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2. Antike politische Theorie: Anthropologie und Partizipation im besten Staat

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Einen unverzichtbaren wie in fast allen Belangen bedeutenden Bestandteil der antiken klassischen politischen Philosophie bildet das Denken des Aristoteles. Gleichwohl er an der grundlegenden Unterscheidung von Freien und Unfreien festhält. In Entwicklung und Darstellung seiner praktischen Philosophie behandelt er dennoch in scharfsinniger wie umsichtiger Art und Weise die „Philosophie der menschlichen Angelegenheiten“8, die eine untrennbare Symbiose von Ethik und Politik darstellt und dabei auch eine konkrete politische Anthropologie beinhaltet, ein politisches Menschenbild im weiteren Sinne,9 das im Laufe der Geschichte der Philosophie und des politischen Denkens viel Anklang aber auch Kritik erfahren hat. Die zentralen Grundlagen dieser politischen Anthropologie lassen sich in drei knappen Punkten darstellen:

(i) In seiner „Politik“ bestimmt Aristoteles den Menschen als ein Wesen, das von Natur aus ein politisches Leben lebt, im Altgriechischen als ein zôon politikon. Doch diese Bestimmung des Menschen als ein politisches Lebewesen sei, so Aristoteles, kein tatsächliches Alleinstellungsmerkmal des Menschen, zumal auch Bienen und andere Tiere (wie z. B. die Ameisen) seiner Beobachtung nach ihr Leben in politischer Art und Weise führen würden.10 Die Bestimmung des Menschen als zôon politikon bei Aristoteles ist also zuallererst einmal eine biologische Einsicht, die auf den Menschen und dessen Natur zwar ebenso zutrifft, jedoch nicht ausschließlich.

(ii) Erst die zweite politisch-anthropologische Definition des Aristoteles zeichnet den Menschen nun in besonderer Art und Weise aus. Denn der Mensch ist nicht nur zôon politikon, also ein politisches Lebewesen im weiteren Sinne, sondern darüber hinaus auch ein zôon logon echon – ein vernunft- und sprachbegabtes Lebewesen. Durch Sprache und Vernunft, so Aristoteles, sei der Mensch dazu in der Lage, sich „vom Guten und Schlechten, von Recht und Unrecht Vorstellungen zu machen“ und sich darüber untereinander mit anderen Menschen politisch auszutauschen und das Zusammenleben aus politischer Perspektive auf diese Weise zu gestalten.11 Erst in dieser Bestimmung liegt nach Aristoteles der Unterschied zwischen dem Menschen und den (anderen) Tieren begründet.

(iii) Die aristotelische politische Anthropologie verankert den Menschen und dessen Lebensführung also in einer politischen Lebensweise mit anderen Menschen. Der Mensch ist sowohl für das bloße (Über-)Leben als auch für das gute und gelingende Leben auf den Mitmenschen – in unterschiedlicher Art und Weise – unmittelbar angewiesen. Demnach ist der Mensch nicht nur zôon politikon wie auch andere Tiere, also von Natur aus politisch lebend, und auch nicht nur zôon logon echon, vernunft- und sprachbegabt, sondern darüber hinaus auch zôon koinonikon, ein „Gemeinschaftslebewesen“12, das den Bezug zum Mitmenschen braucht wie auch der Einzelne vom Rest der Gemeinschaft gebraucht wird. Ein formales oberflächliches (politisches) Nebeneinanderherleben, wie das unbekümmerte „Grasen auf derselben Weide“13 ist für das Leben des Menschen der aristotelischen politischen Anthropologie nach ausgeschlossen.

Eindringlich hält Aristoteles diese für alles Politische grundlegende Einsicht der unabdingbaren Gemeinschaftszugehörigkeit des Menschen inmitten der Entwicklung seiner politischen Anthropologie in der „Politik“ fest: Derjenige – einzelne Mensch –, der entweder nicht in der Lage dazu ist, an Formen von Gemeinschaft zu partizipieren oder der Gemeinschaft mit anderen Menschen aufgrund seiner individuellen Autarkie nicht bedarf, der sei erstens kein Teil des Staates (d. h. der Polis) und zweitens somit entweder ein (wildes) Tier oder aber ein Gott.14 Doch das wilde Tierhafte zum einen und das autarke Göttliche zum anderen träfen auf den Menschen und dessen Natur nicht zu, zumal dieser für sein Leben in vielen Belangen auf unterschiedliche Formen der Gemeinschaft angewiesen sei.

Aus ethisch-politischer Perspektive erfordert diese Gemeinschaftszugehörigkeit des Menschen aktives politisches Engagement und die Übernahme politischer Verantwortung durch den Bürger. Wie dieses Engagement aussehen kann, beschreibt Aristoteles – neben anderen Stellen in der „Philosophie der menschlichen Angelegenheiten“ – in „Politik“ VII und VIII, wo er seinen Staat nach bestem Ermessen entwickelt, die sogenannte „Polis nach Wunsch“.15 Ein Polis-Staatsentwurf auf dem Reißbrett. Im Zuge dieser ethisch-politischen Untersuchungen schreibt er einleitend über das seiner Ansicht nach erstrebenswerteste Leben des Bürgers innerhalb der politischen Gemeinschaft dieses Staats nach bestem Ermessen, das unweigerlich ethisch-politische Grundlagen beinhaltet.16

Auf der einen Seite spricht Aristoteles über die ethische wie politische Unverzichtbarkeit politischer Partizipation des Bürgers innerhalb der politischen Gemeinschaft, der politikê koinonia. In diesem Staatsentwurf ist die politische Partizipation des Bürgers bindend.17 Denn erst die Übernahme von Bürgerpflichten (z. B. militärische, administrative, politische, juristische, kultische) könne Bürgerrechte im engeren wie weiteren Verständnis mit sich bringen (z. B. subjektive Rechtsansprüche, freie Zeit, eigene Interessen, selbstverantwortete Lebensführung, individuelle Sinnerfüllung). Diese Zeit des unverzichtbaren wie geforderten politischen Engagements des Bürgers – sowie jene der individuellen Fürsorge bzw. Arbeit für die Haus- und Hofgemeinschaft – bezeichnet Aristoteles als eine Zeit der „Nichtmuße“ (ascholia), da es hierbei praktischer Tätigkeiten verlange, denen der Bürger unmittelbar nachzugehen habe. Alles ganz im Sinne von politischer Autarkie und politischer Autonomie der Polis.

Auf der anderen Seite jedoch handelt Aristoteles über die Zeit der „Muße“ (scholê) des freien Bürgers in „Politik“ VII und VIII. Es handelt sich dabei um die Zeit der individuellen sinnerfüllten Lebensgestaltung des Einzelnen, über die Politik und die politische Partizipation hinaus. In anderen Worten: Wer seinen politischen Bürgerpflichten in diesem aristotelischen „Staat nach bestem Ermessen“ nachkommt und diese Pflichten im Sinne der Gesetze und zum Wohle der Polis gewissen- wie tugendhaft erfülle, dem stehe – im weiteren Sinne – das Recht zu, sich mit Dingen zu beschäftigen, die über das Politische hinausgehen. Es handelt sich hierbei also im Grunde genommen um das etwaige Potenzial für eine individuelle Lebensgestaltung (Muße), die nach eigenem Dafürhalten bestimmt werden kann, allerdings erst im Anschluss an die Zeit der politischen Partizipation (Nichtmuße). Somit nur dann, wenn die Pflichten der politischen Belange vorab wahrgenommen wurden. Und für die Zeit der Muße empfiehlt Aristoteles dem Bürger eine umsichtige philosophische Auseinandersetzung und Bildung im Allgemeinen. Es ist nicht sehr weit hergeholt, an dieser Stelle zu bemerken, dass Aristoteles zumindest in den genannten Texten über eine Art Bildungsbürgertum nachdenkt.

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