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2.4 Was wünschen sich unsere Patientinnen?
ОглавлениеEs stellte sich sehr rasch heraus, dass es nicht sinnvoll ist, Methoden, die unter anderen Voraussetzungen erarbeitet wurden, kritiklos 1 : 1 für die Arbeit mit alten Menschen zu übernehmen. Hochbetagte haben nicht nur Schmerzen und belastende körperliche Symptome, sie leiden auch an einer Vielzahl anderer, ebenso quälender Bedürfnisse. Es ist oft nicht einfach, diese Bedürfnisse in Erfahrung zu bringen, denn der überwiegende Teil der sehr alten Menschen trägt sein Herz nicht auf der Zunge: Ende des vorigen Jahrhunderts waren bereits 60–70 % bei der Aufnahme an Demenz erkrankt und häufig verwirrt. Heute ist dieser Prozentsatz noch deutlich höher. Vielen nehmen Krankheit und Schwäche die Möglichkeit sich mitzuteilen. Manche noch in der österreichisch-ungarischen Monarchie geborene »Altösterreicherinnen« vergaßen im hohen Alter die deutsche Sprache ganz und sprachen und verstanden nur mehr tschechisch oder ungarisch. Viele sahen und hörten so schlecht, dass die Verständigung mit ihnen aus diesem Grund zum Problem wurde. Andere kamen verängstigt, misstrauisch und in sich gekehrt und ließen sich nur zögernd von unserer Glaubwürdigkeit und unseren guten Absichten überzeugen.
Der erste und entscheidende Anspruch der Palliativen Geriatrie ist daher die Sicherstellung und kontinuierliche Verbesserung der Kommunikation! Ohne verlässlich gelingende Kommunikation sind fast alle anderen Bemühungen zum Scheitern verurteilt.
Besonders augenfällig wurde das Manko in der Verständigung dort, wo die hoffnungslos misslingende Kommunikation uns letztlich dazu veranlasste, wider jedes ethische Empfinden Zwangsmaßnahmen einzusetzen.
Vieles, was jeder Mensch für sich wünscht und beansprucht, ist so selbstverständlich, dass es gerade deshalb leicht übersehen wird. Wir alle brauchen für ein lebenswertes Leben Zuwendung, Wärme, Herzlichkeit, Anteilnahme und Mitgefühl. Wir alle können uns nur dann entfalten, wenn wir geschätzt und anerkannt werden. Niemand will übergangen, bevormundet, gezwungen werden. Es nimmt Hochbetagten den letzten Lebensmut, wenn andere immer besser zu wissen meinen, was für sie richtig ist und ihnen ihren Willen aufzuzwingen versuchen.
Demenzkranke können ihre Wünsche zwar nicht mehr formulieren, aber ihre Körpersprache und ihr Verhalten lehren uns, dass sie das Recht auf ihre Wirklichkeit für sich beanspruchen. Die Welt ist für jeden Menschen das, was er erlebt. Die Welt einer Demenzkranken wird sich in vielem nicht mit »unserer« Welt decken; dessen ungeachtet ist sie das, was sie erlebt. Menschen mit Demenz haben ebenso wie alle anderen das Recht auf ihre persönliche und individuelle Erlebniswelt. Sie sind weder »dumm« noch »wie unmündige Kinder«. Sie bearbeiten ihre persönlichen Lebensaufgaben in ihrer Weise, nur brauchen sie dazu mehr Hilfe von uns als andere alte Menschen. Auch wenn wir ihnen das oft nicht zutrauen: Demenzkranke verstehen es, die Haltung ihrer Betreuerinnen sehr rasch einzuschätzen. Sie spüren genau, ob wir uns ihnen von Herzen zuwenden oder ob sich unsere Freundlichkeit ablösen lässt wie eine Marke vom feucht gewordenen Briefumschlag.
Aber selbst dann, wenn wir nicht mehr wissen können, was Schwerkranke, schwer demenziell Veränderte, nicht mehr Ansprechbare sich in bestimmten Situationen wünschen, ist uns, wie Erich Loewy (1999–2001) immer wieder betont, vieles bekannt, was sie ganz bestimmt nicht wollen: Sie wollen keine Schmerzen haben, sich nicht ängstigen, nicht allein gelassen werden, nicht frieren, nicht unnötig durch Transporte oder Untersuchungen gequält werden … Bereits, wenn wir uns nur daran orientieren, lassen sich viele Fehlerquellen ausschalten.