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Pferd und Mensch

Wenn wir mit unserem Pferd arbeiten, senden wir ihm eine Menge Signale. Training findet immer statt [56], und nicht nur, wenn wir gerade beschließen, dass unser Pferd jetzt etwas lernen soll. Doch wie findet unser Pferd das Training? Wie motivieren wir es dazu, unsere Kommunikation zu erwidern? Dies erfordert Kenntnisse darüber, wie Pferde kommunizieren und wie sie empfinden. Darüber, wie Pferde fühlen, gibt es eine Menge Daten. Es gibt eine große Zahl von Wahlversuchen, die belegen, welche Trainingsart welche Emotion beim Pferd erzeugt. Als Reiter ehrlich darüber zu sprechen ist nicht ganz einfach. Was, wenn Rosalie klar wird, dass Alfie die Zusammenarbeit gar nicht solchen Spaß macht, wie ihr selbst? Sie setzt doch nur wenig Druck ein, und nach getaner Arbeit gibt es Futter, das muss Alfie doch gefallen?

Mein Pferd hat Freude an der Arbeit – oder?

Wir wollen unsere Pferde so oft wie möglich gesund bewegen, beschäftigen und Kondition und Muskulatur aufbauen. Das Training soll unser Pferd lange fit halten. Aber wie fühlt sich das Pferd dabei? Wie du weißt, ruft bei positiver Verstärkung die Belohnung beim Pferd Freude hervor. Negative Verstärkung, bei der etwas Unangenehmes (z. B. Druck) hinzugefügt und wieder entfernt wird, schafft dem Pferd Erleichterung, mehr aber auch nicht. Freude und Erleichterung sind nicht dasselbe. Der Unterschied ist, dass sich die Emotionen des Pferdes bei negativer Verstärkung immer nur zwischen „unangenehm“ und „erleichtert“ befinden (Abb. S. 52 unten). Bei der positiven Verstärkung sind sie neutral bis angenehm, denn es passiert entweder nichts oder etwas Gutes. Wer von Druck und Nachgeben zu Erklären und Belohnen wechselt, kann nach einer Weile den Übergang zur positiven Emotion an seinem Pferd deutlich sehen. Die Ohren gespitzt, ein erwartungsvoller Gesichtsausdruck, vielleicht sogar ein freudiges Brummeln, und ein Pferd, das gar nicht mehr aufhören will? Diese Attribute sehen wir bei belohnungsbasierter Arbeit. Wir tragen also Verantwortung für die Gefühlswelt unseres Pferdes, je nachdem, welches Training wir betreiben.

MUSS ICH CHEF SEIN?

Weltweit kommt Druck in der täglichen Arbeit mit dem Pferd mit großer Selbstverständlichkeit zum Einsatz. Um Begriffe wie „Dominanz“, „Leittier“ und „Respekt“ kreisen viele Mythen. Die Wissenschaft zeigt jedoch: Das Konzept von Dominanz und Respekt ist total veraltet. Schauen wir es uns genauer an.

Speziell im Bereich des Horsemanship1 bestehen viele Lektionen vornehmlich daraus, dass das Pferd mittels Drohgesten von A nach B getrieben wird. Das Ganze so lange, bis das Pferd beginnt, vorherzusehen, was der Mensch von ihm will, und daher schneller reagiert. Nichts anderes als negative Verstärkung also. Oder das Pferd wird so lange gestresst, bis dessen Stressreaktion, z. B. das Rennen in einem Roundpen, allmählich abebbt. Reaktionen wie das Langsamerwerden des Pferdes, Hinwenden oder Kauen werden oft emotional fehlinterpretiert: „Jetzt haben wir eine Verbindung!“ Gerechtfertigt wird diese Methode vielfach durch Herdenverhalten, und unter der Annahme, dass Pferde nur die dominante „Sprache“ verstehen. Eine Studie untersuchte die bei vielen Horsemanship-Trainern übliche Roundpen-Technik, bei der das Pferd im Kreis getrieben wird, bis es leckt, kaut und sich zum Trainer dreht, um diesem schließlich zu folgen. Was viele für eine Unterwerfungsgeste oder für das Herstellen einer Verbindung halten, ist in Wirklichkeit antrainiert: Das Jagen im Kreis ist stressig für Pferde. Sie lernen, dass der Stress aufhört, wenn sie die gewünschten Reaktionen zeigen. Pferde kauen, um sich zu entstressen, und sie entdecken ziemlich schnell, dass der Mensch in der Mitte den Druck nachlässt, wenn sie kauen oder sich zur Mitte drehen. Wiederholt man das Roundpen-Prozedere, stellt sich der Effekt, dass das Pferd dem Trainer hinterherläuft, mit der Zeit schneller ein. Doch die Verbindung zum Menschen wird überhaupt nicht besser: Auch wenn im Roundpen schließlich gefolgt wird, auf der Weide folgen die Pferde demselben Trainer nicht [60].

Druckmachen versus Futterbelohnung: Emotionen


Aversives Verhalten des Menschen gegenüber dem Pferd

RESPEKT UND LEITPFERDE

Respekt haben bedeutet, dass ein Individuum ein anderes wertschätzt, für seine Fähigkeiten bewundert oder besonders achtet. In der Pferdewelt fällt das Wort häufig. Man hört, der Mensch müsse das Leittier für sein Pferd sein, um erfolgreich eine Beziehung herzustellen. Muss er das?

Auch wenn die Wahrheit schmerzt: Der Respekt des Pferdes vor dem Menschen ist eine menschliche Wunschvorstellung oder, schlimmstenfalls, ein Synonym für: „Mein Pferd hat ein bisschen Angst vor mir.“ Ein Übersichtsartikel über die Rolle von Lerntheorie und Verhaltenslehre in der Arbeit mit Pferden [61] trifft den Nagel auf den Kopf: „In der wissenschaftlichen Literatur gibt es keinen Hinweis darauf, dass dieses Leittier-Phänomen existiert.“ Die Idee vom menschlichen Leittier ist also eine Menschenfantasie, wie du gleich sehen wirst.


Aversives Verhalten von Pferd zu Pferd

Beobachtungen an Pferden in freier Wildbahn geben Aufschluss. Seitdem bekannt wurde, dass auch das Przewalski-Pferd kein echtes Wildpferd ist2 [62], müssen wir uns bei der Beobachtung von wild lebenden Pferden mit der Tatsache abfinden, dass es sich um Nachkommen domestizierter Pferde handelt. Echte Wildpferde stehen leider nicht mehr zur Verfügung. Französische Wissenschaftler beobachteten Gruppen halb wild lebender Przewalski-Pferde [63]. Überraschend zeigte sich, dass das Konzept des Leitpferdes offenbar gar nicht existiert. Es konnte kein Pferd in der Herde ausgemacht werden, das alleinige Leitpferde-Eigenschaften hatte. Vielmehr entsprang etwa ein Aufbruch der Herde einer „Gruppenentscheidung“. Ein Beobachter wild lebender Pferde in den Pryor Mountains (USA) fand heraus, dass Stuten unterschiedlichen Ranges sowie dominante Hengste ihre Gruppen von Ort zu Ort führten [65]. Auch unter 300 ausgewilderten New Forest Ponys zeigte sich, dass jedes Individuum der Gruppen, auch Jungtiere, die Herdenbewegung auslösen konnte [66]. Es gibt also nicht nachweislich eine „alte Leitstute, die die Herde zu neuen Plätzen führt“, wie es oft heißt. Die Beobachter der französischen Przewalskis merkten an: „Wir stellen das Konzept des Vorhandenseins eines Leitpferds infrage, auch wenn dies die vorherrschende Ansicht ist.“ Die Wissenschaft kann also die Vorstellung, dass Pferde feste Leittiere haben oder brauchen, nicht untermauern. Im Gegenteil.

DOMINANZ UND RANG

Pferde, die in einer Gruppe leben, haben eine soziale Hierarchie, die davon bestimmt wird, wie sich die Mitglieder zueinander verhalten. Hier gibt es nicht immer Sonnenschein: Durch agonistisches Verhalten wie Drohen oder Kämpfen, wirkt ein Pferd auf ein anderes ein, sodass eine gewisse Ordnung in der Gruppe entsteht, in der einige Pferde anderen überlegen sind. Das überlegene Pferd erwirkt einen höheren sozialen Status in der Gruppe. Dies ist die Dominanz. Häufig geht es dabei um wichtige Ressourcen wie Futter, Wasser oder Schattenplätze. Zwar fechten Hengste untereinander Rangkämpfe aus, der Gewinner deckt jedoch nicht alle Stuten allein. Solche Hengste gehen nicht häufiger an der Spitze der Herde als andere Mitglieder [63]. Sie sind also dominant, aber keine Leittiere. Wild lebende Pferde sind, anders als wilde Esel oder Zebrahengste, nicht territorial [65] [67]. Zwar hütet der dominante Hengst sein Stutengrüppchen, verteidigt aber kein bestimmtes geografisches Areal, wie es Hunde, Buntbarsche oder Menschen tun würden. Pferde haben ein anderes Konzept vom persönlichem Abstand zum Nächsten (soziale Distanz) als wir Menschen [68], weil ihnen Revierverhalten fremd ist. Zwei Pferde, die sich gut leiden können, halten sich häufig dicht beieinander auf. So dicht, dass sie „ihrem“ Menschen dabei schon fast auf die Füße treten würden. Pferde haben also ein anderes Verständnis von „mein Tanzbereich, dein Tanzbereich“, was während unserer Zusammenarbeit zu Missverständnissen führen kann. Ist das Pferd dir sehr nahe, ist es also nicht etwa respektlos, sondern hat eine andere soziale Distanz als du. Wenn du willst, dass dein Pferd mehr Abstand zu dir hält, kannst du ihm das ganz einfach antrainieren: Du belohnst das Pferd, wenn es in dem Abstand, den du forderst, stehen bleibt oder sich rückwärts und seitwärts rangieren lässt.


Pferde sind so freundlich, mit uns zu arbeiten. Doch ihre Leittiere sind wir nicht.

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