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Frau Franziska
ОглавлениеWir lernten ihr eigentliches Wesen erst nach und nach wirklich kennen: Sie war ihr ganzes Leben lang scheu, ängstlich und zurückhaltend gewesen. Ihr Kleinwuchs und ihre verkrümmte Wirbelsäule hatten ihre körperliche Leistungsfähigkeit von Anfang an reduziert und sie stets belastet und gekränkt. Da sie von Natur aus weich, sanft und freundlich war, hatte sie sich nie wirklich durchsetzen können und hatte sich, ohne zu versuchen, ihre eigenen Bedürfnisse einzufordern, dem Willen anderer gefügt. An diesem Verhaltensmuster hatte sich bis zum Einzug ins Pflegeheim nichts geändert.
Frau Franziska war gelernte Schneiderin; still zu sitzen und zu nähen war, solange sie es konnte, ihre liebste Beschäftigung gewesen. Ihr Mann war auch Schneider gewesen. Die beiden hatten, überschattet von der sich im Laufe der Zeit abzeichnenden Trunksucht des Sohnes, gut zusammengelebt. Nun war ihr Mann schon seit mehr als 25 Jahren tot. Der Alkoholismus ihres Kindes lag als schwere Last auf der Seele der alten Frau. Bei einfühlsamer Gesprächsführung konnte Frau Franziska ihre Probleme klar formulieren: Sie litt darunter, nur mithilfe von zwei Personen gehen zu können, Atemnot, Übelkeit und Inkontinenz machten ihr das Leben schwer. Husten und wiederkehrende Harnwegsinfekte quälten sie. Sie war immer gesundheitlich anfällig gewesen und hatte mit vielen Beschwerden leben müssen. In den letzten Jahren waren noch etliche dazugekommen. Für den Rest ihres Lebens wünschte sie sich, möglichst wenig leiden zu müssen. Da jede Verrichtung sie sehr anstrengte, wünschte sie sich auch unsere Hilfe in allen kleinen Dingen des Alltags. Darüber hinaus sehnte sie sich zutiefst nach einem Leben in Seelenfrieden, einem Frieden, den ihr konfliktreiches Familienleben nicht zuließ.