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Natürlich spielen Sicherheitsaspekte in der Arbeit mit Pferden eine große Rolle. Selbstverständlich bestimmt ein Mensch, der mit einem Pferd arbeitet, das Tempo und die Richtung, doch dies kann man auch ohne Dauerdruck tun. Sicher im Umgang wird ein Lebewesen dann, wenn es konsequent lernt, welchen Effekt sein Verhalten hat. Dies kann es durch angenehme oder unangenehme Stimuli lernen.

Negative Verstärkung ist kein Garant für ein sicheres Pferd. Eine Studie zu Unfallstatistiken bei Reitern kam u. a. zu dem Schluss, dass sich Unfälle vermeiden lassen, indem das Pferd nicht in Angst versetzt wird und der Reiter überprüft, ob das Pferd seinen Anforderungen gewachsen ist [71]. Ein Pferd ist dann sicher, wenn es zuverlässig unsere Anweisungen befolgt.

Viel verlangt: „Bitte nicht auf den Gurt reagieren“ (blaue Zone), „bitte sofort auf den Schenkel reagieren“ (orange Zone)

HILFENGEBUNG: WAS MACHEN WIR DA EIGENTLICH?

Wie Pferde Training wahrnehmen, lässt sich leicht erforschen. Wer sich tiergerechte Ausbildung wünscht, kommt nicht drumherum, Equipment und Trainingsmethoden zu hinterfragen.

Im Pferdesport spielen Dogmen eine große Rolle. Ob Pferde eingedeckt [90] oder einbandagiert [91] [92] [93] [94] werden sollen, welche Reitweise gewählt wird oder wie viel Arbeit ein Jungpferd angeblich leisten können muss: Hier ist alte Überlieferung häufig schneller zur Hand als neues Wissen. Zeit, genauer hinzusehen. Du weißt bereits, was positive und negative Verstärkung ist, wodurch sie funktioniert und wie man sie gezielt einsetzt. Damit hast du der übrigen Mitreiterschaft einiges voraus: Unter 200 australischen Reitlehrern stuften etwa 80 Prozent positive Verstärkung zwar als „sehr nützlich“ ein, aber nur knapp drei Prozent konnten erklären, wie man sie anwendet.

Matthias und Sandra geben nach


„Bitte“: Sandra übt geringen Zug aus. „Mach es!“: Als nichts passiert, geht sie zu stärkerem Zug über. Matthias spielt das Pferd, das auf das Anstehen der Zügel nachgibt. Sofort lässt Sandra ihren „Zügelzug“ nach: „Danke“.

Nelly und Mareike geben nach


Nelly zeigt das Nachgeben am Ledergebiss. Oben: „Bitte“, leichtes Annehmen der Zügel. Mitte: „Mach es!“, stärkeres Annehmen. Nelly gibt nach. Unten: „Danke“, deutliches Nachgeben der Hand. Ziel ist, hauptsächlich mit „Bitte“ und „Danke“ zu reiten.

Obwohl es ihr täglich Brot darstellt, fanden nur 20 Prozent die negative Verstärkung „sehr nützlich“. Beschreiben konnten allerdings nur zwölf Prozent, was das ist. Gleichzeitig gaben aber 80 Prozent der Befragten an, Druck und Nachgeben sei ihr effektivstes Mittel im Pferdetraining [16]. Das Bewusstsein über die eigene Arbeitstechnik der Reitlehrer war also stark verbesserungswürdig. Negative Verstärkung ist Teil der Reiterei. Zu behaupten, sie wäre nicht da, ist gar nicht nötig.

Jungpferde sollen auf den Gurt möglichst nicht reagieren (Desensibilisierung). Später, beim Reiten, soll das Pferd fein auf Schenkelhilfen reagieren (Sensibilisierung). Das ist viel verlangt (Abb. S. 57): Das Hautareal des Pferdes, an dem unsere Schenkel liegen, ist in etwa so empfindlich wie die menschliche Handfläche [67]. Zu Recht ist das Maß an Druck oder Zug ein Quell ständiger Verwirrung in der Reiterei [36]. Ein bisschen Beinkontakt braucht der Reiter, um nicht seitlich vom Pferd zu fallen. Wer aber seinen Schenkel im Dauerdruck hält, erzeugt eine Habituation, das Pferd gewöhnt sich an das, was das Bein da macht, und das führt dazu, dass die Schenkelhilfen weniger „durchkommen“. Reagiert ein Pferd nicht auf den Schenkel, hat ihm jemand diese Reaktion abtrainiert. Sandra, Matthias, Nelly und Mareike zeigen uns, wie negative Verstärkung korrekt angewendet wird.

EQUIPMENT CHECKEN

Als tierschutzbewusster Reiter sollte man regelmäßig überprüfen, ob das Equipment eigentlich dem Wohl des Pferdes dient.

Der Sperrriemen, ein überaus populärer Ausrüstungsgegenstand, schließt das Maul des Pferdes vor dem Gebiss (Abb. oben rechts), entspricht also der Definition eines Knebels. Er arretiert das Gebiss fest im Maul, und wegen seines tiefen Sitzes behindert er oftmals die Atmung, Kautätigkeit und den Abfluss des Speichels. Auf diese Art kann er zum Stressor werden [13]. Maul und Zunge des Pferdes sind äußerst sensibel [18]. Doch auch Zäumungen, die nur auf die Nase wirken, sind mit Bedacht einzusetzen: Wird ein Nasenriemen so eng geschnallt, dass nur knapp ein Finger darunter passt, statt der empfohlenen zwei, oder gar enger, entsteht beim Kauen ein Druck unter dem Riemen, der das Potenzial hat, Gewebeschäden am Nasenrücken zu erzeugen [98]. Das gilt natürlich für alle Nasenriemen. Eine Untersuchung 750 internationaler Turnierritte zeigte, dass nicht einmal 10 Prozent der Nasenriemen zwei Finger breit Platz ließen [99]. Ist er so eng, dass das Pferd nicht mehr lecken, kauen oder gähnen kann, entsteht deutlicher Stress, der sich in einer erhöhten Herzfrequenz äußert [100].

Auch Hebelgebisse gehören unter die Lupe genommen. Bereits ein einfaches Gebiss ohne Hebel ist für das Pferd, je nach Einwirkungsgrad, unangenehm bis schmerzhaft [18]. Kandaren wirken stärker ein: Stange und Kinnkette wirken als Hebel, die auf Zunge und die Unterkieferäste drücken. Was der Reiter als wenig Aufwand am Zügel empfindet, ist tatsächlich erhöhte Schmerzhaftigkeit im Pferdemaul [13]. Die Gründe für die Nutzung der Kandare sind vielfältig. Die „Verfeinerung der Hilfengebung“ wird meist als Ziel genannt. Durch eine Hebelwirkung den Druck auf das Maul zu erhöhen ist eigentlich keine Verfeinerung. Es sieht nur von außen feiner aus. Wird ein Pferd an die Kandare gewöhnt, beobachtet man meist initial Maulöffnen, verstärktes Kauen oder gar Kopfschütteln. Zeichen reduzierten Komforts also. Mittels Kandare muss der Reiter weniger Zug einsetzen, um dieselbe Einwirkung auf das Pferdemaul zu erzielen. Das ist die Physik hinter der Hebelwirkung und der Grund, weshalb die Kandare er funden wurde. Eine echte „Verfeinerung“ der Hilfengebung liegt dann vor, wenn man tatsächlich weniger Zug auf das Maul ausüben muss und das Pferd trotzdem gut reagiert. Diesen Zustand kann man mit dem Clicker erarbeiten.

Wieso diskutieren wir über Equipment?

Wir wollen pferdefreundlich arbeiten und bei der Zusammenarbeit darauf verzichten, unseren Pferden Schmerzen zuzufügen oder Unannehmlichkeiten zu bereiten. Hat man sich einmal bewusst gemacht, welche Wirkung manche Ausrüstungsgegenstände haben, lässt sich vieles Unangenehme durch eine pferdefreundlichere Alternative ersetzen (Abb. S. 61 links). Konkret heißt das: Sperrriemen raus, Nasenriemen locker, keine Trensenverschnallung vor dem Gebiss, weiche Gebisse ohne Hebel.


Nelly springt ohne Kopfstück.

Flexible Alternative: Merothisches Ledergebiss. Der Kinnriemen wird locker verschnallt. Er verhindert, dass das Gebiss, welches gerade auf der Zunge aufliegt, sich dreht.

EINE ECHTE BINDUNG MIT DEM PFERD

Eine Bindung ist eine starke, persönliche Beziehung, z. B. über sozialen und physischen Kontakt. Das Herstellen einer Verbindung zu jemandem nennt man auch Bonding. Folgendes trägt dazu bei, seine Beziehung zum Pferd zu verbessern:

• Futter. Definitiv. Pferde sind normalerweise ganztags damit beschäftigt, große Mengen Gras oder Heu in Körperenergie umzuwandeln. Energiereiche Nahrung ist ihnen sehr wertvoll. Deswegen ist die Gabe von Futter der Schlüssel zum Bonding [14]. Auch einfaches Grasenlassen ist dem Bonding [29] zuträglich. Haben Pferde die Wahl zwischen Gestreicheltwerden und Futter, wählen sie meist Letzteres [102].

• Training mit positiver Verstärkung. Wenn die Zusammenarbeit Freude auf beiden Seiten ermöglicht, steigt die positive Energie zwischen dir und deinem Pferd.

Auch das ist Bonding: Fuchsi soll eigentlich Seitengänge üben, muss sich jedoch erst mal wälzen, da ihr Fell juckt. Fuchsis Besitzer erfüllt ihr den Wunsch.

• Mal ein Nein vom Pferd akzeptieren. Freiwillige Arbeit eröffnet dem Pferd die Möglichkeit, gelegentlich Nein zu sagen. Wer eine echte Beziehung zu jemandem aufbauen will, akzeptiert auch dessen Nein (Abb. hier oben rechts). Vielleicht nicht immer, aber manchmal.

• Zeit miteinander verbringen. Wer sein Pferd in Ruhe in seinem Umfeld beobachtet, erfährt vieles über dessen Gewohnheiten. Dichtes Beisammenstehen (Abb. S. 62 unten) gehört zum Prozess, mit dem Pferde untereinander Beziehungen knüpfen [103]. Je länger Pferd und Mensch zusammen sind, desto stärker werden sie zu einer Einheit [104].

• Pro Pferd entscheiden. Dazu gehört auch, mit dem Reiten aufzuhören, wenn das Pferd mental oder körperlich erschöpft ist.

• Zusammen gehen. Gemeinsames Umherziehen gehört zu den Tätigkeiten verbundener Grüppchen von wild lebenden Pferden. Wer dieses „Trekking“ [22] imitieren möchte, geht ganz einfach mit dem Pferd spazieren.

• Gründliches Putzen mit einem Putzzeug, das das Pferd gern mag. Flächiges Reiben mit der Hand kann beruhigend wirken [105]. Zeigt das Pferd eine „Spiel-Lippe“, ist die Fellpflege besonders angenehm (Abb. hier rechts).

• Kontinuität. Wer heute respektvollen Umgang pflegt, morgen aber nur Zwang ausübt, wird nur zum Teilzeitfreund. Pferde bonden häufig mit Herdenmitgliedern ähnlichen Ranges. Wer sein Pferd oft dominiert, verringert die Wahrscheinlichkeit auf eine echte Verbindung.

• Sprache finden. Praktisch jeder, der mit dem Clickern anfängt, erlebt eine Wende in der Kommunikation. Wir Menschen werden bessere Beobachter und lernen, die Gesichtsausdrücke und Verhaltensweisen unserer Pferde zu lesen und zu verstehen. Den Pferden ist anzusehen, wie sehr sie sich freuen, dass wir ihre Sprache nicht mehr ignorieren. Es ist, als würde unser eigenes Pferd uns eine neue Zeichensprache beibringen.

„Spiel-Lippe“ und glückliches mandelförmiges Auge. Diesen Gesichtsausdruck durch Fellpflege oder durch gemeinsames Spiel hervorzurufen, stärkt die Bindung zum Pferd.

Miteinander Zeit verbringen verbindet.

1Ein „Horseman“ ist grundsätzlich erst einmal jede Person, die mit einem Pferd arbeitet. Der „Horseman“ ist eine uralte Wortschöpfung. Bereits James I. of England (1566–1625) soll angemerkt haben: „It becometh a Prince better than any other man to be a fair and good horseman“. Der erste Earl of Clare schrieb 1615 in einem Brief an seinen Sohn: “For what makes a good horseman, but the practise of many horses, […] and all parts of horsemanship.“ (Graham [Hrsg.] The Horse as Cultural Icon). Dennoch versteht man unter „Horsemanship“ heute oftmals die vom Westernstil geprägte Bodenarbeit.

2Mithilfe einer Genomanalyse zeigte sich, dass es sich beim Przewalski-Pferd um den verwilderten Nachkommen der Botai-Pferde handelt (Gaunitz et al 2018). Die Botai-Kultur entstand in der Kupfersteinzeit in Nordkasachstan und gilt als Wiege der Pferdedomestizierung.

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