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5.3.2 Empathie

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Im Zusammenhang mit der Theory-of-Mind-Defizit-Hypothese wird häufig der Begriff Empathie genannt. Dabei fällt es schwer, abzugrenzen, was genau mit Empathie gemeint ist, und ob ToM ein übergeordnetes Konzept darstellt. Die Herkunft des Begriffs Empathie ist unklar. Die heutige Bedeutung geht wohl auf den Philosophen Theodor Lipps (1851–1914) zurück (Montag et al. 2008). Er definierte Empathie als die Fähigkeit von Menschen, mentale Zustände anderer zu verstehen. Dies ist ebenfalls ein Teil der Definition der Theory of Mind. Weiter wird Empathie mit Mitleid und Mitgefühl in Zusammenhang gebracht. Hier werden verschiedene Begriffe genannt, ohne dass eine eindeutige Abgrenzung oder ihre Beziehung zueinander klar ersichtlich ist.

Singer und Lamm (2009) beschreiben verschiedene mentale und affektive Zustände, die mit Empathie in Beziehung stehen und ordnen diese in einem hierarchischen System. Mimikry bezeichnet dabei die Tendenz, automatisch emotionale Ausdrücke, den Sprachausdruck oder die Haltung mit einer anderen Person abzugleichen. In Studien, in denen emotionale Gesichtsausdrücke bei beiden Interaktionspartnern untersucht wurden, nahm der Zuhörer z.B. ein Lächeln wahr und erwiderte ebenfalls diesen Gesichtsausdruck. Singer und Lamm meinen weiter, dass Mimikry eine automatische Erkennung von Emotionen bei anderen Personen ermöglicht. Das Konzept der emotionalen Übertragung (emotional contagion, auch „primitive Empathie“) meint, dass es sehr wahrscheinlich sein wird, dass ein Baby zu weinen anfängt, wenn es ein anderes weinen sieht oder hört. Diese ansteckende, emotionale Übertragung funktioniert aber hier schon bevor das Baby ein Bewusstsein dafür hat, dass sich die eigenen Emotionen von denen anderer unterscheiden. Mimikry und emotionale Übertragung werden für die auf einer höheren Ebene liegende Empathie benötigt, sie sind jedoch nicht vollkommen ausreichend. Empathie beinhaltet laut den Autoren zusätzlich die Fähigkeit der Selbsterkenntnis und die Unterscheidung zwischen dem Selbst und anderen Personen. Weiter muss zwischen Empathie, Sympathie, empathischer Anteilnahme und Mitgefühl unterschieden werden. Empathie beinhaltet immer gleiche oder ähnliche Gefühle bei den Interaktionspartnern, bei den anderen drei Begriffen muss das jedoch nicht so sein. Wenn jemand eifersüchtig auf eine andere Person ist, dann wird die andere Person nicht notwendigerweise ebenfalls eifersüchtig auf das Gegenüber sein. In diesem Fall wird eher Mitleid oder Bedauern empfunden. Sympathie, empathische Anteilnahme und Mitgefühl werden manchmal auch synonym verwendet. Singer und Lamm äußern sich in ihrem Artikel jedoch nicht zur Einordnung von Empathie hinsichtlich der ToM.

Personen mit ASS wird häufig nachgesagt, dass sie keine Empathie besitzen, sich nicht in andere Personen hineinversetzen und Emotionen nicht interpretieren können. Im Rahmen der an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Freiburg stattfindenden Diagnostik und Gruppentherapie für Personen mit hochfunktionalem Autismus oder Asperger-Syndrom konnte diese defizitäre Ansicht so nicht bestätigt werden. Eine Untersuchung zur Empathiefähigkeit bei ASS von Dziobek und Kollegen (2008) zeigte, dass zwei verschiedene Anteile der Empathie unterschieden werden müssen. In der Regel haben Personen mit ASS Schwierigkeiten, bei anderen Emotionen zu erkennen. Sie haben dagegen häufig weniger Schwierigkeiten, empathisch zu sein und mitfühlend darauf zu reagieren, sobald sie die Emotion einer anderen Person identifiziert haben. Daher wird die Empathie bei Dziobek und Kollegen in eine kognitive (hier haben Personen mit ASS Schwierigkeiten) und eine emotionale Empathie (wenig bis keine Schwierigkeiten) unterteilt. In der in Freiburg stattfindenden Gruppentherapie für Personen mit ASS konnte festgestellt werden, dass von Teilnehmern berichtete Gefühle wie Trauer, Wut, Angst, etc. von den anderen Gruppenteilnehmern empathisch aufgenommen und einfühlsam kommentiert wurden. Dieses Mitfühlen ist jedoch für eine neurotypische Person kaum direkt erkennbar. Ein weiterer bedeutsamer Unterschied bei Personen mit ASS ist das Nichtvorhandensein oder die Einschränkung und Gleichförmigkeit der Gesichtsmimik sowie der fehlende Blickkontakt. Dies lässt neurotypische Personen häufig den falschen Schluss ziehen, dass eine Person mit ASS nicht empathisch wäre. Zwar fehlen oft die äußeren Anzeichen in Mimik und Gestik, aber auf Nachfrage lässt sich dennoch zeigen, dass empathische Reaktionen vorhanden sind. Aus diesem Grund ist die Einschätzung, dass Personen mit ASS nicht empathisch seien, als falsch zu werten, da es sich entweder um die Schwierigkeit handelt, die Emotionen des Interaktionspartners zu interpretieren (kognitive Empathie) oder aber für das neurotypische Gegenüber nicht die richtigen Signale gesendet werden. Im letzteren Fall kommt es dann aufseiten der neurotypischen Person häufig aufgrund der fehlenden mimischen Informationen zu einer Fehlinterpretation.

Ein weiterer verwandter Begriff ist der der Alexithymie. Dabei handelt es sich nicht um ein ASS-spezifisches Konzept. Allgemein wird darunter die Schwierigkeit verstanden, Gefühle zu identifizieren und zu beschreiben. Der „kognitive Stil“ der Personen ist eher konkret und basiert stark auf der Realität, d.h. dass Fantasiegeschichten eher uninteressant sind und die eigene Fantasie insgesamt weniger stark ausgeprägt ist. Weiter wird beschrieben, dass Personen mit Alexithymie weniger empathisch sind und weniger die eigenen Emotionen reflektieren (Vorst u. Bermond 2001). Beim Bermond-Vorst-Alexithymie-Fragebogen (BVAQ) wird zwischen zwei Arten der Alexithymie unterschieden.

Alexithymie I bezeichnet eine niedrige bewusste Wahrnehmung der emotionalen Erregung und eine geringe Fähigkeit, diese Erregungen kognitiv als ein bestimmtes Gefühl zu interpretieren.

Alexithymie II bezeichnet dagegen einen normalen oder hohen Grad an bewusster Wahrnehmung der emotionalen Erregung, jedoch mit ebenfalls geringer Fähigkeit, diese Erregungen kognitiv als ein bestimmtes Gefühl zu interpretieren.

Ähnlich werden die beiden Dimensionen der Alexithymie mit dem TAS-26 (Kupfer et al. 2001) gemessen. Hier werden die Dimensionen mit „Schwierigkeiten bei der Identifikation von Gefühlen“ und „Schwierigkeiten bei der Beschreibung von Gefühlen“ beschrieben. Im Gegensatz zum BVAQ ist der TAS-26 für den deutschen Sprachraum ab dem 14. Lebensjahr normiert. Berthoz und Hill (2005) fanden in ihrer Untersuchung ein höheres alexithymes Verhalten bei Personen mit ASS im Vergleich zu einer typisch entwickelten Gruppe. Es zeigten sich eher Schwierigkeiten bei der Interpretation emotionaler Erregungen, die emotionalen Erregungen wurden jedoch wahrgenommen (Alexithymie II). Dieser Befund weist Parallelen zu den Schwierigkeiten der weiter oben behandelten Empathie auf, denn wie oben beschrieben liegt die Schwierigkeit nicht per se im „mitfühlend empathisch sein“, sondern in der Interpretation der Gefühle anderer.

Autismus-Spektrum-Störungen im Erwachsenenalter

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