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6.1.2 Fixieren
ОглавлениеVor 20 Jahren stand eine ganze Reihe von Möglichkeiten zur Auswahl: Die Patientin kam in ein rundherum verschlossenes Netzbett (diese Maßnahme war auch damals kaum mehr üblich und nur unter ganz bestimmten Umständen erlaubt). Steckgitter verhinderten, dass der »Quälgeist« sein Bett verlässt. Die Patientin wurde mithilfe eines gepolsterten Gurts an ihrem Sessel oder Rollstuhl fixiert (Hirsch 2000). Darüber hinaus gab es auch »elegante«, auf den ersten Blick völlig unauffällige Methoden: Beistelltisch oder Esstisch wurden so aufgestellt, dass die Patientin in ihrem Sessel sitzen bleiben musste. Alle diese Maßnahmen lieferten die Hochbetagten hilflos, wehrlos, rechtlos, ratlos, verzweifelt und entwürdigt unserer Willkür aus.
Was ging in einer hilflosen alten Frau vor, wenn sie sich als Gefangene fühlte und stundenlang vergeblich bemüht war, sich zu befreien? Wir konnten an ihren Reaktionen erkennen, wie groß ihr Leidensdruck war: Sie wurde unruhig, weinte, strengte sich mit letzter Kraft an, um sich zu befreien, sie schwang die Beine über das Steckgitter oder steckte sie immer wieder zwischen die Stäbe. Sie schrie verzweifelt: »Was habe ich denn gemacht, dass ich hier gefangen bin?!« Und sie musste oft lange betteln, damit man sie endlich wieder freiließ. Diese Verhaltensweisen sind respektlos und demütigend für die Betroffenen. Es erleichtert mich zu wissen, dass solche Methoden heute nur mehr ausnahmsweise vorkommen. Andreas Kruse (2017) bezeichnet zurecht das Fehlen von Demütigung im Umgang mit einem Mitmenschen als ein zentrales Merkmal einer anständigen Gesellschaft.