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5.2 Fixierung, Sedierung, Anhaltung
ОглавлениеBei unserer immer größer werdenden Zahl an demenzkranken oder auch nur vorübergehend verwirrten Patientinnen kam es oft vor, dass sich diese nicht so verhielten, wie es die Situation erforderte und die sich dadurch in ernste Gefahr brachten. Frau X musste abends unbedingt in den Garten, um die Kinder hereinzuholen, obwohl es kalt und finster war und sie nur ein Nachthemd anhatte. Sie war doch schließlich für alle verantwortlich (sie war früher Erzieherin); Herr Y musste, komme was da wolle, jeden Abend sein Geschäft zusperren (er hatte ein Friseurgeschäft besessen). Herr Z wollte aufstehen und zum Waschbecken gehen, warum zum Teufel wollten wir ihn davon abhalten (er konnte nach einem Schlaganfall weder stehen noch gehen)? Frau J musste mitten in der Nacht ihr Bett verlassen, denn ihr Zug hatte gerade in Baden gehalten und dort wollte sie ja hin.
In solchen Fällen sahen wir uns gelegentlich (falls unsere Validationsversuche nicht zum Ziel führten) gezwungen, die Menschen daran zu hindern, das zu tun, was sie gerade tun wollten (oder glaubten tun zu müssen). Das stellte zweifellos eine Einschränkung der persönlichen Freiheit dar. Umgekehrt lag es auf der Hand, dass man nicht tatenlos dabeistehen und zusehen konnte, wie sich ein Mensch unter Verkennung der Situation in Gefahr bringt. Wenn gutes Zureden, Ablenken und Validieren nicht den gewünschten Erfolg brachten, standen uns nur mehr medikamentöse und »technische« Maßnahmen zur Verfügung. Da das Versperren der Türen seit der Psychiatriereform grundsätzlich verboten ist, wurden an den Abteilungen Warnsysteme installiert, die dann läuten, wenn eine »Unbefugte« die Station verlässt. Sie stellten in manchen Fällen eine große Erleichterung dar. Bei extrem »wanderlustigen« Patientinnen ist das System jedoch unzureichend, insbesondere am Abend, wenn für alle Patientinnen einer Station nur mehr zwei Pflegepersonen im Dienst sind. Leider treten jedoch Verwirrtheitszustände besonders in den Abendstunden auf, und das stellte uns immer wieder vor größte Probleme.
Wenn Patientinnen, die nicht verstanden, warum sie die Einrichtung nicht verlassen konnten, sagten: »Ich bin ja hier wie eine Gefangene«, brachten sie damit zum Ausdruck, was jede von uns empfunden hätte, wenn sie sich nicht frei bewegen könnte. Wir konnten nur versuchen, die Indikationen für freiheitsbeschränkende Maßnahmen möglichst eng zu stellen. Exakte Begründung, Dokumentation und wiederholtes Hinterfragen der Notwendigkeit riefen uns immer wieder ins Bewusstsein wie unbefriedigend dieser letzte Ausweg ist.
In den letzten Jahren hat die Wahrung der Patienten- und Patientinnenrechte deutlich an Bedeutung gewonnen und ist gesetzlich geregelt. Freiheitsbeschränkende Maßnahmen werden daher viel seltener eingesetzt als früher und sind an strenge Auflagen gebunden (www.patientenanwalt.com; www.gesundheit.gv.at). Der Einsatz dieser Maßnahmen unterliegt strengen Zulässigkeitskriterien, ihr Einsatz kommt nur als letztes Mittel infrage, um Gesundheits- oder Lebensgefahr abzuwenden. Die Beschränkungsmaßnahme muss verhältnismäßig sein, stets sind zuerst gelindere Mittel auszuschöpfen (Halmich 2020).