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Оглавление3 Was lässt sich durch unseren Einsatz verbessern?
Marina Kojer
Unser vorrangiges Ziel ist das Erreichen der bestmöglichen Lebensqualität für jede Patientin. Ein sinnvolles Arbeitskonzept muss daher auf jeden Fall dazu beitragen, diesem Ziel näher zu kommen. Die gesteigerte Sensibilität für die Wünsche und Bedürfnisse schwerkranker und dementer Hochbetagter bereitet den Boden für Verbesserungen vor, reicht aber allein nicht aus, um grundlegende Veränderungen zu bewirken.
Unsere Aufgaben kommen aus vier großen Problemkreisen. Alle vier erfordern kreative Ideen und neue Konzepte:
1. Radikale Patientinnenorientierung,
2. Kommunikation und Zusammenarbeit im Team,
3. Kompetenzsteigerung der Mitarbeiterinnen,
4. Sichtbarmachen von Leistungen (Evaluierung).
3.1 Radikale Patientinnenorientierung
Sie bildet den entscheidenden Ansatzpunkt und das Herzstück unserer Arbeit. Unsere Vorstellungen und Konzepte dazu (Kommunikation, Schmerztherapie, palliative Pflege …) haben wir auf den vorhergehenden Seiten kurz vorgestellt. Die genauere Beschreibung dieser Konzepte und ihres Nutzens für die Lebensqualität unserer Patientinnen bilden den Hauptinhalt dieses Buches.
3.2 Kommunikation und Zusammenarbeit im Team
Krankenhäuser und Pflegeheime sind hierarchische Systeme. Das hat den Vorteil, dass Informationen schnell und sicher weitergegeben werden und somit nötige Reaktionen rasch erfolgen können. Die Verantwortungsbereiche Einzelner sind unmissverständlich abgesteckt und klar erkennbar. Der große Nachteil besteht darin, dass mehrere hierarchische Linien (z. B. Ärztinnen und Pflegepersonen) getrennt nebeneinander bestehen. Ihre Arbeit sollte ein Ganzes bilden, aber die Kommunikation zwischen den Linien bleibt oft dem Glück oder dem Zufall überlassen. Nicht selten ergibt sich daher der paradoxe Fall, dass Mitglieder verschiedener Berufsgruppen, die um dieselbe Patientin bemüht sind, einander widersprechende Konzepte verfolgen und sich nur schwer auf eine gemeinsame Strategie einigen können.
Ein entscheidender Nachteil hierarchischer Systeme ist auch ihre Einteilung in »oben« und »unten«. Diejenigen, die »oben« sind, haben das Sagen und die Macht, die »unten« haben dienstlichen Aufträgen zu gehorchen. Damit ist es für die »Basis« meist uninteressant, sich über das, was geschieht, eigene Gedanken zu machen. Wertvolle Ressourcen liegen brach: Jede, die – in welcher Funktion auch immer – mit Patientinnen zu tun hat, lernt sie dabei kennen, beobachtet manches und erfährt vieles, das möglicherweise nur sie allein wissen kann. Damit könnte jede einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg der ganzen Gruppe leisten. Wenn nur Befehlsgehorsam zählt, wird diese Möglichkeit im Keim erstickt.
In streng hierarchischen Systemen sind die Schwächsten immer am tiefsten »unten«. Die Schwächsten in einem Pflegeheim sind die hier betreuten Menschen. Die meisten von ihnen können sich nicht mehr wehren, sie sind daher häufig die Leidtragenden eines erstarrten Systems. Die Gefahr, dass sie zu Sündenböcken frustrierter Mitarbeiterinnen werden, ist nicht zu unterschätzen.
Diese Überlegungen haben uns dazu geführt, den »hierarchiefreien Raum « zu entwickeln und zu erproben, ein neues Modell der Kommunikation und der interprofessionellen Zusammenarbeit. Wir gehen dabei von folgenden Grundüberlegungen aus:
Wir wollen und können die Hierarchie nicht abschaffen, wir können aber geschützte Räume für unsere gemeinsame Arbeit definieren, innerhalb derer die Hierarchie außer Kraft gesetzt ist. Die Voraussetzungen dafür sind Respekt und gegenseitiges Vertrauen. Jedes Teammitglied wird in seiner Kompetenz anerkannt und übernimmt damit Verantwortung. Geht es darum, gemeinsam zu einer Entscheidung zu gelangen, gibt das bessere Argument den Ausschlag und nicht die Berufsgruppe der Sprecherin oder ihre Stellung in der Hierarchie ( Kap. 8.2).
3.3 Kompetenzsteigerung
Es reicht nicht aus, guten Willens zu sein, gute Vorsätze zu haben und gute Worte zu finden! Wir brauchten ein Fortbildungs- und Finanzierungskonzept, das uns gestattete, möglichst viele Mitarbeiterinnen aus- und weiterzubilden und erworbenes Wissen an andere Teammitglieder weiterzugeben.
Palliative Care
• Interdisziplinärer Palliativlehrgang der Kardinal-König-Akademie in Wien
• Wir konnten die Direktion dafür gewinnen, zwischen 1998 und 2000 14 multidisziplinären Mitarbeiterinnen (Ärztinnen, Stationsleitungen und Therapeutinnen) den Besuch des einjährigen Lehrgangs zu ermöglichen. Für diese wichtige Unterstützung waren wir sehr dankbar. Stationsleitungen und Ärztinnen gaben im Anschluss an die Ausbildung das erworbene Können und Wissen so gut wie möglich an ihre Teams weiter. Die Ausbildung weiterer Mitarbeiterinnen mussten wir selbst finanzieren. In der Zwischenzeit ging Susanne Pirker in Pension, zwei Stationsleitungen fanden neue Arbeitsplätze, ein Stationspfleger kündigte an, uns im kommenden Jahr zu verlassen. Um wenigstens das bisher Erreichte zu halten, mussten laufend neu hinzukommende Leitungspersonen ausgebildet werden. Planten wir eine Erhöhung der Kompetenz der Abteilung, musste die Zahl der Lehrgangsabsolventinnen mit der Zeit ansteigen. Jede Ausbildung kostete viel Geld. 3-Tages-Seminar Palliative Care
• Die Direktion bewilligte für unsere Mitarbeiterinnen jährlich ein im GZW abgehaltenes Seminar. Daran konnten jeweils maximal 18 Personen (drei pro Station) teilnehmen.
• Weitere Fortbildungsveranstaltungen
Zahlreiche wertvolle ein- und mehrtägige Seminare bot vor allem die Abteilung Palliative Care und Organisationsethik der IFF (Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universität Klagenfurt4) an. Auch sie mussten von uns bezahlt werden und kosteten viel Geld.
Validation
Die Zahl der an Demenz erkrankten Patientinnen nimmt mit den Jahren immer mehr zu. Nur wenn ausnahmslos alle Mitarbeiterinnen in der Lage sind, mit ihnen zu kommunizieren, können wir ihren Bedürfnissen tatsächlich gerecht werden. Das Erlernen der Validation nach Naomi Feil sollte daher für jede Mitarbeiterin ein Muss sein.1998, genau zum richtigen Zeitpunkt, wurde uns im Rahmen eines Pilotprojekts die kostenlose Ausbildung für ein gesamtes Stationsteam angeboten. Der Erfolg dieser Ausbildung war so verblüffend, dass sich sofort ein zweites Team für eine Ausbildung in Validation bewarb. Wir freuten uns sehr, als die Pflegedirektion die Finanzierung der Ausbildung für dieses Team übernahm. Unsere Abteilung bestand allerdings aus sechs Stationen.
Auch eine Teamausbildung löst die Probleme nicht endgültig: Immer wieder verließen uns ausgebildete Mitarbeiterinnen während andere ohne Ausbildung dazu kamen. Wir veranstalteten deshalb einen Nachschulungskurs in Validation für die neuen Mitarbeiterinnen bereits ausgebildeter Teams. Den Großteil des Unterrichts übernahm das Führungstrio der ersten ausgebildeten Station (Martina Schmidl, Ursula Gutenthaler, Magda Breitenwald); einige unverzichtbare professionelle Leistungen mussten wir zukaufen.
Basale Stimulation
Basale Stimulation eröffnet neue Wege der Kommunikation mit schwer Kontaktgestörten, seit langem Bettlägerigen, Schwerstkranken und Sterbenden. Die Ausbildung ist selbstverständlich für alle Berufsgruppen wichtig. An den vom GZW angebotenen Fortbildungen bestand vonseiten aller Abteilungen reges Interesse. Leider war die Anzahl der Kurse limitiert und es dauert lange, ehe man einen Platz bekam.
Im Herbst 2002 finanzierten wir erstmals selbst einen abteilungsinternen Ausbildungskurs für 20 Personen mit einer von uns gewählten hervorragenden Lehrerin. Ein zweiter Kurs wurde für das nächste Frühjahr eingeplant.
Aktivierende Pflege
Hauptanliegen der aktivierenden Pflege ist es, den Patientinnen zu mehr Selbstständigkeit und damit auch zu einer Zunahme von Lebensfreude und Lebensqualität zu verhelfen. Auch gebrechliche Hochbetagte sind froh darüber, nicht in allem und jedem auf Hilfe angewiesen zu sein. Es gelang die Ausbildung in aktivierender Pflege für drei unserer Teams zu finanzieren.
Weitere Fortbildungen
Erst mit der Zeit fanden wir heraus, welche weiteren Zusatzausbildungen für uns sinnvoll und nützlich waren. Die Kosten hierfür mussten von den Teilnehmenden selbst bezahlt werden. Ergänzend liefen seit Herbst 2002 hausinterne Fortbildungen zu unterschiedlichen Themen. Den größeren Teil gestalteten unsere Ärztinnen, Pflegenden und Therapeutinnen selbst; für einen Teil gelang es, kompetente Gäste zu gewinnen.
Supervision
Palliative Geriatrie stellt hohe Anforderungen an die seelische Kraft der Mitarbeiterinnen; tiefgreifende Konflikte führen nicht selten zu Zerreißproben für ein ganzes Team. Z. B. können ernsthafte Kommunikationsprobleme mit einer Mitarbeiterin oder zwischen Pflegeteam und Ärztin oder Therapeutin die positive Stimmung eines ganzen Teams zum Kippen bringen und schon Erreichtes gefährden, wenn das bestehende Problem nicht rechtzeitig aufgearbeitet wird. Zwei Stationen haben das vom Dienstgeber finanzierte Angebot der Supervision mit großem Nutzen wahrgenommen.
Finanzierung
Wie bereits erwähnt, gründeten wir im Dezember 1999 den gemeinnützigen unabhängigen »Verein der Freunde der Palliativen Geriatrie «. Zu diesem Zeitpunkt besaß niemand Vorerfahrungen in Fund raising. So begaben wir uns völlig blauäugig auf ein schwieriges Terrain. Es würde zu weit führen, unsere anfängliche Hilflosigkeit beim Akquirieren von Geld zu schildern. Für alle, die einen ähnlichen Weg planen, muss aber gesagt werden, dass das Problem der Finanzierung (z. B. von Zusatzausbildungen) nicht zu umgehen ist und von Anfang an einkalkuliert werden muss.
Heute kann sich niemand mehr darauf verlassen, dass Bund, Gemeinde oder Träger diese Kosten übernehmen. Geschieht es doch einmal, ist das eine angenehme Überraschung.
Was konnten wir tun, um dieses Problem zu lösen? Einige von uns spendeten immer wieder Honorare, die sie für ihre Vorträge bekamen. Alle Stationen verzichteten zugunsten des Vereins auf einen großen Teil der im Rahmen einer Studie verdienten Summe. Die Firma Mundipharma unterstützte uns mit einem Förderungsbeitrag. Das Rote Kreuz hatte Verwendung für unser Know-how und war bereit, als Gegenleistung Fortbildung für unsere Mitarbeiterinnen zu ermöglichen. Daneben flossen (in bescheidenem Rahmen) auch private Spenden ein. Auf diese Weise konnten wir zwar keine Wunder wirken, es gelang uns aber, etliche wichtige Ausbildungen (Palliative Care, Validation, Basale Stimulation) selbst zu finanzieren.
3.4 Sichtbarmachen von Leistungen
Es war erfreulich und befriedigend zu erkennen, dass es den Patientinnen mit der Zeit bei uns deutlich besser ging als noch wenige Jahre vorher. Es war auch schön, dass wir vonseiten der Angehörigen viel Lob bekamen und dass es kaum mehr Beschwerden gab. Wir fühlten uns bestätigt, wenn sich Besucherinnen und Praktikantinnen beeindruckt zeigten, die sich immer häufiger und zahlreicher für unsere Arbeitsweise interessierten. Es stellte sich aber dennoch immer deutlicher heraus, dass »Augenfälligkeit« allein nicht ausreicht, den Erfolg für Außenstehende erkennbar zu machen.
Als Erste von uns erkannte Martina Schmidl die Bedeutung objektivierbarer Messmethoden. Als sie gemeinsam mit ihrem Team begann, einen innovativen Denkansatz zur palliativen Betreuung hochbetagter Demenzkranker zu entwickeln und umzusetzen, wurde ihr die Dringlichkeit der schlüssigen Beweisführung deutlich bewusst. Daraus entstand schließlich die Idee zur Erstellung eines Instruments zur Messung der Lebensqualität demenzkranker alter Menschen ( Kap. 19).
In der Folge mussten wir wiederholt feststellen, dass unsere Erkenntnisse und Arbeitsansätze sich erst dann auf breiter Basis durchsetzen würden, wenn es uns gelänge, unsere Behauptungen hieb- und stichfest zu belegen. Es fehlten – und fehlen zum großen Teil bis jetzt – aussagekräftige Zahlen zur Schmerztherapie, Zahlen, die den Rückgang des Verbrauchs an Psychopharmaka und Schlafmitteln belegen, Zahlen zur Zufriedenheit der Angehörigen. Uns fehlten vorzeigbare Standards zu allen wesentlichen Handlungsabläufen. Die Palliative Geriatrie steckte noch in ihren Kinderschuhen. Wir lernten jeden Tag etwas Neues und erkannten so mit der Zeit immer deutlicher, was uns noch alles fehlt. Manches konnte in der Zwischenzeit an anderen Orten erarbeitet werden. Sehr viel fehlt leider auch heute noch.
4 Die Fakultät wurde 2018 von der Universität Klagenfurt aufgelöst.