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4 Unspektakuläre Fortschritte – ein Bericht Susanne Pirker, Michaela Zsifkovics Frau Franziska und ihre Familie

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Als Frau Franziska im Februar 2000 zu uns kam, war sie 88 Jahre alt und in sehr schlechtem Allgemeinzustand. Die auffallend kleine, sehr scheue Frau hatte das Gesicht eines gealterten Kindes. Eine schwere Verkrümmung ihrer Brustwirbelsäule, an der sie schon von klein auf gelitten hatte, ließ sie noch kleiner erscheinen als sie tatsächlich war. Frau Franziska verhielt sich von Anfang an sehr »angepasst« und sagte, um niemanden zu kränken, immer auf alles »ja«. Sie war sehr freundlich und lächelte jeden an, der zu ihr kam. Erst mit der Zeit fanden wir heraus, wie ängstlich sie war und dass ihr meist gar nicht froh zumute war.

Medizinisch bot sie laufend Grund zur Sorge. Sie befand sich auf einer kontinuierlichen Gratwanderung zwischen eben noch ausreichenden Organfunktionen und endgültigem Organversagen: Ihre schlechte Nierenleistung brachte sie wiederholt an den Rand des Zusammenbruchs, dazu kam noch ihre hohe Anfälligkeit für Harnwegsinfekte. Der Blutdruck war seit Jahren hoch, das Herz schon seit längerem sehr schwach und stets in Gefahr, endgültig zu versagen.

Alle liebten Frau Franziska von Anfang an. Ihre fast kindliche Erscheinung, ihre große Hilflosigkeit und ihr freundliches Wesen lösten in uns das Bedürfnis aus, sie wie ein geliebtes Baby zu behandeln, sie zu streicheln, zu verhätscheln, zu verwöhnen und ihr alle Entscheidungen abzunehmen. Frau Franziska wehrte sich nicht dagegen, wie ein Kleinkind behandelt zu werden, sie war für sich völlig anspruchslos und für jede Zuwendung dankbar. Wurde sie gefragt, ob sie mit einer Maßnahme einverstanden war, lächelte sie und sagte »ja«.

Mit der freundlichen alten Frau zog auch ihre Familie bei uns ein. Frau Franziska hatte nur ein Kind, einen Sohn. Zwischen den beiden bestand eine enge, wenn auch, wie sich herausstellte, recht zwiespältige Beziehung. Der Sohn war seit vielen Jahren Alkoholiker; er war beruflich als höherer Angestellter recht erfolgreich gewesen, musste aber dann wegen seines Alkoholproblems verfrüht in Pension gehen. Seine Frau trat bei uns nur selten in Erscheinung. Man spürte, dass sie viel im Leben mitgemacht hatte. Die Tochter des Ehepaars hatte eine sehr enge Beziehung zu ihrer Großmutter und kam häufig zu Besuch. Außerdem hatte Frau Franziska noch zwei Nichten, die sich intensiv um sie kümmerten. Die Familienmitglieder waren sich in ihrer Zuneigung zu Frau Franziska einig, darüber hinaus aber zerstritten. Jede wollte »das Beste« und versuchte, ihre Auffassung durchzusetzen. Die alte Frau wurde von allen bevormundet. Frau Franziska dankte jedem, lächelte und sagte, wenn sie doch einmal gefragt wurde, zu allem »ja«.

Das Pflegeteam hatte seine eigenen Vorstellungen davon, was für »seine« Patientin gut war. Im Team bestand Einigkeit darüber, dass man ihr alle unnötigen Belastungen aus dem Weg räumen musste. Sohn, Enkelin und Nichten waren dagegen überzeugt davon, dass nur sie wussten, wie ihre Mutter, Großmutter, Tante bei uns betreut werden sollte: Sie »musste« den ganzen Tag außerhalb des Bettes verbringen, »musste« ordentlich essen, »musste« endlich einmal auf den Tisch hauen, schimpfen, sich wehren und das einfordern, was ihre Familie für sie für richtig hielt. Ein Konflikt zwischen den beiden Gruppen schien von Anfang an vorprogrammiert. Daran, dass Frau Franziska, bei aller Hilflosigkeit, auch eigene Wünsche und Vorstellungen haben könnte, dachten erst einmal weder Familie noch Pflege.

Alt, krank und verwirrt

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