automatisch den Vorzug zu geben (kein sozialer Attraktor), sondern ihre Aufmerksamkeit wird von ganz anderen Dingen angezogen, wie z.B. Fliesenmuster, Autokennzeichen, allgemein verhältnismäßig oft von unbelebten Gegenständen.
In einem späteren Artikel von Francesca Happé (1999) wird die Theorie von Uta Frith nochmals beschrieben und von den anderen beiden bestehenden Theorien (Theory of Mind und Theorie der exekutiven Dysfunktionen) abgegrenzt. Die tendenzielle Verschiebung der zentralen Kohärenz hin zu mehr lokalen Charakteristika wird nicht per se als Defizit gedeutet, sondern eher als ein „kognitiver Stil“ begriffen, der entweder mehr holistisch oder detailorientiert ausfallen kann.
Dakin und Frith (2005) erklären die schwache zentrale Kohärenz damit, dass normalerweise ein starker Drang an Bedeutungszuschreibung bei visuellen Informationen besteht, sodass diese eher global verstanden werden (Gesamtgestalt), wobei im Gegensatz dazu die Details und Oberflächeneigenschaften eher unterdrückt werden. Bei ASS kommt es also zu einer Verschiebung der visuellen Informationsverarbeitung, sodass die Gesamtgestalt weniger berücksichtigt wird und lokale Informationen mehr an Bedeutung gewinnen.
Der Vorteil dieses Erklärungsansatzes ist laut Happé, dass nicht nur die Schwierigkeiten in der Verarbeitung erklärt werden können, sondern auch die immer wieder beschriebenen Stärken. Oft sind diese Fähigkeiten schon in jungen Jahren gut ausgeprägt. In einzelnen Fällen kann es sich sogar um ganz besondere Fähigkeiten handeln, welche als Inselbegabungen (Savant-Fähigkeiten) bezeichnet werden. Durch die Berichte in den Medien entsteht jedoch der Eindruck, dass ASS immer mit besonderen Savant-Fähigkeiten in einem bestimmten Bereich einhergehen müssen. Dies ist jedoch nur bei ca. 10% der diagnostizierten Personen mit ASS der Fall (Rimland 1978).