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(iii) Gesellschaft
ОглавлениеInsbesondere Individualität und Mündigkeit bilden aus politisch-philosophischer Perspektive – neben vielen anderen Aspekten – zwei Grundbausteine des modernen Verständnisses der Gesellschaft im Kontrast zur antiken politischen Gemeinschaft. Damit ist auch offenkundig, dass es sich bei dem Vergleich von Bürgergemeinschaft mit Bürgergesellschaft nicht bloß um ein semantisches Projekt handelt. Dieser Vergleich zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft wurde bereits in der Soziologie des 19. Jahrhunderts zum Thema gemacht. Somit ist diese Entwicklungsthese keineswegs neu. Der Historiker Henry Sumner Maine handelt 1861 in seiner Schrift Ancient Law über die Entwicklung der politischen Gemeinschaft der Antike hin zur modernen Gesellschaft als eine Entwicklung „from status to contract“. In dieser Betrachtung als Entwicklung von der aristotelischen Bestimmung des Menschen als von Natur aus in Gemeinschaft lebend hin zum modernen Staatsverständnis in der Darstellung des Kontraktualismus, der staatlichen Vertragstheorien, beginnend mit Thomas Hobbes, der selbst an der politischen Anthropologie des Aristoteles im Leviathan Kritik geäußert hat.
Auf Henry Sumner Maine aufbauend hat der Soziologe Ferdinand Tönnies in seiner 1887 veröffentlichen Schrift Gemeinschaft und Gesellschaft diese beiden Ebenen in weiterer Form aus damaliger Perspektive soziologisch betrachtet und auseinanderdividiert. Er unterscheidet dabei den gemeinschaftlichen Wesenswillen (wenn vom Menschen bejaht; z. B. das Leben innerhalb der Gemeinschaft des Dorfs, im Sportverein oder in der Religion) vom gesellschaftlichen Kürwillen (wenn vom Menschen bejaht; z. B. die Teilhabe am öffentlichen Leben, an Formen politischer Partizipation oder die Teilhabe an einer Aktiengesellschaft). Der Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft liege, nach Ferdinand Tönnies, nun darin, dass die Gemeinschaft auf der einen Seite sich selbst genügt, aus freien Stücken heraus gewählt werden kann, und auf der anderen Seite die Gesellschaft als individuell anwendbares Instrument betrachtet wird, das der Mensch zur Anwendung bringen kann oder aber auch nicht.
Zusammengefasst: Individualität wie Mündigkeit – in welchem politisch-soziologischen Ausmaß und mit welchen (vielleicht auch negativen) Begleiterscheinungen auch immer – haben dazu beigetragen, dass der Mensch im Zuge seines individuellen wie mannigfaltigen Strebens nach „life, liberty and happiness“ an gesellschaftlichen Formen des Zusammenlebens und an der aktiven Mitgestaltung der politischen Gesellschaft teilnehmen kann oder aber auch nicht. Je nach eigenem, subjektivem Ermessen zum einen, und soweit es die staatlichen Gesetze zum anderen zulassen. Es steht dem Menschen heute prinzipiell frei, politisch zu partizipieren oder ein im engeren Sinne gänzlich unpolitisches Leben im modernen Verständnis zu führen und politische Partizipation in Anbetracht des eigenen Lebensmodells abzulehnen. Eine Tatsache, die in der Antike – hierbei wiederum mit dem Fokus auf Theorie und Praxis der klassischen Zeit – weder anthropologisch noch gemeinschaftspolitisch anerkannt gewesen ist.23