Читать книгу Schüchterne und sozial ängstliche Kinder in der Schule - Группа авторов - Страница 27
Kognitive Faktoren
ОглавлениеDie kognitiven Merkmale sozial ängstlicher Kinder und Jugendlicher können als typisch bezeichnet werden und zielen vor allem auf Aspekte
• der subjektiven, verzerrten Wahrnehmung,
• der negativen, irrationalen Gedanken,
• der ungünstigen Kausalattributionen,
• der geringen Selbstwirksamkeitserwartung,
• dem negativen Selbstbild und
• der hohen Selbstaufmerksamkeit.
Die kognitiven Faktoren machen sich vor allem in den sozialen Situationen bzw. in vorweggenommenen sozialen Situationen bemerkbar. Wahrscheinlich bedingt durch die generell erhöhte soziale Ängstlichkeit sowie durch Erfahrungen in früheren sozialen Situationen sind die Wahrnehmung und Gedanken verzerrt. Zweideutige soziale Reize, auch neutrale Signale in einer sozialen Situation werden als bedrohlich wahrgenommen. Damit unterliegen sie einer subjektiven Interpretation und lösen Ängste aus.
Die Gedanken und Selbstgespräche sind negativ und kreisen immer wieder um Versagen, Abgelehnt-Werden sowie Scham- und Schuldgefühle. Nie sind es die ungünstigen Umstände oder andere Personen, wenn etwas nicht klappt, sondern man selbst schreibt sich die Schuld für ein nicht erfolgreiches Ereignis beziehungsweise Handeln zu.
Selbstzweifel und mangelnde Selbstwirksamkeitserwartungen spiegeln große Selbstwertprobleme und ein negatives Selbstbild wider. Dieses negative Selbstbild trägt entscheidend zur Aufrechterhaltung der sozialen Angst bei Kindern und Jugendlichen bei. Chapman et al. (2020) haben zur genaueren Einschätzung dieses Zusammenhangs einen systematischen Review angefertigt. Bei ihrer Recherche fanden sie neun Studien, die die Bedeutung des Selbstbildes für soziale Ängstlichkeit bestätigen und unterstreichen, wobei sich nur zwei Studien auf das Kindesalter bezogen.
Letztlich führt die Gesamtheit aller genannten negativen kognitiven Prozesse zu einer erhöhten Selbstaufmerksamkeit, die von der eigentlichen Aufgabe oder von der Konzentration auf eine soziale Situation ablenkt. Die hohe Selbstaufmerksamkeit verstärkt wiederum die verschiedenen ungünstigen kognitiven Prozesse. Zudem führt die erhöhte Selbstaufmerksamkeit auch dazu, dass die autonomen Körperreaktionen (wie beispielsweise Erröten, Schwitzen, pochendes Herz) bewusst wahrgenommen werden (Clark & Wells, 1995). Das Registrieren der erhöhten körperlichen Erregung verstärkt wiederum diese sympathische Aktivität. Die erhöhte Selbstaufmerksamkeit führt also insgesamt dazu, dass verzerrte Wahrnehmungen, irrationale Gedanken und negative interne Kausalattributionen von einem ängstlichen Kind und Jugendlichen nicht unter Kontrolle gebracht werden können. Damit verringern sich über die Zeit die Selbstwirksamkeitserwartungen weiter. Innere Sätze wie »das lerne ich nie; das kann ich sowieso nicht; das schaffe ich nicht; ich bin nicht so schlau wie die anderen; ich bin nicht so mutig wie die anderen« sind für diese Kinder und Jugendlichen typisch wie auch das Selbstbild prägend (Petermann & Petermann, 2015).
Neben der mehrfach geteilten Aufmerksamkeit, also zum einen negative Gedankenkaskade, zum anderen Spüren der körperlichen Veränderungen und drittens dem Versuch, sich auf die Situations- und/oder Aufgabenbewältigung zu konzentrieren, erschwert der Anstieg des Noradrenalinspiegels die zentralnervöse Informationsübertragung, so dass es zu Denk- und Handlungsblockaden kommt, erkennbar an Blackout, Erstarren und großer Passivität (Petermann & Suhr-Dachs, 2013; Poole & Schmidt, 2020).
Bei den kognitiven Prozessen sind Alterseffekte feststellbar, und zwar bezogen auf die Selbstgesprächsinhalte, die häufig um das Thema Zutrauen in die eigenen Kompetenzen kreisen. Erst die älteren Kinder, etwa ab Grundschulalter, und erst recht die Jugendlichen führen bei bevorstehenden und während sozialer Situationen negative Selbstgespräche. Die Inhalte haben niedrige Erwartungen an ihre eigene Leistung zum Thema, und die Kinder und Jugendlichen bewerten ihre Kompetenzen auch schlechter, nach dem Motto: Das war doch nichts Besonderes!