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Mehr als 120 Jahre sind nun vergangen, seitdem Emil Kraeplin eine Gruppe von affektiven Erkrankungen en detail beschrieb, die wir heute als bipolare (manisch-depressive) Störungen bezeichnen. Kraepelins präzise Beschreibung der Krankheitsphänomene und deren Verlauf über die Lebensjahre besitzen im Wesentlichen nach wie vor heute ihre Gültigkeit. Die wissenschaftliche Erforschung der bipolaren Erkrankung wurde durch die bahnbrechenden Arbeiten Kraepelins zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwar früh stimuliert, dennoch bestehen immer noch beträchtliche Wissensdefizite in der Diagnostik, Ätiologie, Pathogenese und Behandlung dieser schwerwiegenden und in aller Regel lebenslang bestehenden psychiatrischen Erkrankung.

Große epidemiologische Studien aus den USA und Europa fanden eine Prävalenz von 2,4–5,2 % bipolare Erkrankungen in der Bevölkerung, hingegen 18–23 % reine, unipolare Depressionen. Was sagen uns die Daten aus neuen epidemiologischen und klinischen Studien? Die Grenzen zwischen Depressionen und bipolaren Störungen sind fließend: jede Depression bleibt in der Diagnose unsicher und kann am Ende jeder weiteren Phase in Bipolarität kippen. Dieses Risiko bleibt mit steigendem Lebensalter konstant und beträgt ca. 1,25 % pro Lebensjahr. In neuen Analysen großer epidemiologischer Studien wurden hypomanische Syndrome unter der diagnostischen Schwelle in ca. 40 % der Major Depressionen identifiziert. Diese Ergebnisse stammen aus der deutschen EDSP-Studie und aus der NCS-R-Studie in den USA. Depressive Menschen mit unterschwelliger Bipolarität unterscheiden sich statistisch hoch signifikant von den rein Depressiven und zeigen eindeutig ein Validierungsprofil von bipolaren Störungen: positive Familienanamnese, früherer Krankheitsbeginn, höhere Periodizität, bessere Remission zwischen den Phasen, höhere Saisonalität und vor allem eine viel höhere Komorbidität mit Angsterkrankungen, Substanzmissbrauch jeder Art sowie höhere Resistenz gegenüber Antidepressiva. Die internationale Bridge-Studie hat aufgezeigt, dass diese versteckten, unterschwelligen bipolar Depressiven ein weltweites Problem bilden. Sie hat auch erneut aufgewiesen, dass Hypomanien, welche unter Antidepressiva auftreten, einer echten Bipolarität zuzuschreiben sind.

Die präzise und frühe, rechtzeitige Diagnostik ist von besonderer Bedeutung, da auch heute noch viele bipolare Erkrankungen nicht nur mit einer Verspätung von vielen Jahren als solche diagnostiziert werden, während derer sie als Depressionen gelten, sondern in ihrer Häufigkeit, die zwischen 40–50 % aller affektiven Störungen liegt, gewaltig unterschätzt werden. Die Früherkennung der Bipolarität hat schließlich auch eine große Bedeutung für die Prävention in der Jugend (Schulversagen, Delinquenz, Sucht, Adipositas) und im Alter für die Prävention gegen Demenz, welche gehäuft vorkommt und durch Lithium vermutlich reduziert werden kann. Fragebögen zur Selbstbeurteilung der Hypomanie können hierbei diagnostisch hilfreich und zeitsparend sein.

Das »Praxishandbuch Bipolare Störungen« gibt nicht nur Einblicke in bedeutende Fakten zur Epidemiologie, Ätiopathogenese und zu den Verlaufscharakteristika der Erkrankung, sondern bietet auch eine umfassende Übersicht der modernen pharmakologischen und psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten, wobei die Integration wissenschaftlich-methodischer und praktisch-klinischer Aspekte besonders gelungen ist. Das Buch ist von hoher Aktualität und wird daher allen Wissenschaftlern und besonders auch praktisch tätigen Ärzten, Psychologen und allen anderen Personen im Gesundheitswesen, die in ihrer Arbeit mit Patienten mit bipolaren Erkrankungen Kontakt haben, bestens dienen. Aber auch Betroffene und deren Angehörige werden bei der Lektüre wichtige Informationen gewinnen können, die Ihnen zur besseren Bewältigung der Erkrankung im Alltag wichtige Anregungen geben können.

Zürich, im Juni 2021

Prof. Dr. med. Dr. med. h.c. Jules Angst

Bipolare Störungen

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